Tribunal verurteilt US-Embargo gegen Kuba: Heimtückische Form der Kriegsführung
Brüssel Ein internationales Tribunal verurteilt in Brüssel das US-Embargo gegen Kuba, das den Karibikstaat seit sechs Jahrzehnten systematisch ruiniert. Der entstandene Schaden wird auf über 160 Milliarden Dollar beziffert
Das US-Embargo gegen Kuba ist das am längsten andauernde Handelsembargo in der modernen Geschichte
Foto: Yamil Lage/AFP/Getty Images
Unmittelbar nach dem Sieg der Kubanischen Revolution 1959 benannte der US-Außenpolitiker Lester Mallory unumwunden die Strategie seiner Regierung: „Jedes mögliche Mittel sollte unverzüglich ergriffen werden, um das Wirtschaftsleben Kubas zu schwächen, um die Löhne zu senken, um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung herbeizuführen.“ Seither hält ein in Dauer und Härte geschichtlich beispielloser Wirtschaftskrieg an. Alle unter 60-Jährigen, also 80 Prozent der heutigen Kubaner, haben nie ein Leben ohne Blockade erlebt. Die angelaufenen Embargo-Schäden werden mittlerweile auf 160 Milliarden US-Dollar beziffert. Das ist nicht Statistik, sondern musste mit Einbußen an Lebensstandard von den Kubanern bezahlt werden.
Als
Als Vorwand für die Strafmaßnahmen gilt die revolutionäre Verstaatlichung von Großgrund- und Immobilienbesitz, den sich US-Bürger wie auch immer angeeignet hatten – im Wert von etwa einer Milliarde Dollar. Gemessen an den Schäden der Blockade eine lächerliche Summe. Zumal Kuba eine über 20 Jahre abzuzahlende Entschädigung angeboten hatte, was abgelehnt wurde, während Spanien und Frankreich darauf eingegangen sind. Übrigens haben heute in Kanada lebende Nachkommen britischer Loyalisten nicht ohne Hohn in ihrem Unterhaus einen Gesetzentwurf eingebracht, der Entschädigung fordert für die Beschlagnahme von Eigentum ihrer Vorfahren während der Amerikanischen Revolution. Doppeltes Maß ist immer einfaches Unrecht.Keine Spritzen zum ImpfenLange Zeit wurde Kuba einigermaßen aufgefangen durch die Hilfe der Sowjetunion. Als diese nach deren Ende wegfiel, ging das Land durch ein tiefes Tal, stieg aber aus eigener Kraft wieder auf. Der Tourismus nahm an Fahrt auf, die legendäre kubanische Medizin erreichte in einigen Positionen wieder Weltspitze. So hat Kuba die höchste Ärztedichte pro Einwohner weltweit (Deutschland liegt auf Platz 19 mit fast nur der Hälfte dieser Ärztepräsenz). Zu ganz speziellen Augenoperationen reisten Patienten aus aller Welt nach Havanna. Unter Barack Obama schien sich der Konflikt ein wenig zu entspannen.Doch Donald Trump verschärfte ihn mit 243 zusätzlichen Sanktionen, setzte Kuba wieder auf die US-Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten. Was zu begründen nie für nötig befunden wurde, bis auf den irrwitzigen Hinweis, Kuba habe sich beteiligt an den langwierigen Friedensgesprächen zwischen Kolumbiens linken Rebellen und rechten Militärs. Wessen sich allerdings auch Norwegen, Spanien und Deutschland wiederholt schuldig gemacht haben. Selbst während der Pandemie durften weder Öl noch Beatmungsgeräte geliefert werden. Kuba entwickelte drei eigene Impfstoffe, hatte aber zeitweilig Schwierigkeiten, diese zu nutzen, weil es kaum Spritzen importieren durfte. In dieser Lage traf das Wegbleiben der Touristen besonders hart. Was anhält, befeuert durch eine hysterische mediale Desinformationskampagne, der etwas entgegenzusetzen, Kuba keine Möglichkeit hat.In dieser bedrohlichen Situation müssen sich die Kubaner neu erfinden, ohne den identitätsstiftenden Fidel Castro und mit offenen Grenzen. Noch sagen viele, das ist mein Land, hier will ich leben, aber ich weiß nicht, wie lange ich noch ein Auskommen finde. In den USA haben ein Prozent der Bewohner eine Universität besucht, unter den Kubanern sind es zwölf Prozent. Könnte das Undenkbare geschehen, dass die USA ihren Wirtschaftskrieg doch noch gewinnen? Dass ein plötzlicher Regime Change nach erprobter Manier oder eine schleichende Konterrevolution das Erreichte