Die Titel-Frage ist an alle entsprechenden Ex-DDR-Bürger gerichtet. Wobei ich nicht 'Wogegen?' frage, sondern 'Wofür?'.
Es geht um die Ereignisse am 19.02.2011 in Dresden. Der Themenkomplex, der sich da auftut, lässt mir keine Ruhe. Ich habe mich schon im Thread zum Freitags-Blog-Artikel 'Erfolgreich blockiert' mehrfach kommentarisch geäußert.
Siehe auch die Themen- und Übersichts-Artikel auf 'Lafontaines Linke': 'Rache am Abend', 'Haus der Verwüstung' und 'Außer Kontrolle'.
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Kommentare 16
Wofür wir 1989/90 auf die Straße gegangen sind?
Für Hartz IV nach einem Jahr Arbeitslosigkeit und Angriffskriege in aller Welt!
Und dafür das sie hier jeden Quatsch schreiben können, ohne dafür verhaftet zu werden.
Zitat hadie:
>>Für Hartz IV nach einem Jahr Arbeitslosigkeit und Angriffskriege in aller Welt!
Zitat Mandelbrot:
>>Und dafür das sie hier jeden Quatsch schreiben können,...
neue Verschwörungstheorie?
Für die Verschwörungstheorien sind sie zuständig Claudia. Ich bleibe bei den Fakten.
Übrigens warten hier* noch Antworten von mir die sie noch nicht erwidert haben.
*http://www.freitag.de/community/blogs/der-freitag/anne-will-das-hartz-theater-was-bekommt-die-politik-noch-gebacken
Wofür? 1989? Da gab es hier im Nürnberger Kirchenweg völlig disziplinierte Massenaufläufe von Bürgern aus der DDR, Samstags. Wofür? Für 100.-- DM, die gab's unten beim Soialamt. Ich hab mich damals eigentlich gefreut, die Menschen zu sehen. Aber mir kam auch so ein Gefühl, bald sind die so ver"kohl"t wie wir. Und so ist es dann auch gekommen.
Können Sie mal bitte den Zusammenhang zu 2011 herstellen?
Also ich bin nicht auf die Straße gegangen - ich war damals sehr kritisch gegenüber der DDR, aber protestiert habe ich nicht. Doch: Einmal war ich in und einmal an der Gethsemane-Kirche. Es gab zu der Zeit aber schon so halboffizielle sehr DDR-kritische Veranstaltungen, selbst beim offiziellen Journalistenbund.
Wenn ich "für" etwas gesprochen und argumentiert habe, dann für die "Freiheit des Wortes", für "Reisefreiheit" auch.
In den Monaten nach der Maueröffnung, aber noch vor der "deutschen Einheit" gab es in der Redaktion ein unglaublich kreatives Arbeitsklima. Ich habe sehr sehr viel geschrieben. Aus Westdeutschland kamen damals zwei Männer von der CDU aus Süddeutschland. Die wollten ihre Hilfe anbieten. Da habe ich gesehen, dass die einfachen Leute, die keine Funktion haben, sich vom Herzen her engagieren. Meine Kollegin meinte damals schon, dass wir nie wieder so frei arbeiten werden wie in diesen Monaten. Ich glaubte ihr das nicht.
Später kamen dann die "Macher" - bei der "Neuen Zeit" waren das Leute von der FAZ. Ein Nachrichtenmensch - wie alle, die die tägliche Arbeit kennen - umgänglich und hilfsbereit. Die anderen von der "Denker"fraktion waren sehr fremd. Da war ich aber schon anderswo.
Ich denke, auf die Straße gegangen sind die Leute, weil sie glaubten, Reformen wären auch in der DDR eine Möglichkeit, aber man muss schon sehen, dass viele einfach nur die D-Mark wollten.
