Der Rauchtisch

Verlorenes Leben [I] Warum der Rauchtisch noch nicht einmal mehr einen Eintrag bei "wikipedia" hat

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Der große Tisch im Esszimmer ist weiß eingedeckt. Er ist zweifach ausgezogen (siehe demnächst Verlorenes Leben [II] 'Der Ausziehtisch'). Die Kaffeetafel ist vorbereitet mit dem guten Geschirr. Die Geburtsgäste werden erwartet, denn sie werden gleich vom Mittagsgelage, immerhin gab es Vier Gänge (!), in die Wohnung strömen. Die Frauen werden sich rasch, nachdem sie sich die Hände gewaschen und die einfarbigen 'Festtagskittelschürzen' angelegt haben, in der Küche die Torten und Kuchen schneiden. Lautes Gerede bis hin zu Wortgefechten. Ins Esszimmer ziehen die Männer ein. Es wird noch nicht getrunken. An die fein gerichtete Kaffeetafel wird sich nicht gesetzt. Aus Ehrfurcht? - Nein der häusliche Frieden soll an so einem Tag nicht aufs Spiel gesetzt werden, man möchte einfach nur seine Ruhe haben. Es reicht schon dass man sich in den Anzug reinzwängen musste. Nur kein Ärger jetzt um Anstand, Sitte und Tischmanieren, daher wird auch "das leidige Getrinke" noch ausgesetzt, noch. In aller Ruhe versammelt man sich um den Rauchtisch. Er ist glücklicher Weise noch, mit zwei Sesseln, im Raum verblieben. Die als "Jardinière" bezeichnete Blumenbank, mit mehrstöckigen Aufbauten, (siehe demnächst Verlorenes Leben [III] "Die Blumenbank") wurde schon vor Tagen in die "Waschküche" gesetzt. Der große Ausziehtisch braucht seinen Platz. Stühle und Sessel werden zurechtgerückt um den Rauchtisch. Auf dem Tisch steht das Rauchset (siehe demnächst Verlorenes Leben 'Das Rauchset') bereit. Heute stand Alles auf dem Rauchtisch und nicht in der alltäglichen Verwahrungsebene "Unter dem Rauchtisch". Die Enkel durften gestern die Zigaretten in die Dose einsortieren. Und weil es ein runder Geburtstag ist, stehen auch die begehrten 'Dannemanns' bereit, man will gerade vor den Treffurtern Stil und seine 'Guten Beziehungen' zeigen. Nachdem sich jeder bediente, die "Ascheschalen" aus dem Spender des Rauchsets reichten für Jeden der mochte und durfte, zog Ruhe und Genuss am Rauchtisch ein. Es konnte vom Kleingarten, Krieg und Autoreparaturen weitererzählt werden.


Der Rauchtisch ist keine Sonderform oder Unterart Beistelltisches. Die die Definition "Tisch zur Bereitstellung von Rauchwaren und -zubehör" trifft es auch nicht. Er ist für mich das männliche Zentrum in kleinbürgerlicher Wohnung gewesen. Zugleich Rückzugsplatz, Anker und Bastion des Mannes, in der vom Matriarchat bestimmten, dekorierten und dominierten Wohnung. Das Herrenzimmer, Rauchzimmer oder die Bibliothek, wo man sich zu "Cognac und Zigarren" nach dem Essen zurück zog, während die Tafel im Esszimmer abgeräumt oder für Dessert und Eis umgebaut wurde, gab es ja nur in Großbürgerlichen Haushaltungen oder "Edgar-Wallace-Filmen". Dem Bürger und Kleinbürger blieb nur dieser Rauchtisch, und die ein bis zwei Sessel dazu, um der Geschäftigkeit der Frau am Esstisch nicht im Wege zu stehen. Oder wenn ‚Unterderwoche‘ in der "Kalten Pracht" des Esszimmers nicht geheizt wurde, konnte er hier in Ruhe Zeitung lesen während sie in der Küche den Abwasch machte, Radio hörte oder auf der kleinen Küchencouch mal "15 Minuten" ihre Ruhe haben wollte. Und er nicht schon wieder in den Garten oder in die Garage gehen sollte, es war ja Sonntag.