rückabwickelt? Und – Worst Case – Kuba wieder das Bordell der USA wird, ergänzt durch Guantánamo Bay als rechtsfreiem Raum?Die UN-Generalversammlung verurteilte die US-Blockade zum 31. Mal, fast einstimmigVor vier Wochen wurde in der UN-Generalversammlung zum 31. Mal fast einstimmig die US-Blockade verurteilt. Allein die USA selbst stimmten wie immer gegen die Resolution, auch Israel und die Ukraine enthielt sich, Zeichen völliger Abhängigkeit. Nur in einer noch unilateralen Welt erlaubt man sich, den Willen von 187 Staaten einfach zu ignorieren.In dieser Proteststimmung fand am 16. und 17. November auf Einladung der EU-Linksfraktion GUE/NGL in einem der Brüsseler Plenarsäle des Parlaments ein Internationales Tribunal der Völker zur US-Blockade gegen Kuba statt. Mitveranstaltet von der Internationalen Vereinigung Demokratischer Juristen (IADL), dem US-Anwaltsverband National Lawyers Guild und Kuba-Solidaritätsorganisationen fand das Tribunal der aus 21 Ländern angereisten Teilnehmer Zuspruch durch die EU-Parlamentarier. So durch die schon früher mit couragierten Statements aufgefallene irische Sozialistin Clare Daly: „Diese Blockade ist eines der lang anhaltendsten Beispiele der sogenannten regelbasierten Ordnung. Dieses von den USA und dem politischen Westen eingeführte Klischee bedeutet, sie machen die Regeln und alle haben ihnen zu folgen.“ Die Kubaner sollten sich beugen, weil sie die unglaubliche Energie der Bevölkerung mobilisiert hätten, um ihre Gesellschaft selbst zu besitzen, im Kontrast zur westlichen Ordnung, in der das Geld regiere, man aber nicht die Probleme der Arbeitenden löse. Diese Blockade werfe die ganze Welt zurück.Das Tribunal richtete sich auch gegen die EU, deren Mitglieder zwar gegen die Blockade gestimmt haben, die aber nicht über die Souveränität verfügen, zu ihrer Stimme zu stehen. Zahlreiche Zeugen der amerikanischen und europäischen Zivilgesellschaft aus Wirtschaft, Forschung und Kultur schilderten den internationalen Anklägern und Richtern die alltäglichen Folgen der Sanktionen. Etwa wenn der internationale Zahlungsverkehr stillgelegt und Kuba vom SWIFT-Abkommen ausgeschlossen ist, wenn die Auslandskubaner nichts nach Hause überweisen können, nicht einmal Spenden aus Europa für Opfer und Schäden von Hurrikan Irma durchkommen. Hightech und Ersatzteile werden gar nicht oder nur zu unbezahlbaren Preisen angeboten. Dasselbe gilt für Container und deren vierfache Frachtgebühr. Die USA verbieten ihren Farmern zu deren Verdruss jeglichen Export von Lebensmitteln nach Kuba. Pflanzenschutzmittel sind nicht mehr zu bekommen, eigene Produkte werden nicht zertifiziert, können nicht exportiert werden. Weltweit wird sanktioniert, wer es wagt, mit Kubanern Handel zu treiben.Der spanische Unternehmer Juan Fernando bezeugte, dass ihm alle seine 77 Finanzpartner gestrichen wurden, weil er im Sinne seiner kubanischen Frau mit diesem Land Handel treibe. Seine privaten Konten seien blockiert, er sei „unmenschlichem Stress“ ausgesetzt – ein „ziviler Tod“. Nur wenige Airlines fliegen noch überteuert nach Kuba. Auf der Insel lebende ausländische Senioren bekommen ihre lebenswichtigen Renten nicht überwiesen. Wer als Nicht-US-Bürger seit Januar 2021 in Kuba war, darf nicht visumsfrei in die USA einreisen, was verunsichert und abschreckt. Wer in den USA ein Visum nach Kuba beantragt, muss sich langen Verhören durch die Behörden unterziehen. Die Haftpflichtversicherung von US-Universitäten gilt nicht für Kuba. Zoom-Kontakte von Studenten und der Austausch von Forschungsergebnissen werden unterbunden, kubanische Künstler und Wissenschaftler können im Westen weder auftreten noch veröffentlichen, sie haben keinen Zugang zu dortiger Forschung. Online-Kontakte sind auch wegen der Energie-Situation schwierig geworden.Zur Amputation verurteiltDer erschütternde Dokumentarfilm La gota de agua (Wassertropfen) von Iriana Pupo gehörte zu den bewegendsten Zeugenaussagen. Er erzählt vom Schicksal der zauberhaften