Als Held kommt keiner davon

Musik Was zunächst aufregt, wird bald ins Herz geholt – altes Bayreuth-Gesetz. Nun geht Frank Castorfs „Ring“ in die zweite Runde
Ausgabe 30/2014

An diesem Freitag eröffnen die Bayreuther Festspiele mit Sebastian Baumgartens Inszenierung des Tannhäuser. Groß war die Aufregung vergangenes Jahr über die Biogas-Anlage für Elisabeths Tod. Das wird wieder für Gesprächsstoff sorgen, und so haben die Festspiele auf ihrer Webseite die „10 meistgestellten Fragen zum Bayreuther Tannhäuser 2011“ aufbereitet. Das kann man als neue Form des Programmhefts sehen, mit der neben dramaturgischer Hintergrundarbeit auch die aktuelle Diskussion freundlich beleuchtet wird.

Die größte Aufmerksamkeit wird sich wohl – Neuproduktionen gibt es diesmal keine – auf eine andere Wiederaufnahme richten: Frank Castorfs Ring des Nibelungen, ein Weltenpanorama, das mit erstklassiger Volksbühnenästhetik samt Live-Video im Rheingold als Gangsterballade in einem texanischen Motel beginnt, um dann die Walküre in die Anfänge der Ölförderung in Aserbaidschan und die Zeit der sowjetrussischen Revolution zu versetzen. Es geht um Gold und Öl, Kapitalismus und Sozialismus im Rückblick auf das 20. Jahrhundert, und als Held, so hatte Wagner es ja vorgesehen, kommt dabei keiner davon.

Pfeifen wie bei Wagner

Eine Gesamtlogik der Ring-Erzählung bis zur Götterdämmerung an der New Yorker Börse und ihren schäbigen Rückseiten wird von Castorf und seinem kongenialen serbischen Bühnenbildner Aleksandar Denic bewusst nicht angestrebt. Das assoziative Theater der beiden wirbelt kräftig um Wagners Musik-Drama. Das Pathos zu brechen, mit dem der Ring-Zyklus selbst heute noch aufgeladen ist, und Wagners widersprüchliche Weltanschauungen mit mehrschichtigen Bildbezügen aus der realen Geschichte wiederzugeben, dafür war das Engagement des Duos die künstlerisch zeitgemäßeste Wahl zum 200. Geburtstag Wagners. Ein Glücksfall ist zudem die musikalische Klarheit des Dirigenten Kirill Petrenko.

Jetzt, beim zweiten Durchgang, wird sich das Gesamtbild etwas analytischer betrachten lassen als nach der Premiere. Ein altes Bayreuth-Gesetz: Was zunächst heftig aufregt, wird dann bald ins Herz geholt, am Ende manchmal geistreich mit Wohlgefallen erschlossen. Der Buh-Orkan für Castorf hatte epische Dimensionen, sogar Trillerpfeifen holten die Gegner wie zu Wagners Zeiten hervor. Als der Regisseur beim Premierenapplaus beide Zeigefinger auf seinen Kopf richtete, wurde das als dem Publikum einen Vogel zeigen missverstanden. Gemeint hatte er, lieber mal drüber nachzudenken, statt loszutoben.

Im Grunde ist auf dem Grünen Hügel nach den Proben für dieses erlebende Nachdenken alles bestens gerichtet. Allerdings haben Umbesetzungen durch die Festspielleitung den Unmut des Regisseurs hervorgerufen. Dass der Alberich des Martin Winkler ersetzt wurde, der Castorfs Spielweise inspiriert ins Ensemble trug, ist dem Gesamtprojekt wenig dienlich. Sichtbar wird damit auch ein größeres Problem. Die von der Festspielleitung gern deklarierte „Werkstatt Bayreuth“, in der an Inszenierungen weitergearbeitet werden soll, ist kaum möglich, wenn die knapp bemessenen Proben die Fluktuation in der Top-Liga des internationalen Sängerbetriebs auffangen müssen. Das mag andere Regisseure weniger stören, aber Castorf, dessen Theaterstil auch aus der Persönlichkeit seiner Spieler entwickelt ist – was ihn eben zu einem der bedeutendsten Regisseure unserer Zeit hat werden lassen –, ist das auch bei der Großoper nicht egal. Die zehn wichtigsten Fragen zum Ring gibt es übrigens noch nicht. Aber der läuft noch bis 2016.

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