OK - ich wollte dazu eigentlich nichts sagen, weil es natürlich völlig egal ist. Aber den Oktober in Leipzig und DD einfach nur darauf zu reduzieren, ist so verdammt typisch. Das macht mich auch 2011 noch wütend.
Diese Ignoranz gegenüber Idealen und Träumen auch der sogenannten einfachen Leute - so naiv die auch gewesen sein mögen. Im Oktober gab es vieles, wofür man auf der Straße war - aber um DM oder BRD ging jedenfalls nicht.
Die Ideale und Träume 89 will ich nicht bestreiten.
Ich sah dann die Masse Volkes, die (verständlicherweise) die hiesigen Kaufhallen stürmte.Und damit schwanden auch meine Hoffnungen, da wusste ich irgendwie, wer gewinnen wird.
@micha74 am 25.02.2011 um 13:03: »Können Sie mal bitte den Zusammenhang zu 2011 herstellen?«
Das Bild im Blog-Artikel 'Geplanter Rechtsbruch' sagt mehr aus als tausend Worte.
Lesen Sie meine Blog-Artikel ab 18.02.2011. Es hat alles seine Bewandnis, was ich schreibe. Folgen Sie den Links darin. Da wird sich ihnen ein weiteres Bild zusammensetzen.
"Aber mir kam auch so ein Gefühl, bald sind die so ver"kohl"t wie wir. Und so ist es dann auch gekommen"
Das verstehe wer will, aber es liest sich wie eine Art von Verschiebung. Verachten Sie auch die Westdeutschen, die sich jahrzehntelang verkohlen ließen oder verschieben Sie bequemerweise Ihre Verachtung lieber auf die Ossis. Dann sind Sie auch nur einer, der im Trend liegt.
@hardob am 25.02.2011 um 09:39 + @Magda am 25.02.2011 um 22:18: Das Aufspalten in Ossis und Wessis ist nicht zielführend. Angeschmiert sind die einfachen Leute in Ost und West gleichermaßen.
@Magda schrieb am 25.02.2011 um 13:39: »Wenn ich "für" etwas gesprochen und argumentiert habe, dann für die "Freiheit des Wortes", für "Reisefreiheit" auch.«
Freiheit des Wortes: Das hört sich in der Theorie gut an, aber wichtig ist, ob das Wort gehört und berücksichtigt wird. Und das ist bei uns Normalbürgern nicht der Fall. Wir können alles Mögliche sagen, aber es geht in den Orkus. Wenn wir wichtig genug wären, dass wir gehört würden, dann würden wir wahrscheinlich angezeigt, siehe beispielsweise Wolfgang Thierse (TAZ-Artikel 'Das ist sächsische Demokratie').
Reisefreiheit: Das Negative Humankapital darf nicht nur ausreisen, sondern es soll sogar ausreisen.
»Ich denke, auf die Straße gegangen sind die Leute, weil sie glaubten, Reformen wären auch in der DDR eine Möglichkeit, aber man muss schon sehen, dass viele einfach nur die D-Mark wollten.«
Mit der Aufgabe der Nachwende-DDR ist die große historische Chance vertan worden, einen wirklich demokratischen und sozialen Rechtsstaat aufzubauen, der die BRD nurmehr auf dem Papier des Grundgesetzes ist.
Im Zusammenhang mit Wolfgang Thierse habe ich mich an eine Aussage einer Freitags-Nutzerin voriges Jahr erinnert: 'Thierse, blockier se! Eine kurze Nachbetrachtung zum 1. Mai in Berlin', aus dem Thread dort: »katharina schrieb am 03.05.2010 um 09:40: Und ich bleibe dabei: Ziviler Ungehorsam ist unendlich leichter in dieser Republik als in der untergegangenen DDR. ...«
Das »unendlich« bezweifle ich. Davon können inzwischen vier Generationen linker und bewegter BRD-Bürger ein Lied singen.
