Alte Verbundenheit

Afrika Die ehemalige deutsche „Musterkolonie“ Togo leidet unter Korruption und autoritärer Herrschaft. Die Opposition hofft ausgerechnet auf Deutschland
Ausgabe 31/2020

Wir eilen durch die Straßen von Lomé, der Hauptstadt des kleinen afrikanischen Landes an der westafrikanischen Küste, am Golf von Guinea. Schaut man auf den Globus, so wird Togo erdrückt von den Ländern Ghana, Benin und Nigeria. Touristen gibt es kaum, und die wenigen Weißen, die einem auffallen, sind die Mitarbeiter europäischer Hilfsorganisationen. Der Jahresbeginn war turbulent: endlich Wahlen.

In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 2020 verkündet die staatliche Wahlkommission (CENI) einen Sieg für Faure Gnassingbé. Mit 72 Prozent der Stimmen sei er für eine vierte Amtsperiode als Präsident gewählt worden. Manipulationsvorwürfe werden laut, Wahlbeobachter ausgewiesen, Kritiker verhaftet. Der 54-jährige Sohn des verstorbenen Diktators Étienne Gnassingbé Eyadéma bleibt an der Macht. Seit 60 Jahren beherrschen die Gnassingbés Togo und haben es zu einem Familienunternehmen werden lassen. Auf dem diplomatischen Parkett der Welt werden sie weiterhin empfangen. „Wie geht es Deutschland?“, ruft mir auf dem Markt ein Händler zu: Woran er uns wohl erkannt haben mag?

Am 3. Mai legt Faure Gnassingbé seinen Amtseid in der Hauptstadt Lomé ab. In dieser Nacht wird Oberst Bitala Madjoulba in seinem Büro ermordet, einer der wenigen Sympathisanten der demokratischen Opposition im Offiziersrang. Agbéyomé Kodjo, der politische Verlierer der Wahl, ist unter Hausarrest gestellt. Seit der Bekanntgabe der Wahlergebnisse, die er angefochten hat, werden er und seine Kinder bedroht. Kodjo behauptet, der wahre Sieger zu sein. Seine Forderungen führten am 21. April zu seiner Verhaftung durch den Geheimdienst und drei Tage später zu seiner Freilassung unter richterlicher Aufsicht, wobei die Verfolgung seiner Ansprüche verboten war. Da er diese aufrechterhielt, wurde er erneut vom Gericht vorgeladen. Nach seiner Weigerung, dieser Vorladung Folge zu leisten, wurde ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Seitdem gibt es keine Nachricht von ihm. Ist er immer noch im Land? Ist er im Exil? Niemand weiß es. Nur die Spekulationen gehen weiter. Die Anhänger des Regimegegners behaupten, dass er um sein Leben fürchtet, aufgrund von Todesdrohungen und einem klaren Plan des Regimes, ihn physisch zu eliminieren.

Seit Ende Mai werden in Lomé Menschen auf offener Straße von Militärs und Polizisten getötet, weil sie die Corona-Ausgangssperre verletzt hätten. Amnesty International in Togo schweigt.

Deutsche Funktechnik

Wenige wissen, es gibt eine lange gemeinsame Geschichte zwischen Togo und Deutschland. Der Reichskommissar für Deutsch-Westafrika Dr. Gustav Nachtigal hatte am 5. Juli 1884 drei „Chiefs“ in einem kleinen Dorf im Süden der westafrikanischen Goldküste empfangen. Er trug einen Vertrag unter dem Arm, garantierte, die Region in den Rang eines Königreichs zu erheben und unter den Schutz des deutschen Kaisers zu stellen. Der Bevölkerung wurde ein Paradies auf Erden versprochen: Togoland sollte es heißen, nach dem an der Lagune liegenden Dorf. Die drei Gesandten Plakku, Oklu und Kudertschi waren bester Dinge.

