Über gefühlte Unsichereiten

Kommentar Ich gebe es zu, ich fühle mich auch verunsichert. Die Unsicherheit, von der ich rede, ist jedoch nicht die, die gerade medial durch das Dorf getrieben wird.

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Es geht mir nicht um Lindners Unsicherheit in der Bäckerschlange, die eh nur haben kann, wer nur noch über seine Mitmenschen spricht und aufgehört hat mit ihnen zu reden. Es geht mir nicht um die Unsicherheit, die Konservative und Rechtspopulisten zu Wahlkampfzwecken als Ablenkungsmanöver den Menschen einreden möchten, damit sie ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen durchsetzen können.

Ich verspüre Unsicherheit, wenn am 1. Mai Neo-Nazis Sprüche wie „Wer Deutschland liebt ist Antisemit!“ skandieren dürfen, ohne dass es einen öffentlichen Aufschrei gibt; wenn ich bemerke, dass wir aus der Geschichte nichts gelernt haben. Adornos Imperativ lautet: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“ Dieser Imperativ hätte die Bildung und Erziehung nach 1945 bestimmen sollen. Doch wenn man sich all den Hass und die Intoleranz anschaut, die wir gerade erleben, dann ahnt man, dass wir wohl versagt haben.

Ich verspüre Unsicherheit, wenn so genannte „linksgrün versiffte Gutmenschen“ beleidigt und bedroht werden, obwohl gerade diese Menschen in einer Traditionslinie mit den Menschen stehen, die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und die Privilegien, die viele Menschen in der westlichen Welt genießen, überhaupt erst erkämpft haben. Es wird Meinungsfreiheit und Pressefreiheit für Lügen und Intoleranz beansprucht und gleichzeitig „Lügenpresse“ gerufen, wenn etwas nicht in das Weltbild der eigenen Facebook-Blase passt.

Und ich verspüre Unsicherheit, wenn progressive politische Kräfte es nicht mehr schaffen, die vorhandene Unzufriedenheit in Bahnen zu lenken, die zu mehr Gerechtigkeit und ein besseres Leben für alle führen würden. Rassismus und Nationalismus haben noch nie etwas außer Krieg und Ungerechtigkeit hervorgebracht. Schuld an allem ist nicht der „Ausländer“ oder „Flüchtling“, sondern ein System, dass einige Wenige sehr reich macht und viele andere immer ärmer werden lässt. Die, die heute die gefühlte Unsicherheit in den Medien schüren und nach mehr Sicherheit und Überwachung rufen, sind auch die, die auf der Seite der wenigen Reichen stehen.

Vor allem verspüre ich Unsicherheit, wenn ich in Anbetracht der Lage darüber nachdenke, mir bereits ein Flugticket in den Nachtschrank zu legen, falls meine Vermutungen sich bewahrheiten und wir nichts aus der Geschichte gelernt haben sollten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Danny Krämer

Philosoph, Blogger und Journalist.

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