Allein gegen alle

Kommentar Venezuelas Opposition auf der Isolierstation

Auch nochmalige Überprüfungen des Referendums vom 15. August haben bestätigt, was man schon wusste. Hugo Chávez, der charismatische Sozialreformer, kann bis zum Januar 2007 im Amt bleiben. Er und seine Bewegung V. Republik (MVR) gehen deutlich gestärkt aus den vergangenen zwei Wochen hervor - in Venezuela wie auch international. Selbst die keineswegs der Sympathien für Chávez verdächtige Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat die Entscheidung vom 15. August akzeptiert und sich damit erstmals klar gegen die innere Opposition gestellt.

Die Ironie der Geschichte ist, dass sich die Chávez-Gegner mit dem Referendum des Instruments einer partizipativen Demokratie bedient hatten, die sie sonst als Teil einer "Kubanisierung" zu verteufeln pflegten. Zum Nachweis von politischer Glaubwürdigkeit taugte das eben so wenig wie zur Überzeugung des eigenen Anhangs. Was die Demokratische Koordination nun allerdings vollends der Lächerlichkeit preisgibt und in die Isolation driften lässt, das ist ihre fortgesetzte Weigerung das Votum anzuerkennen. Und das, obwohl über 100 internationale Beobachterdelegationen dessen regulären Ablauf bestätigt haben. Wer es vor dem 15. August nicht geglaubt hat, der kann jetzt direkt miterleben, dass es der Opposition im Konflikt mit der Regierung nicht um Menschenrechte, Pluralismus oder demokratische Regeln geht, sondern allein um die Macht.

Mehr denn je ist auch erkennbar: Nicht Chávez trägt die Schuld an der inneren Konfrontation. Als sich die Zwei-Parteien-Ordnung aus Copei (Christdemokraten) und AD (Sozialdemokraten) nach jahrzehntelanger parasitärer Misswirtschaft Ende der neunziger Jahre aufzulösen begann, war es nur eine Frage der Zeit, dass eine neue Kraft das entstehende Vakuum ausfüllen und die vorhandene Polarisierung der venezolanischen Gesellschaft nutzen würde. Denn die soziale Kluft war real und jenen Jahrzehnten zu verdanken, in denen sich eine postkolonial gefärbte Oberschicht mit geradezu kleptokratischer Obsession der Öldividende bedient hatte. Verteilungskämpfe innerhalb dieser Kaste und wachsender sozialer Druck von unten ließen dieses System kollabieren. Wäre nicht Chávez in Erscheinung getreten, hätte ein anderer die "Wende" vollzogen.

Seine Zuwendung zu den marginalisierten Schichten vom ersten Tage seiner Präsidentschaft an wird im Westen gern als Linkspopulismus verdammt. Tatsächlich war und ist Chávez ein Mann des Übergangs von einer oligarchischen Herrschaft mit einer hohen strukturellen Gewalt zu einem modernen und reformierten Sozialstaat, in dem auch Unternehmertum und Privatwirtschaft ihren Platz haben. Venezuelas Modell des sozialen Ausgleichs - wenn es denn seine Chancen wahrt - könnte in Lateinamerika eher eine Zukunft haben als die von Gewalt, Depression und nationalem Ausverkauf zerrütteten Systeme Kolumbiens, Boliviens oder Argentiniens.


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