Verehrte Magda, verachten tu ich äußerstenfalls erst einmal mich selbst. Ich war weder klug und kräftig genug, dem Korruptionssystem des Dr. Kohl, welches ich immerhin seit 1982 hautnah studieren konnte, etwas entgegenzusetzen. Weshalb soll ich den "Ossies" einen Vorwurf machen, die erst ab 89/90 wirklich damit konfrontiert wurden. Ich verachte weder den allgemeinen Westdeutschen noch die Menschen aus der damaligen DDR. Dass wir zu kraftlos sind, diesem entgleisenden Politsystem eines Geldsackadels, dem alles wurscht ist, seine Grenzen aufzuzeigen, unterscheidet uns nur wenig von den Menschen in Frankreich, GroßBritannien und den USA. Zum Teil ließen wir uns sicher auch korrumpieren aus Denkfaulheit und fehlenden Wagemut. Aber ich muss auch eingestehen, eine wirkliche Chance hatten wir 1989/90 nicht, weder im Westen noch im Osten. Ob wir sie je kriegen werden, und wenn wir sie kriegen, ob wir sie nutzen? Ich weiß nicht. Ich bin da eher pessimistisch (Wobei ich andererseits wieder ein wenig Hoffnung in die jungen Leute habe, die vielleicht doch ...)
In Dresden sind sie jedenfalls auf die Straße gegangen, um Helmut-Kohl-Denkmale zu bauen.
www.freitag.de/community/blogs/mahung/ein-helmut-kohl-denkmal-in-dresden
Und in Dresden tuen sich sog. Bürgerliche zu lächerlichen und nutzlosen Menschenketten zusammen, verfluchen alles was sich zivil ungehorsam verhält als linksextrem und Dresdner "Verkehrspolizisten" schauen zu, wie Nationalsozialisten Menschen in Wohnhäusern überfallen. Etwas später, an anderer Stelle veranstaltet die gleiche Polizei, die sächsische nämlich, eine Razzia um Menschen mit "abweichenden" Meinungen, Frisuren und Habitus ordentlich zu ängstigen. Sehet her, ihr Abweichler, ist uns doch egal wofür ihr 89 auf die Straße gegangen seid. Hier in Sachsen herrscht unumwunden die Sächsische Staatspartei. Demokratie ja, aber bitteschön in der speziell sächsischen Lesart. Die sächsische Staatspartei ist lupenrein demokratisch und die sog. FDP ist lupenrein liberal bzw. eine große Werbeagentur. Und deswegen ist es auch völlig opportun, für einen semikriminellen Ex-Politiker völlig überschätzter Bedeutung ein Denkmal zu errichten. Das ist Sachsen bzw. Dresden. Hat eigentlich die Sächsische Staatsjustiz schon einen Auslieferungsantrag gegen Thierse an das Land Berlin gestellt?
Ich jedenfalls habe mir die Begrüßungskohle in Berlin (West) gekrallt und - frech wie Ossi - auch noch die Extrakohle in Bayern unter den Nagel gerissen. Ohne den Hauch eines schlechten Gewissens. Habe es ja gleich wieder in Umlauf gebracht. Eine Doppel-Live-Album von den Ärzten und eine Platte von den Abstürzenden Brieftauben. Den Rest des Geldes gab ich auch irgendwie aus. Das Begrüßungsgeld war doch volkswirtschaftlich gesehen auch nur eine Art Abwrackprämie für den Osten. Ein Konjunkturprogramm für den Binnenkonsum. Dann kamen die Autohändler und Videotheken, dann kam endlich die D-Mark, was uns wieder zu Kohl und Dresden bringt.