vierjährigen Nathalie, die an Krebs erkrankt ist, sich vier Monate mit einer Chemotherapie quält, die nicht anschlägt, weil Zusatzstoffe für das Medikament nicht geliefert werden konnten. Die verzweifelten Eltern stehen vor der Entscheidung, einer Amputation oberhalb des Knies zuzustimmen. Wir erleben das Entsetzen des Mädchens angesichts seines Beinstummels, seinen Schmerz mit der nicht optimalen Prothese, nach viel Training schließlich einen hoffnungsvollen Etappensieg. Gefragt, was sie einmal werden wolle, antwortet Nathalie lächelnd: Ärztin oder Tänzerin. Mucha suerte!Eingebetteter MedieninhaltDer Onkologe Franco Cavalli aus der Schweiz erklärte dazu in Brüssel, dass bei dieser Art von Krebs bei Gabe der nötigen Medikamente normalerweise nicht amputiert werden muss, sondern eine Knochenimplantation gute Ergebnisse bringt. Aber diese Medikamente seien eben unerlässlich. Wie sie es für all die Kinder waren, die in letzter Zeit in kubanischen Krankenhäusern ihr Leben an den Krebs verloren haben. Auch in Kuba sterben Kinder einen vermeidbaren Tod. Im Namen einer falschen Freiheit.Die Ankläger und Zeugen des Tribunals erbrachten hinreichend Beweise für die menschenrechtswidrige Praxis der Blockade. Nun hatten die Richter ein Urteil zu fällen – fünf ausgewiesene Rechtstheoretiker aus den USA, Italien, Griechenland und Portugal unter Leitung des Hamburger Völkerrechtlers Norman Paech. Als einzige Nichtjuristin in diesem Gremium hatte ich die schreibende Zunft zu vertreten. Wir zogen uns zur Beratung zurück.Dass es für die Blockade keine Rechtsgrundlage gibt, war offensichtlich. Eine UN-Resolution vom 14. Dezember 1962 bekräftigte mit dem Grundsatz der Souveränität das Recht jedes Staates, über seine natürlichen Ressourcen selbst zu verfügen. Zumal die Sanktionen nicht auf Restitution oder Entschädigung gerichtet sind, sondern auf den Sturz der Regierung. Damit verletzen sie zahlreiche Menschenrechte, besonders die des UN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die nicht weniger verbindlich sind als die politischen Rechte.Die Sanktionen müssen aufgehoben werdenSelbst wenn die beteiligten Staaten und die EU diesen UN-Pakt nicht ratifiziert haben, besteht in der internationalen Rechtstheorie Konsens, dass er durch Gewohnheitsrecht für alle verbindlich ist. Verletzt werden auch grundlegende Bestimmungen des WTO-Handelsrechts, dem die USA beigetreten sind. Es verbietet die Beschränkung von Ein- und Ausfuhren und Geldtransfers. Ausnahmen wegen Sicherheitsinteressen entfallen, da Kuba die USA nicht bedroht. Die UN-Generalversammlung hat wiederholt das US-Helms-Burton-Gesetz kritisiert, das auch in die legitimen Interessen anderer Staaten eingreift. Die Europäische Union hat solche Gesetze 1996 sogar für nichtig erklärt und einen Anspruch auf Verlustausgleich verfügt, sich dann aber der Übermacht gebeugt.Die Blockade sei eine der heimtückischsten Formen der Kriegsführung, heißt es im vor dem Tribunal verlesenen Urteil, sie erfülle den Tatbestand „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Sie habe direkt oder indirekt zum Verlust zahlreicher Menschenleben geführt und sei darauf ausgelegt, langfristig die physische Zerstörung eines Teils des kubanischen Volkes in Kauf zu nehmen. „Eine solche Haltung könnte den Tatbestand des Völkermordes erfüllen.“ Über diese vorsichtige Formulierung haben wir Richter am längsten diskutiert. Sachlichkeit und Gesetzestreue waren oberstes Gebot.Das Strafmaß lautete: Die rechtswidrigen Sanktionen und die ihnen zugrunde liegenden Gesetze müssen aufgehoben werden. Die USA müssen für den Schaden aufkommen, der dem kubanischen Staat, seinen Unternehmen und Bürgern entstanden ist. Der Beifall im Auditorium bezeugte, dass es mehr als Symbolik sein wird. Die Kubaner sind ermutigt worden, und die USA stehen erneut isoliert vor der Öffentlichkeit da. Eines Tages werden sie sich das nicht mehr leisten können.
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