Kanaloratz: fressen und gefressen werden

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Nach den beiden Interviews mit der Anarchokatz allein habe ich den Kanaloratz allein interviewt. Hier ist die Abschrift:

R.B.: Herzlich willkommen, Kanaloratz!
K.: Servus, Red Bavarian!

R.B.: Kanaloratz, nachdem ich schon mit der Anarchokatz über ihr ewiges Leben gesprochen habe, möchte ich auch mit Dir über Dein ewig wiedergeborenes Leben reden. Allerdings erscheint es mir recht grausam, dass die Anarchokatz Dich immer wieder gefressen hat. Macht es Dir etwas aus, darüber zu reden?
K.: Nein, Red Bavarian, ist schon in Ordnung. Es war eine Läuterung für mich und für die Anarchokatz.

R.B.: Das hört sich erklärungsbedürftig an. Wie war es also für Dich im Alten Ägypten?
K.: Es ging ums Fressen und ums Gefressenwerden. Die Getreidespeicher der Menschen waren natürlich mächtig anziehend auf uns Nager. Praktisch das Schlaraffenland in der öden Wüste. So haben wir uns regelrecht eingefressen in die Getreideberge. Aber die Katzen haben jedesmal auf uns gelauert.

R.B.: Und was hat das mit Läuterung zu tun?
K.: Die Anarchokatz hat sich schließlich überfressen und konnte keine Maus und keinen Ratzen mehr sehen, ohne dass ihr schlecht wurde.

R.B.: Da fallen mir bei uns Menschen die Pralinenverkäuferinnen ein, die gern Pralinen naschen. Die dürfen einmal so viele Pralinen essen, wie sie wollen. Irgendwann wird ihnen mächtig schlecht, und danach ist ihnen der Appetit auf Pralinen dauerhaft vergangen.
K.: Ja, so ist das bei der Anarchokatz mit uns gewesen.

R.B.: Bemerkenswert. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es grausam für Dich gewesen ist, immer wieder gefressen zu werden. Wie hat Dich das geläutert, und wovon hat es Dich geläutert?
K.: Es hat mich von der Lemmingitis befreit.

R.B.: Lemmingitis. Du meinst, wie sich die sprichwörtlichen Lemminge ins Meer oder in den Abgrund stürzen?
K.: Ja. Die Lemminge sind ja unsere Verwandten, und wir waren auch wie sie. Ständig haben wir kollektiven Selbstmord begangen. Und ich meine jetzt nicht das Gefressenwerden, sondern diesen Drang zum Nichts. Erst der Fraßmord hat uns das Lebenwollen gelehrt.

R.B.: Aha. Und die Lemminge?
K.: Sie wurden ja nicht von der Katzenbande gefressen, also haben sie ihren Selbstmorddrang behalten.

R.B.: Makaber, das alles.
K.: Makaber wie das Alte Ägypten. Wie die Katzenmumien. Wie die Menschenmumien.

R.B.: Tja, der Horror wurde ja literarisch und filmisch vielfach verarbeitet. Aber kommen wir zum Leben zurück. Wie kommt es, dass Du immer wiedergeboren wirst?
K.: Weil ich den Butzen der Frucht vom Baum des Lebens gegessen habe, den die Anarchokatz übriggelassen hatte. Da war zwar nicht mehr das echte ewige Leben drin, aber immerhin noch das ewige Wiedergeborenwerden.

R.B.: Na da schau her.
K.: Keine Angst, tu ich nicht, ich bin doch nicht andropophil wie die Anarchokatz.

R.B.: *lach* Ich hab' Dich zum Fressen gern ...
K.: *quietsch* Liebe geht durch den Magen ...

R.B.: Zurück zum Ernst des Lebens. Die Anarchokatz hatte einen Mann. Was ist mit Deiner Frau passiert?
K.: Die ist wie der Anarchokatz ihr Mann gestorben.

R.B.: Mein Beileid, nachträglich.
K.: Keine Sorge, ich hab's auch schon lange überwunden.

R.B.: Wollte sie nicht vom Baum des Lebens essen?
K.: Ich habe vergessen, ihr etwas anzubieten. Und als ich daran gedacht habe, war uns der Baum des Lebens schon entzogen worden.

R.B.: Schade. Leben und Tod liegen mitunter nahe beieinander.
K.: Tja, so ist das Leben halt. Aber es geht trotz Tod immer weiter, wenn man es gesamthaft sieht.

R.B.: Dann schlage ich vor, wir beenden mit diesen existenzphilosophischen Gedanken das Interview?
K.: Okay.

R.B.: Also, dann danke.
K.: Bitte.

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Geschrieben von

Red Bavarian

Die Vergangenheit analysieren, die Gegenwart gestalten, die Zukunft erdenken.

Red Bavarian

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