»... Hier in Sachsen herrscht unumwunden die Sächsische Staatspartei. ...«
Der "Freistaat" Sachsen ist dem "Freistaat" Bayern ja recht ähnlich geworden. Die "sächsische Demokratie" könnte genausogut "bayerische Demokratie" genannt werden. Bei uns ist die CSU immer noch allgegenwärtig, wenn auch nicht mehr alleinherrschend wie von 1962 bis 2008 (womit sie zeitlich länger durchgehalten hat als die SED). Allerdings können wir Bayern-Linke nur träumen von der Stimmenprozentstärke und der Mitgliederdichte der Sachsen-Linken. Wir sind noch zu wenig bedeutsam, um gestürmt zu werden; uns gegenüber reicht die Schikaniererei noch aus.
»Und in Dresden tuen sich sog. Bürgerliche zu lächerlichen und nutzlosen Menschenketten zusammen, verfluchen alles was sich zivil ungehorsam verhält als linksextrem und Dresdner "Verkehrspolizisten" schauen zu, wie Nationalsozialisten Menschen in Wohnhäusern überfallen. Etwas später, an anderer Stelle veranstaltet die gleiche Polizei, die sächsische nämlich, eine Razzia um Menschen mit "abweichenden" Meinungen, Frisuren und Habitus ordentlich zu ängstigen.«
Der Osten hat offensichtlich das Schlechtestmögliche vom Westen importiert. Zu bedenken gebe ich, dass man mit den sogenannten Normalbürgern nicht zu hart ins Gericht gehen sollte. Etliche haben inzwischen Angst vor den Neonazis, und auch vor den Staatslegionären. Mit Letzteren meine ich nicht die normale Streifenpolizei, sondern solche paramilitärischen Einheiten wie in Bayern das USK, das sich besorgniserregend aus dem demokratisch-rechtsstaatlichen Rahmen hinausbewegt, und zudem immer häufiger anstatt der regulären Bereitschaftspolizei und der normalen Streifenpolizei eingesetzt wird.
Den Kopf schüttle ich allerdings vor den Scheinheiligen, den Profilierungssüchtigen und den Ordnungsbürgern. Im Zusammenhang mit Letzteren gibt es inzwischen fließende Übergänge zwischen der Mitte, Rechts und Rechtsextrem. Die Rechtsextremen fischen bei den Normalbürgern, indem Erstere auf bürgerlich besorgt und sozial machen, um Akzeptanz und Stimmen zu bekommen, wobei in unserer Region zwar keine großen Prozentzahlen herauskommen, jedoch immerhin kommunale Sitze gewonnen werden konnten. Zweitens gibt es in meiner Stadt einen Fall, wo sich eine Bürgerwehr von Ordnungsbürgern gegründet hat, die wiederum von Rechtsextremen infiltriert wird. Das Glück im Unglück ist, dass Erstere ihr Sheriff-Spielen nicht recht durchhalten, und dass sich Zweitere durch ihre Vehemenz, die den Ordnungsbürgern zu krass ist, entlarven. Auch in unserer Region tummeln sich inzwischen rechtsextreme Leute und Organisationen, denen die NPD und die DVU zu lasch sind.
Lobend erwähnen muss ich, dass es inzwischen eine ganze Menge linke und bewegte Bürger gibt, die couragiert und engagiert aktiv sind. Besorgniserregend sind in dem Zusammenhang politische und gesellschaftliche Haltungen, die nicht nur rechtsextrem und linksextrem gleichsetzen, sondern auch linksextrem und linksdemokratisch, sowie linksdemokratisch und bewegtdemokratisch. Die Extremismusklausel ist ein Produkt aus dem Dunstkreis solch eines Denkens, das alles in allem gesehen die couragierten und engagierten Bürger nicht nur entmündigt, sondern auch noch die rechtslastigen Ordnungsbürger und die Rechtsextremen ermutigt.
"Die Extremismusklausel ist ein Produkt aus dem Dunstkreis solch eines Denkens, das alles in allem gesehen die couragierten und engagierten Bürger nicht nur entmündigt, sondern auch noch die rechtslastigen Ordnungsbürger und die Rechtsextremen ermutigt."
Bezeichnen wir diese Leute als das was sie sind: Mitteextremisten.