A–Z Für seine Serie „Barbaren“ hat Netflix gerade Staffel 2 bestellt. Warum der Teutoburger Wald nicht nur ein Ort für Historiker ist, weiß unser Wochenlexikon
Antike Schon bei den alten Griechen gab es Ausgrenzung: So wurden „Nicht-Griechen“ in der Antike als „Barbaren“ bezeichnet. Zunächst ging damit keine Abwertung einher, sondern gemeint waren all jene, die „unverständlich“ sprachen. Später wandelte sich die Bedeutung allerdings – und die Vorurteile gegen angeblich fremde und kulturlose Barbaren nahmen zu. Der wohl berühmteste Arzt des Altertums, Hippokrates von Kos, notierte, dass das Klima Einfluss auf den Charakter habe und bei Menschen aus Asien Eigenschaften wie Tapferkeit und Mut verhindere. Ausgerechnet Aristoteles knüpfte daran seine Rechtfertigung der Sklaverei: Griechen waren demnach zum Herrschen bestimmt, „Barbaren“ hingegen seien aufgrund ihres Mangel
hingegen seien aufgrund ihres Mangels an Vernunft „von Natur aus“ zum Dienen geboren. Solche Überlegungen sind, folgt man dem Tel Aviver Geschichtsprofessor Benjamin Isaac, die Vorläufer des modernen Rassismus. Timo ReuterBBürgermeister Kann man zivilisiertes Verhalten verordnen? Andrea Costa hatte genug von Verrohung, verbaler Aggression und Hetzerei. Der Bürgermeister von Luzzara, einer Kleinstadt in der Emilia-Romagna, erließ in seiner Kommune 2019 ein Boshaftigkeitsverbot. Verbale Angriffe sollten sanktioniert werden. Der Umgang mit Mitmenschen werde immer rücksichtsloser, hat Costa festgestellt. Angst spalte die Gesellschaft. Die Sprache habe sich in den vergangenen Jahren vor allen Dingen in den sozialen Netzwerken „barbarisiert“. Wer gegen diese Verordnung verstößt, dem wird Lektüre aufgebrummt wie „Ist das ein Mensch?“ von Primo Levi. Oder Filme, etwa Das Leben ist schön von Roberto Benigni. Diese würden Werte wie Toleranz und Solidarität vermitteln. Manchmal genüge es aber auch, sich einfach zum Gespräch an den Tisch zu setzen. Maxi LeinkaufCConan Der Film sei die perfekte Fantasie für den sich entfremdet fühlenden Pubertierenden, schrieb Großkritiker Roger Ebert 1982, als John Milius’ Conan der Barbar ins Kino kam. Ein Satz, den man sowohl als Kompliment als auch als Warnung begreifen sollte. Für ein trashiges Genrestück mit einem wenig bekannten österreichischen Bodybuilder in der Hauptrolle löste Conan damals überraschend viele Diskussionen aus, wobei sich die meisten an der dargestellten Gewalt störten, und am Bild des von Arnold Schwarzenegger gespielten blonden Barbaren. Handelte der Film von der Entstehung des Faschismus oder glorifizierte er Letzteren? Und wenn ja, sollte man die Verfilmung eines amerikanischen Comics aus den 1930er Jahren überhaupt so ernst nehmen? Für heutige Augen wirken die zugegeben vielen Gewaltszenen sowieso mehr karikaturhaft denn realistisch. Was viel mehr irritiert, ist die geradezu unbehagliche Menge von nackter Haut. Es gibt sogar eine Orgie – und am nacktesten ist tatsächlich Arnold Schwarzenegger, der mit naiver Freude und, ja, sogar Sexyness auftritt, die man in späteren Filmen vermissen wird. Barbara SchweizerhofEEsskultur Mit dem Vordringen der Vandalen in mediterrane Gefilde wandelten sich auch die Essgewohnheiten. Pflegten Römer und Griechen noch eine breite Aufstellung mit Getreide, Gemüse, Früchten und wenig Fleisch (eher Geflügel), das als Beilage gereicht wurde, ernährten sich die Barbaren fast ausschließlich von Fleisch. Römer nutzten Waldgebiete nur zur Holzgewinnung, trennten klar zwischen Kulturland für den Ackerbau und wilder, ungenutzter Natur. Für die Germanen war der Wald Quelle von Wildfleisch, das ausgiebig gejagt wurde. Wälder wurden nicht mehr mit