Am Rauchtisch wurde nun doch schon vor dem Kaffee getrunken. Die 'Warme Luft' in der "Guten Stube" und 'nur für die Verdauung' und überhaupt wollte man ja mal auch 'Was anbieten'. So gesellten sich zum Rauchset die ersten Bier- und Schnapsgläser auf dem Rauchtisch. Jedoch wurden die Skatkarten noch nicht aus dem Lederetui gezogen, obwohl das rote Etui schon die Runde am Rauchtisch machte. "Vor dem Kaffee fangen wir noch nicht an", ein Mann ein Wort. Weiter ging es mit der Kriegsgefangenschaft, Sondermünzen und Ersttagsbriefen.

Was schreibt ein bekennender Nichtrauer über den Rauchtisch? Der wirkliche Raum des Mannes in Wohnungen hat sich erheblich reduziert. Sollte der nur noch an den technischen Geräten wie Flachbildschirm und vielleicht noch Stereo-Anlage und Computer sein? Es geht um das männliche Kommunikationszentrum. Nicht wo er alleine dann seine Steuererklärung macht oder Updates und Ausdrucke für die Familie erledigt. In welchen Teil der bürgerlichen Wohnung sitzt er mit seinen Freunden oder Brüdern und redet? Nur unter und über sich? Dieser Platz ist wohl auch nicht mehr nötig. Nur noch die große Lümmelcouch um gemeinsam Filme und Fußballereignisse zu sehen und Chips zu essen. Der Rauchtisch ist konstruktiv zu hoch angelegt, er steht im Sichtfeld des riesigen neuen, fast bodentiefen Flachbildschirms. Und das dunkle Holz, der Rauchtisch musste weg. Dazu noch rund und nicht eckig. Für was gibt es ebay-Kleinanzeigen...


Den Rauchtisch gibt es nicht mehr. In den 90igern sah ich in hin und wieder noch in WG-Zimmern in Schwabing, Friedrichshain, Blase- und Plagwitz. Jedoch aufs Gröbste entstellt. Lagen da nicht etwa die 'Burdas', 'Brigittes', 'Vogue‘s' und sogar Strickwaren, dort wo das Rauchset und die Zigarren an nicht Festtagen abgestellt wurden! Keine Herrenmagazine, Kriegsbücher, Bauanleitungen und Gartenzeitungen, von "Epper-Büchern" wollen wir gar nicht reden. Damit war der Untergang des Rauchtisches endgültig besiegelt. Frau hatte auch diesen Tisch erobert, natürlich mit "Liebe zum Detail" und runtergesetzten Dekoartikeln vom "NANU-NANA". Vielleicht blieb noch ein "Hund" oder eine "Katze" von Porzellan stehen, die einstmals als Rauchverzehrer (in der Familie eher "Rauchverzierer" genannt) dienten, aber nur wenn sie "Süß" aussahen und von "Omi" waren. Dieses Möbel und der Platz der Männer in der 'Guten Stube' sind untergegangen. Bleibt dem Mann in der Wohnung nur noch der hart umkämpfte Fernsehsessel oder die Computerdattelecke im Schlafzimmer, die er "...auch mal wieder aufräumen könnte...". Aber da sitzt er, wenn er nicht gestört wird, nur Allein. Ruhe im Frieden, Rauchtisch.


Noch ein Nachtrag. Rudolf hatte einen richtigen Lauf während der Bockrunden, dieses genügte zum Sieg. Karl, Paul und Willy machte das nix aus. Man blieb am Rauchtisch ja unter sich, dass war für Alle Sieg genug. Hier wurde auch nicht jede Flasche und jedes Glas mitgezählt. Es war ein schöner runder Geburtstag. Seit diesem Tag wollte ich auch Skatspielen lernen.

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