Im Sommer 1914, bevor die Kolonie Togo im Zuge des Ersten Weltkrieges an die Briten und dann an die Franzosen übergeben werden sollte, erlebten die Afrikaner ein Wunderwerk deutscher Technik: drei 75 Meter und sechs 120 Meter hohe stählerne Türme wurden in dem Ort Kamina aufgerichtet, erstrahlten nachts im Schein elektrischer Glühbirnen und konnten bis zu 5.000 Kilometer weit in unsichtbaren Wellen Nachrichten versenden: in alle Himmelsrichtungen, in alle Kolonien, auch nach Berlin, an das Ende der Welt.

Die „Deutsche Kolonialgesellschaft“ mit Sitz in Berlin sollte Eisenbahnstationen errichten, Wasserlöcher bohren, Phosphat fördern, erfolglos nach weiteren Bodenschätzen suchen, die große Landungsbrücke für Schiffe ins Meer bauen und die Bevölkerung prügeln. In der „Musterkolonie“ Togo galten die Deutschen dennoch als freundliche Menschen. Sie führten die Pockenschutzimpfung für Kinder ein, entwickelten ein Schul- und Bildungssystem, ließen den Menschen ihre eigene Sprache, formulierten gelegentlich abstruse Rassentheorien, und bei öffentlichen Stockschlägen gab es noch einen Extraschlag, der war für den Kaiser in Berlin.

Aus dem Alltagsbewusstsein der deutschen Bevölkerung ist Togo verschwunden. Die meisten der knapp acht Millionen Menschen dort sind bitterarm. Gewinnbringende Unternehmen sind bis auf wenige Ausnahmen in französischer Hand oder gehören der Familie Gnassingbé und den politischen Eliten.

Gnassingbé Eyadéma und Faure, Vater und Sohn, sind die Profiteure einer postkolonialen Politik. Dabei hätte alles anders kommen können. Im Jahre 1958 wurde Sylvanus Olympio aus dem Volk der Ewe zum ersten Präsidenten Togos gewählt. Er sprach Deutsch, war ein überzeugter Demokrat und mit Bundespräsident Heinrich Lübke befreundet. Er wollte eine eigene Währung einführen, wirklich unabhängig werden und hätte den alten Kolonialmächten, allen voran Frankreich, gefährlich werden können. Die wenigen Rohstoffe und vor allem der zentrale Überseehafen von Lomé sollten verstaatlicht werden.

Widerstand der Bischöfe

Am 13. Januar 1963 wurde der erste frei gewählte Präsident auf der Flucht ermordet. Fest steht, dass Olympio angesichts eines drohenden Putschs in die amerikanische Botschaft floh, es kam zu einem Telefonat zwischen dem französischen und dem amerikanischen Botschafter. Danach fühlte sich Olympio im Haus nicht mehr sicher, eilte in den Garten der Botschaft und wurde erschossen. Der Schütze, Gnassingbé Eyadéma persönlich, wurde drei Jahre später Präsident. Ungeachtet dessen unterstützte der deutsche Politiker Franz Josef Strauß den Diktator über Jahrzehnte hinweg, mehr noch, es verband sie eine „Männer-Freundschaft“.

Mehrere hundert Millionen D-Mark sind über deutsche entwicklungspolitische Organisationen oder auch die Hanns-Seidel-Stiftung in das Land geflossen. Strauß sah in Togo ein Modell für Afrika, reiste mit dem Diktator auf Safari, schoss die letzten Elefanten tot und verlieh dem Mörder den Bayerischen Verdienstorden.

Das Verhältnis von Franz Josef Strauß zur politischen Elite in Togo ist eng mit dem Fleischwarenunternehmer Josef März verbunden. März, ebenso wie Strauß aus einer Metzgerfamilie stammend, war mit seinem Konzern Marox von 1970 an in Togo und anderen Ländern Subsahara-Afrikas aktiv. In Togo betrieb das Unternehmen Brauereien, Wurst- und Fleischfabriken und ein großes Wirtshaus am Hafen. 1971 reiste auch Strauß zum ersten von insgesamt acht Malen nach Togo. Hier residierte er im ehemaligen deutschen Gouverneurspalast an der Strandpromenade. So sagte Faure Gnassingbé bei seinem Staatsbesuch in Berlin im November 2018: „Es gibt da eine Verbundenheit zwischen unseren Ländern, die lässt sich nicht zerstören.“

Ein Zentrum des Widerstandes ist die togoische Bischofskonferenz, ihre Protagonisten sind Beleg dafür, dass die Befreiungstheologie in Afrika noch eine Heimat hat. Einmütig haben die Bischöfe sich gegen den Diktator gestellt. Philippe Kpodzro, früherer Erzbischof von Lomé, kritisiert die herrschende Politik seit Jahren. Für den 90-jährigen Kpodzro war die Wahl in diesem Jahr eine einzige Manipulation. Wegen solcher Kritik wurde Erzbischof Kpodzro verhaftet und war stundenlangen Verhören ausgesetzt.

„Solange das gesellschaftspolitische Leben von der Armee dominiert wird, solange die Legislative und die Judikative nicht wirklich unabhängig sind, solange Korruption und Straflosigkeit weiter gedeihen, werden die Spannungen nicht wirklich aufhören“, so die Stellungnahme der Bischöfe im Juli 2020.

„Solange Lügen vor allem in den Medien und sozialen Netzwerken als Strategie zur Destabilisierung von Menschen und Institutionen eingesetzt werden, solange List als Mittel zum Erlangen und Erhalten von Macht eingesetzt wird, solange Gewalt nicht verurteilt und ausgemerzt und ihre Täter und Sponsoren nicht bestraft werden, werden weitere politische Umwälzungen im Land unvermeidlich sein.“ Im Norden sammelt sich die demokratische Opposition, hier investiert die Regierung nicht mehr in Straßen und Schulen, überall herrscht Angst, dennoch entsteht eine Bürgerbewegung unter dem Namen „Togo Debout“, an den beiden Universitäten formiert sich studentischer Protest. Warum reist keine Delegation der deutschen Kirchen nach Togo und besucht Gefangene, warum erklären sich deutsche Studierendenschaften nicht für die Universitäten in Lomé, warum hält der deutsche Außenminister nichts von Afrika, anders als sein Vorgänger?

In Lomé fürchten die politischen Eliten, Deutschland und Frankreich könnten eines Tages die Menschenrechtsfrage in Togo entdecken. „Das wäre gefährlich für Faure“, flüstert uns der Kellner im Gasthaus Alt München zu, „aber ihr habt ja genug mit euch zu tun: Uns und die Demokratie in Togo hat man in Deutschland und Brüssel vergessen. Den Chinesen ist das egal.“

Christoph und Johannes Nix reisen oft gemeinsam durch Afrika. Das Theater Konstanz – mit seinem zur nächsten Spielzeit ausscheidenden Intendanten Christoph Nix– gestaltet seit zwölf Jahren Partnerschaften mit verschiedenen Gruppen in afrikanischen Ländern, darunter der Compagnie Louxor in Lomé, Togo, der Troupe Lampyre in Bujumbara, Burundi, und dem Institut TaSUBa in Bagamoyo, Tansania.

Der Verein „Theater in Afrika“ (Vorsitz: Christoph Nix) setzt sich seit 2015 für Theaterprojekte in Subsahara-Afrika ein. Außerdem werden theaterpädagogische Workshops, zum Beispiel in Gefängnissen, Waisenhäusern und Geflüchteten-Unterkünften, realisiert sowie „Minikredite“ an afrikanische Theatermacher. Johannes Nix studiert Sozialwissenschaften in Berlin, er hat den Verein „Stop Child Trafficking in Togo“ gegen Kinderhandel gegründet. Von seinem Vater Christoph erschien im Frühjahr im Transit Verlag der in Togo angesiedelte Kriminalroman Lomé. Der Aufstand.

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