Bye Bye Die Telekom baut ihre Telefonzellen ab: Wenn wir ehrlich sind, standen wir nie wirklich gerne darin oder davor. Woran das liegt und was uns dennoch fehlen wird, erklären unsere Autor:innen
Einst prägten sie das moderne Stadtbild – jetzt haben sie ausgedient: Die Telekom baut ihre Telefonzellen ab
Foto: Imago/Olaf Wagner
Ring, ring, rring
Natürlich lohnen sich Telefonzellen in Zeiten von Smartphones nicht mehr. Aber wer denkt nun eigentlich an all die verruchten Agenten, die wie Tom Cruise in Mission Impossible oder Robert Redford in Die drei Tage des Condor ihre wichtigsten Informationen erst in den gläsernen Häuschen erhielten? Wen gemahnt es noch an die Serienmörder (Stirb langsam) oder die Verliebten (Die fabelhafte Welt der Amelie), die ihrem Gegenüber über die Leitung das Lösen von Rätseln abverlangten? Und wer fängt nun all die ansonsten in den Hörer gebrüllte Wut auf? Unvergessen mutet doch etwa Robert de Niros Zorn in der Kabine an, als er in GoodFellas vom Tod eines befreundeten Mafioso erfährt.
Und so dürfte die Abschaltung der Telef
erfährt.Und so dürfte die Abschaltung der Telefonzellen zumindest bei Cineasten für etwas Wehmut sorgen. Ohne sie wären zahlreiche Filme so nicht erzählt worden, zumal die Miniaturgebäude allen voran in den Genres Thriller und Spionagedrama eine handlungsmotivierende Funktion erfüllten. Aber nicht nur für Spannung, die oft aus der Abwesenheit zentraler Strippenzieher resultiert, waren sie eine Garantie. Sie dienten ebenso zur Tour d’horizon in andere Sphären. Entweder wie in der Science-Fiction-Komödie Bill und Teds verrückte Reise durch die Zeit als Vehikel in die Vergangenheit oder wie in Harry Potter als Tor zum Zaubereiministerium. Was sich in unserer Alltagswahrnehmung als trister Nicht-Ort darbot, erwies sich im Kino somit immer wieder als arkane Schwelle des Übergangs. Auf einem kleinen Quadrat fand reichlich Fantasie Raum, die mithin in unsere Realität wirkte. Denn wer von uns ging schon nicht einmal an einer Zelle vorüber und fragte sich insgeheim: Ob es darin auch einmal für mich klingeln wird? Björn HayerMagenta rulesEs gab sie im Osten wie im Westen, die gelben Zellen gehörten zur Post und somit zum Staat. Dann in den 1990ern war die Telekom auf dem Weg, sich zu privatisieren, mit eigenem Magenta-Logo. Gelbe Kabinen standen für die alte Post, die neue Telekom wollte der Mercedes unter den IT-Anbietern werden, also auch edel wirken. So wurde ausgetauscht, Telefonzellen strahlten jetzt Magenta. Da Münzapparate oft ausgeraubt wurden, stellte die Telekom auf Telefonkarte um. Ein Boom! Sammler tauschten die Karten wie seltene Briefmarken. Motive aller Art: Mozart und Schiele, Freiheitsstatue und Technikhighlights. Sonderausgaben in geringeren Auflagen, wie beispielsweise für die Teilnehmer am jährlichen Bundespresseball, waren ersehnte Give-aways auf Partys, heiße Ware, „Bückware“ hätte es in der DDR geheißen. Wer innerhalb der Telekom mit Telefonkarten zu tun hatte, hatte viele Freunde.Meine Mutter steckte mir manchmal kunst- oder märchenhafte Versionen in den Adventskalender: auf der Vorderseite der Nikolaus im Stiefel und auf der Rückseite „Weihnachten, wer lässt sich da nicht gerne überraschen, ein unerwartetes Lächeln oder ein lang ersehnter Telefonanruf: 6 DM!“ Aber bald hatte jeder auch bei uns im Osten seinen privaten Festnetzanschluss und schon 1992 kamen die ersten Handys auf den deutschen Markt. Die Kabinen wurden immer unrentabler, weil sie immer weniger genutzt wurden. Die Kosten für Reinigung, Beseitigung von Vandalismusschäden, Standmiete standen in keinem Verhältnis mehr. Bis Ende 2021 sollten die Telefonkabinen in ländlichen Gebieten erhalten werden, sodass Menschen im Notfall kommunizieren können. Denn Telekommunikation gehört wie Energie, Wasser oder Medizin zur notwendigen Daseinsvorsorge unserer Gesellschaft. Maxi LeinkaufHerbst '89Im Wendeherbst 1989 formulierten die Bürger einer Gemeinde unweit von Berlin erstmals ihre politischen Forderungen. Auf der Agenda stand neben Freiheit und Demokratie auch die Errichtung einer Telefonzelle im Ortszentrum. Darüber kann nur jemand lächeln, der niemals auf der Suche nach einem funktionstüchtigen Münzapparat durch Nacht und Nebel irrte. Nur etwa zwölf Prozent der Haushalte verfügten in der DDR über einen Fernsprechanschluss. Wollte man telefonieren, blieb nur der Gang zum Postamt. Dort konnte man in der Warteschlange unfreiwillig Zeuge fremder Ehekräche, von Gesundheitsproblemen oder Büroärger werden. Doch wenn es zu lange dauerte, hämmerten die Wartenden wütend an Tür und wiesen auf das Schild „Fasse dich kurz!“. Nach 18 Uhr war man auf eine Telefonzelle angewiesen. Nun wurde Telefonieren zum Abenteuer.Es blieb nur der Weg zum nächstgelegenen Bahnhof, fünf Minuten mit dem Fahrrad, eine Viertelstunde zu Fuß. Ob das Telefonhäuschen geöffnet war, der Schlitz für das 20-Pfennig-Stück nicht gemeinerweise mit einem Kaugummi verklebt, der Hörer abgerissen war oder andere böse Überraschungen das geplante Ferngespräch unmöglich machten – alles reine Glückssache. 1990 begann ein neues Zeitalter der Kommunikation. Als die Bundespost endlich die nötigen Kabel verlegt und die Telefonzelle installiert hatte, läuteten für die aufwendigen Anlagen schon die Totenglöckchen. Es kam das Zeitalter der Freiluftapparate und schließlich die Landplage der Handys, die manche Zugfahrt zum Nervenkrieg macht. Wie gemütlich war es doch, als man die Tür der kleinen Telefonzelle hinter sich schließen und plaudern konnte – bis jemand an die Tür hämmerte. Stefan WolleNackt dastehenUnser Apparat stand in einer Diele, also war das Gespräch öffentlich: Die Türen zum Fernsehzimmer, zur Küche, zum Wohnzimmer führten in den fensterlosen Raum, die Treppe aus dem Obergeschoss landete hier. Das Telefon stand in der Ecke, daneben ein Sofa mit grünem Samtbezug. Angerufen zu werden hieß, dass alle mithören konnten: Geschwister, Eltern, Verwandte, Besuch. Ein gelassener Plausch, Privates war unmöglich, jeder Satz verlängerte sich sofort in angrenzende Zimmer, schwappte eingebildet oder real als halblauter Kommentar zurück, Ach, er telefoniert mit einer Frau? Kennen wir die? Kleiner Vorgeschmack auf die Disziplinargesellschaft, Jeremy Bentham vielleicht zur Freude, die Möglichkeit der Beobachtung war omnipräsent, also blieben Gespräche kurz und unverfänglich: Reden könnt ihr, wenn ihr euch trefft. Für alles andere gab es die Telefonzelle.Die war ein Schutzraum für Unterhaltungen, mit kleinen Münzen geliehene Privatheit, in anderen Ländern konnte man hier sogar angerufen werden. Es roch streng, ich erinnere feuchte Gefilde, aber wenigstens stand man nicht nackt in der zugigen Welt. Die Tür schließen, Regen abwettern, einem Kuss nachschmecken, auf eingehängten Telefonbüchern sitzen, eingeritzte Zeichen in Plastikwänden entziffern, oft hing würziger Zigarettenrauch über allem. Weil der Mensch wütend ist, oder dumm, hat er die Zellen wieder und wieder ramponiert. Sie wurden unwirtschaftlich, ersetzt erst durch kühle Stelen, nun verschwinden auch die. Das Gespräch hat keinen Rückzugsraum mehr, es steht nackt in der Welt. Dort wird es nicht von der Scham kurz gehalten: Belangloses wird mit lauter Stimme am Mobiltelefon vorgetragen, wabert durch Zug und Restaurant. Ihm fehlt das Gehäuse. Lennart LaberenzAuf der InselDrei Erinnerungen habe ich an meine Klassenfahrt nach Wangerooge: Wir standen in einer langen Kette nebeneinander, uns alle bei den Händen haltend, und sind so in die Nordsee hineingelaufen, die uns die Oberschenkel knallrot peitschte – es war Oktober. Zum ersten Mal lernte ich, wie die Haut schmerzt, wenn das Wasser 13 Grad hat. Gerrit musste auf dem Fischkutter kotzen, später tanzte ich mit ihm, Arm in Arm, zum ersten Mal, so mit einem Jungen, Kelly Family. Und: es gab eine gelbe Telefonzelle vor dem Inselheim Rüstringen, fünf Minuten die Straße herunter, von der aus ich meine Eltern anrufen konnte, wenn ich Heimweh hatte.Ah, da ist eine vierte Erinnerung: Gunda hatte Heimweh und hat von ihrem Vater Smarties mitbekommen, nur die braunen helfen gegen Heimweh, hat sie gesagt, weil ihr Vater ihr das gesagt hatte. Gunda nahm sich einen und verteilte die restlichen an uns, ihre fünf Zimmergenossinnen. Bedächtig lutschten wir unsere braunen Smarties. Es half ein bisschen. Wir diskutierten, ob braune Smarties wirklich gegen Heimweh helfen konnten. Wir erzählten uns, wie wir wohnten, zu Hause. Wir lernten uns ja gerade erst kennen, es war die 7. Klasse, erstes Jahr Gymnasium, und die meisten von uns waren vorher noch nie zehn Tage ohne ihre Eltern unterwegs gewesen. Keine Smartphones. Kein Kontakt. Wir hatten ein bisschen Heimweh, das stimmt, und die kleine gelbe Telefonzelle im Wind hinter den Dünen gab uns die Sicherheit, zur Not, also zur allergrößten Not, doch unsere Familie erreichen zu können. Aber wir taten es nicht. Nur einmal zur Ankunft. Um sicherzugehen, dass die Leitung stand. Aber dann nicht mehr. Danach gab es krebsrote Haut, Gerrit und Smarties. Elsa Koester
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