Aceh und das "Modell Osttimor"

INDONESIEN Nirgendwo sonst in Indonesien ist der holländischen Kolonialmacht energischer widerstanden worden als an der Nordspitze Sumatras. Erst 1903 kam die ...

Nirgendwo sonst in Indonesien ist der holländischen Kolonialmacht energischer widerstanden worden als an der Nordspitze Sumatras. Erst 1903 kam die fruchtbare und vom Handel lebende Region unter deren Kontrolle - 42 Jahre später war Aceh die einzige Provinz, die von den Holländern unmittelbar nach dem II. Weltkrieg aufgegeben werden musste. Angeführt wurde der Widerstand von reformistisch-islamischen Gruppen, die bis 1949 auch die alte Aristokratie Acehs entmachteten und sich selbst als Teil der indonesischen Nationalbewegung verstanden. Gleichwohl begann 1953 eine von derselben Fraktion getragene Aufstandsbewegung gegen Jakarta mit dem Ziel, einen islamischen Staat zu errichten. Nach langwierigen Verhandlungen gab es 1962 einen Kompromiss - Aceh erhielt einen Verwaltungsstatus mit größeren Befugnissen bei Religion, Kultur und Bildung. Allerdings wurde seinerzeit keine Trennung von Indonesien erwogen.

Während die Unabhängigskeitsbewegung Aceh Merdeka zur Zeit gern auf die besondere Rolle des Islam verweist, sind es doch eher Folgen der Wirtschaftsentwicklung und des brutalen Verhaltens der indonesischen Militärs, die als Katalystoren der Eskalation wirken. Anfang der siebziger Jahre wurden vor der Küste Acehs vom US-Konzern Mobil Oil Erdöl- und Erdgasvorkommen erschlossen, deren Ausbeutung dank damaliger OPEC-Preise der Region einen Boom bescherte. 1985 war das Pro-Kopf-Einkommen in Aceh fast dreimal höher als im nationalen Durchschnitt. Außerdem sicherte die Provinz zuweilen drei Milliarden Dollar an Exporteinnahmen, auch der größte Teil der Steuern und Konzessionsgebühren aus dem Öl- und Gasgeschäft floss nach Jakarta. In Aceh selbst entstanden indes nur wenig dauerhafte Arbeitsplätze. Einheimische Firmen kamen bei Auftragsvergaben nur zum Zuge, wenn sie über einen direkten Draht zum Suharto-Clan verfügten.

So hatte der im Ausland lebende Hassan di Tiro, der schon in den fünfziger Jahren an CIA-Aktion gegen Präsident Sukarno teilnahm, kaum Schwierigkeiten, eine Führungs crew aus unzufriedenen Intellektuellen und Unternehmern für seine Bewegung Aceh Merdeka um sich zu scharen. Ein erster Aufstandsversuch 1976 blieb noch begrenzt und wurde vom Militär mühelos niedergeschlagen. Anfang 1989 war in Aceh eine Situation herangereift, in der Anschläge von Aceh Merdeka gegen Militärs und Polizisten im Volk auf eine breitere Resonanz stießen. Nachdem örtliche Armee-Einheiten zu nächst zögerlich gegen die Rebellen vorgingen, wurden 1990 die Kommandeure ausgewechselt und neue Truppen geschickt. Für den Historiker Geoffrey Robinson liegt darin eine Hauptursache für die Konfliktgenese. Einerseits bewirkten die Repressalien bei der Bevölkerung zusehends eine Entfremdung von der Zentralregierung, andererseits schlossen sich den Rebellen Offiziere und Soldaten an, die zuvor die Armee verlassen mussten, weil sie mafioser Verbindungen zum örtlichen Marihuana-Anbau verdächtigt wurden. Die Provinz erhielt den Status eines Operationsgebietes, womit das Militär auch formalrechtlich die Handhabe besaß, nach eigenem Gutdünken zu verfahren. Jetzt kamen Kommandeure, die zuvor in Osttimor stationiert oder an der "Operation Petrus" beteiligt waren, bei der 1985/86 einige tausend angebliche Kriminelle in Jakarta und anderen Großstädten getötet wurden.

In Aceh gab es fortan öffentliche Hinrichtungen, die Leichen von getöteten Aceh-Merdeka-Anhängern wurden auf Plätzen und Straßen zur Abschreckung liegengelassen. Zudem sollte sich die einheimische Bevölkerung direkt an der Counterinsurgency beteiligen, ähnlich wie in Osttimor wurden Milizen aufgebaut. In einem allgemeinen Klima der Angst zeitigten diese Methoden zunächst Erfolge - nach mehr als 2.000 Toten schien Ende 1991 Aceh Merdeka weitgehend zerschlagen.

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