Märtyrertod für die Freiheit des Abendlandes

Der Tag danach: „Je suis Charlie“ Schriftzüge auf jeder der großen Nachrichtenseiten und Bilder von Leuten die diesen Schriftzug hochhalten überschwemmen zurzeit die Medien.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich, der das Magazin bis zu dem Anschlag gestern gar nicht kannte, bin verwundert, habe ich doch all mein Leben lang gar nicht gewusst das Charlie Hebdo die Speerspitze der demokratischen, liberalen Freiheitsbewegung ist. Charlie Hebdo symbolisiert anscheinend unsere westlichen Werte in einem größeren Maße als es die Französische Revolution je vermochte. Wir sind jetzt alle Charlie. Denn wir müssen zeigen, dass wir demokratische, freiheitsliebende Europäer sind. Wir lassen uns nicht einschüchtern von Terroristen, die unsere lange, über jeden Zweifel erhabenen westlichen Werte angreifen.

Wie praktisch ist es, dass gestern diese Menschen starben. Endlich können wir Flagge zeigen, endlich können wir der Welt sagen: So nicht. Nicht mit uns! Hinweg ihr unkultivierten Barbaren. Wir Europäer stehen zusammen. Wir sind eine Festung. Eine Festung der Toleranz, der Freiheit und der Demokratie. Eine Festung der Menschenrechte und überhaupt für alles Gute auf diesem Planeten. Sozusagen das letzte Überbleibsel des biblischen Garten Eden und der böse Islam ist die Schlange. Eine Schlange die es nun zu köpfen gilt.
„Je suis Charlie“! Wer den größten Verfechter unserer aufgeklärten, westliche Werte angreift, Charlie Hebdo, der greift uns alle an. Die Redakteure von Charlie Hebdo sind für uns den Märtyrertod gestorben und nun ist es Zeit für Rache!

Wie gesagt, mein ganzes Leben wusste ich gar nicht dass es dieses Magazin gibt, bzw. das dieses Magazin Teil der ungeschriebenen, aber gelebten, europäischen Verfassung ist.
Daher nutzte ich die Zeit nach der Tagesschau um mich näher mit Charlie Hebdo zu befassen. Zugegeben, ein wenig bestürzt war ich ob des Anschlags im Jemen, Dutzende Tote vor einer Polizeiakademie. Recherchieren fiel dementsprechend schwer: Ich hoffe auch der Jemen hat sein Charlie Hebdo.

Das erste Bild das ich bei meiner Recherche fand war folgendes:

http://fs2.directupload.net/images/150108/xpeyj6wo.jpg

Fuck dachte ich mir. Das muss doch ein Indexierungsfehler sein. Dieses Bild kann doch unmöglich von Charlie Hebdo kommen. Eine schwarze Politikerin als Affe? Vielleicht irre ich mich, aber nennt man so etwas nicht rassistisch? Und wie kann ein Magazin das in der Tradition der großen europäischen Demokraten und Freiheitsbewahrern steht, rassistische Bilder bringen? Und wieso gibt es keinen Aufschrei der linken Szene, die doch sonst fast reflexartig Rassismen anprangert?

Ganz einfach. Wir sind alle Charlie, oder anders: "Ist doch nur Satire". So jedenfalls erklärte es mir ein Freund, den ich verdutzt anrief.
Stimmt! Satire darf ja alles!
Wenn man schwarze Menschen als Affen darstellen darf, dann darf Satire sicherlich auch in einem islamophoben Land den Islam karikieren. Egal wie. Satire darf nicht nur verletzen, Satire muss verletzen.
Denn wenn Satire nicht verletzen würde, könnte sich keiner darüber aufregen. Wenn sich keiner über etwas aufregt, gibt es auch keine anderen Leute die sagen können: „Reg dich nicht drüber auf. Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen! Wenn dir das nicht gefällt geh dahin wo der Pfeffer wächst. Wir haben hier Meinungsfreiheit und müssen auf nichts Rücksicht nehmen“.

Und es wäre ja wirklich schade wenn wir solche Kommentare nicht hätten. Die weitere Recherche ersparte ich mir an der Stelle: Es war ja jetzt alles klar!

Fassen wir zusammen:

1. Je suis Charlie, weil ich Europäer bin, daher ohnehin ein Freiheitskämpfer von Gottes Gnaden!

2. Ein Anschlag in Frankreich ist natürlich schlimmer als 10 Anschläge im Jemen oder sonstwo, denn dort leben unkultivierte Barbaren.

3. Satire darf alles, so lange sie Menschen verletzt!

4. Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen! Was genau? Na alles halt...!

Fazit: Alle Menschen die sich nicht als christliche, tugendhafte Europäer sehen in den Jemen schicken. Eine große Bombe bauen und mit roter Schrift „je suis Charlie“ drauf pinseln. Den roten Knopf drücken und endlich wieder ruhig schlafen können.

Bildquelle: http://satirique.canalblog.com/archives/2013/11/17/28449512.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden