Auf dem Eismeer

12. Russische Filmwoche Das russische Gegenwartskino beschwört die Einigkeit einer zerrissenen Gesellschaft
Ausgabe 48/2016

Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, wann die nächste Inkriminierung einsetzt und einer der vormals Ihrigen zum Staatsfeind mutiert: Nein, nicht von der Festnahme des liberalen russischen Wirtschaftsministers ist die Rede, sondern von Regisseur Alexei Utschitel, dessen Zar-liebt-Ballerina-Biopic Matilda (mit Lars Eidinger als Nikolaus II.) noch vor Fertigstellung die Anklagebank droht. Schon im Juli war eine change.org-Petition aufgetaucht, die das Filmprojekt der historischen Lüge bezichtigt hatte. Nun drängen bewegte Bürger und deren Sprachrohr — die Fan-Art-Ikone weil Krim-Generalstaatsanwältin und nun Duma-Abgeordnete Natalia Polonskaja — auf „antireligiöse Propaganda“.

Mit Utschitel würde es jemanden treffen, der es sich in der kulturpolitisch prekären Filmbranche bisher eigentlich gut eingerichtet hatte. Der Leiter des neuerdings wieder hoch dotierten St. Petersburger Dokumentarfilmfestivals Message to Man hatte schließlich im Frühjahr 2014 seine Unterschrift unter den Aufruf russischer Kulturschaffender zur Unterstützung von Putins Krim-Politik gesetzt.

Steil nach oben verläuft hingegen die Erfolgskurve von Altmeister Andrei Kontschalowski. Sein erzählerisch verspieltes Holocaust-Drama Paradies, in Venedig mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet und Russlands offizieller Kandidat im Rennen um den Auslands-Oscar, war das künstlerische Aushängeschild der Russischen Filmwoche. Sie wurde in diesem Jahr bezeichnenderweise nicht im repräsentativen Berliner Kino International eröffnet, sondern im sehr viel weniger internationalen Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur. Kontschalowskis großartiges Schauspielerensemble agiert subtil, neben Gattin (und Superstar) Julia Vysotskaya, die eine russische Emigrantin in der französischen Résistance spielt, haben in der bayerischen Koproduktion Christian Clauß und Peter Kurth (als Nazis) tragende Rollen.

Fingerspitzengefühl braucht, wer die Russische Filmwoche kuratiert. Es empfiehlt sich etwa, Filme auszuwählen, die vom russischen Kulturministerium und seinem wichtigsten Fördergremium, dem Fond Kino, finanziert sind. Dass das nicht immer automatisch für naheliegende Kompromisse und politische Eindeutigkeiten steht, führten die beiden Genre-Hits im Programm vor: Der Fälscherkrimi Reine Kunst – der, so gebietet es das Protokoll, als Eröffnungsfilm lief, schließlich fungiert Regisseur und Produzent Renat Davletiarov als Mitorganisator der Filmwoche – und der aktuelle russische Verleih-Hit-Katastrophenfilm Eisbrecher, eine Riesenproduktion in der Regie des bisherigen Autorenfilmers Nikolaj Khomeriki.

Nicht zufällig ist es jeweils das hübsch-unschuldige Gesicht von Pyotr Fyodorov, das über die tiefen Gräben hinwegsehen lässt, die die russische Gesellschaft prägen. Beide Filme können als Kommentar auf die aktuellen politischen Verhältnisse gelesen werden.

Welch Sinnbild

Einmal gibt Fyodorov den jüngsten von drei Kapitänen auf dem Eisbrecher Michail Gromow, der – tatsächlich 1985 – 133 Tage durch die Antarktis trieb. Kumpelhaft demokratisch packt Fyodorovs Figur mit an, wo Not am Mann ist. In einer Führungsposition, bemerkt der altgediente Steuermann (die Vox populi), empfiehlt sich das nicht. Schon nach der ersten Krise kommt es zum Putsch, es übernimmt ein Intrigant, dessen Machtgier keine Grenzen kennt.

Doch der computeranimierte Eisberg rückt näher. Das Zentrum schickt nun die alte Garde, und dieser dritte Kapitän repräsentiert unhinterfragbare Autorität, verrennt sich dabei aber (geplagt von den Altlasten der Vergangenheit) in sturer Isolation. Das Staatsschiff in der Tauwetter-Krise – welch Sinnbild für Putins Russland. Was am Ende die Kollision mit dem Giganten verhindert, ist die brüderliche (Frauen und Hunde kommen nur am Rande vor) Vereinigung der drei ungleichen Souveränitätsmodelle. Nur gemeinsam, den Geist des Stalinismus mit jenem der Perestroika vereinend, sind sie stark.

Reine Kunst, ein Krimi rund um einen russischen Kunstfälscherring, der auffliegt, weil der Kreml dabei zufällig ein Bild erhält, das er dem US-Präsidenten schenkt (dreistes Drehbuch, ja), legt die Machtapparatur schließlich scheinbar bloß. Und vertuscht sie doch, wie das eben nur im Genrefilm geht: Mafia und Staatssicherheit (mit „eisernem Felix“ an der Wand) arbeiten Hand in Hand. Das Opfer: der Künstler. Vielleicht ist das die letzte Parabel, die noch erzählt werden kann.

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