Wer kennt das nicht? Man sitzt gemütlich am Tisch. Es wird geprostet, gegessen und irgendwann bringt jemand das Gespräch auf „diese Political-Correctness-Seuche.“ Aller Erfahrung nach folgt dann entweder Zustimmung oder Protest oder verstimmte Stille. Hier aber sagt die Gastgeberin: „Oh, oh. Das ist ja hart.“ Dann fährt ihr Gegenüber, es ist der Kabarettist Moritz Netenjakob, fort. Ein Kollege sei von einer Filmproduktion gefragt worden, ob er unter einem weiblichen Pseudonym schreiben möchte, „am besten noch mit Migrationshintergrund“. Die Gastgeberin erklärt: „Die wollen so tun, als wäre es eine Frau, damit sie die Quote haben.“ Es ist Alice Schwarzer.
Die Szene ist symptomatisch für den Film, aus dem
, aus dem sie stammt. Gezeigt wird die prominente Feministin Schwarzer im privaten Rahmen, der sich geradezu zwangsläufig politisch füllt. Dabei scheint ungewiss, ob sich das „ist ja hart“ auf die Political Correctness bezieht oder auf deren Bewertung als „Seuche.“ Netenjakob wäre zu fragen, warum er seine Anekdote ausgerechnet der Political Correctness anlastet anstatt der Filmproduktion. Stattdessen deutet Alice Schwarzer die Angelegenheit zur reinen Frauenfrage um und behält damit dann das letzte Wort. Dem Publikum drängt sich die Frage auf, was die österreichische Regisseurin Sabine Derflinger (die zuletzt für ihren Dokumentarfilm Die Dohnal – Frauenministerin/Feministin/Visionärin viele Preise bekam) in ihrem neuen Dokumentarfilm Alice Schwarzer eigentlich zeigen will.Vom Heute ins GesternWas sie ursprünglich zeigen wollte, erklärt Derflinger im lesenswerten Presseheft (es ist frei im Internet verfügbar). Sie wollte Alice Schwarzer rund um die Veröffentlichung ihres Buches Lebenswerk (2020) intensiv begleiten und aus der „Beobachtung der Gegenwart auch in die Vergangenheit blicken“. Dann kam Corona und es wurde doch die eher übliche Mischung aus viel Archivmaterial und aktuelleren Interviews und Impressionen.An den Ausschnitten aus alten Fernsehsendungen und Talk-Shows kann man sich natürlich kaum satt sehen. Wichtiger noch: Schwarzers Engagement gegen den Paragrafen 218 wird beeindruckend dokumentiert und über heutige Demonstrationen etwa gegen den politischen Backlash in Polen und in den Vereinigten Staaten mit der Gegenwart verschränkt. Hier kommt der Film seinem Ziel (O-Ton Presseheft), ein „wertschätzendes Porträt der Errungenschaften dieser Frau“ zu zeichnen, am nächsten. Auch Derflingers Intention, Schwarzers „heutige Positionierung zu bestimmten Themen“ nicht zu verteidigen, aber als „logische Konsequenz“ ihrer Geschichte zu erklären, gelingt nachvollziehbar – zumindest dort, wo sich der Film Zeit nimmt, Schwarzers persönliche Bindungen an die Frauenbewegungen im Iran und in Algerien zu beleuchten.Leider kommt aus jener Maischberger-Sendung, zu der Schwarzer und Reyhan Şahin alias Rapperin Lady Bitch Ray geladen waren, nur der Austausch über sexuelle Aufklärung in türkischen Familien vor. Der spätere Aufruhr, als Şahin mit Bezug auf ihre Doktorarbeit das Tragen von Kopftüchern differenziert verteidigt und Schwarzer wetternd ihre eigenen Gespräche mit Muslimas dagegenhält, wäre ebenso aufschlussreich. Hier ließe sich nämlich erahnen, warum Alice Schwarzer, wie Derflinger gerade in einem Interview mit der Emma konstatiert, „nicht versteht, warum sie so für ihre Standpunkte angegriffen wird“. Diese Standpunkte bildeten sich in erster Linie aus Schwarzers eigener Arbeit, aus persönlichen Begegnungen von prägender Dringlichkeit – und finden mit den Gegenstimmen einer Generation, die eher akademisch und durch Internet- und Social-Media-Aktivismus geprägt ist, keine gemeinsame Sprache.Eingebetteter MedieninhaltZudem dokumentiert Alice Schwarzer seine Heldin als glückliche Gefangene im Elfenbeinturm ihrer hart erarbeiteten Position. Ob im lockeren Gespräch, auf Podien oder in den Redaktionssitzungen – Schwarzer hält auffallend oft Monologe, die von anderen nur noch abgenickt werden. Das macht vor allem in der Emma-Redaktion einen fatalen Eindruck. Im Editorial der allerersten Emma-Ausgabe schrieb Schwarzer noch: „Unsere Zeitung wird kollektiv gemacht. Es gibt keine ‚Chefin‘, die über die Köpfe der anderen hinweg entscheidet.“ Dieser Anspruch löst sich hier anscheinend in einer Arbeitssituation auf, in der ohnehin alle immer einer Meinung sind.In diesem widerspruchslos wirkenden Kollektiv könnte auch einer der Gründe dafür liegen, warum Schwarzer ihre Kritik am Transaktivismus beharrlich so undifferenziert übt, dass ihr z. B. vom jüngeren feministischen Missy Magazine „Transfeindlichkeit“ attestiert wird – und Wohlmeinende sich um Deeskalation bemühen. So lag es an Schwarzers Verlegerin, in einem Nachwort zu deren jüngster „Streitschrift“ Transsexualität, der Identität von Transmenschen und deren Befreiungskampf Respekt zu zollen. Um Vermittlung bemüht, geht auch Derflinger auf diese Debatte ein, aber nur im Presseheft. Im Film wäre ihr dieses Thema „eine Runde zu viel“ gewesen.Am Ende steht Schwarzer vor dem Spiegel, setzt sich Kontaktlinsen ein und redet darüber, wie sie wahrgenommen wird. In der Öffentlichkeit, sagt sie verwundert, blende man alles aus, was dem Klischee widerspricht, dass sie lediglich eine „One-Woman-Show“ fahren würde. Ein bemerkenswertes Fazit für ein Porträt, das über weite Strecken eine One-Woman-Show ist. So viele Fragen der Film auch offenlässt, ihm gelingt es, auch die Widersprüche seiner Heldin auf den Punkt zu bringen.