abstrakten Oberflächenbegriffen gemessen, sondern an der Größe der Wildschweinpopulation. Das war’s mit der ➝ Antike! Marc OttikerGGallier Für Troubadix sind alle Barbaren, die sein Gesang verschreckt. Der Barde mit der Leier ist der Held des neuesten Comics Asterix – Der Goldene Hinkelstein. Darin rufen Galliens Stämme zum Sängerstreit, Roms Legionäre bekommen natürlich Kloppe von Obelix. Seit 1959 hält die Erfolgsgeschichte um das renitente Gallierdorf an, manche überinterpretieren es als Symbol gegen Überfremdung. Die Gallier schmücken sich übrigens mit barbarischen Federn: Mit Hinkel-, also stehenden Steinen, ihrem Markenzeichen, hatten Frankreichs Kelten nichts zu tun. Diese 6.000 Jahre alten Menhire entstammen der Jungsteinzeit, die man für sehr kulturlos hielt. Tobias PrüwerHHeimweh Warum verspürt man in einer wunderschönen Ecke dieser Welt sich steigerndes barbarisches Heimweh? Warum verlässt man Nassau auf den Bahamas freiwillig (Sean Connery blieb bis zu seinem Tod dort)?Während meiner Zeit in den USA hielt der Bus nach Seattle im Städtchen Tacoma. Was immer da produziert oder abgebaut wurde, es stank barbarisch, wenn die Bustür aufging. Dennoch stiegen die Menschen lächelnd aus, wenn sie an diesem Ort angekommen waren. Sie freuen sich, weil es ihre Heimat ist. Barbarisch ist für sie nicht der Ort, sondern wie andere ihn von außen gemeinhin wahrnehmen. Das Ablehnen von vermeintlich „schlechten“ Gegenden hat etwas mit der Entwurzelung des spätmodernen Menschen zu tun, der den Ort, der ihm als Heimat geschenkt wurde, nicht als genügend empfindet. Sich einlassen können auf das Gegebene, ein verschollenes Gefühl. Jan C. BehmannOOmen Als ich ins Teenager-Alter kam, wollte ich die gebührende Anerkennung dafür: Eltern und Geschwister sollten meinen Namen nicht mehr auf „Bärbel“ reduzieren, sondern mich endlich beim geburtsurkundlich verbrieften „Barbara“ rufen. Mein Anliegen wurde weitgehend ignoriert, oft noch mit einem liebevollen Lächeln, und ich fühlte mich wie eine Fremde in der eigenen Familie. „Nomen est omen“ – ich dachte, der Spruch sei für mich erfunden worden. Erst einige Jahre später wurde mir klar, dass mein Name statt an eine exotische „Fremde“ die meisten an das ungehobelte Volk jenseits des Limes denken lässt (➝ Pilgerstätten).Noch viel später las ich, dass das griechische Wort für „fremd“, von dem Barbara sich ableitet, lautmalerischen Ursprung hat, also in etwa für „Blablabla“ steht – das unverständliche Zeug, das ein Fremder so redet. Es war mir eine Lehre in Demut. In den slawischen Sprachen ist das Wort für „deutsch“ übrigens aus dem für „stumm“ entstanden. Barbara SchweizerhofPPilgerstätten Für Barbaren warb Netflix in Bielefeld mit dem Slogan „Niemand erobert den Teutoburger Wald“. Belfast wurde mit Game of Thrones zum Touristenmagnet, der Teutoburger Wald ist es schon lange. Auch für Besucher, über die man sich nicht freut. Hermannsdenkmal, Externsteine und Wewelsburg, für Neonazis sind das beliebte Pilgerziele. Im Nationalsozialismus galten sie als germanische Kultstätten. NSDAP-Kundgebungen am Hermannsdenkmal, Heinrich Himmler ließ die Wewelsburg von KZ-Häftlingen zur Kaderschmiede der SS umbauen. Zur Sommersonnenwende treffen sich an den Externsteinen seit Jahren Esoteriker und Rechtsextreme zum Tanz. Wer das kennt, schaut weniger erstaunt auf die Corona-Querfront. Martina MescherSSlogan „Socialisme ou Barbarie“(„Sozialismus oder Barbarei“) hieß eine französische Gruppe, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstand und mitsamt gleichnamiger Zeitschrift bis 1967 existierte. Der Schlachtruf geht auf Rosa Luxemburg zurück. In ihrer Streitschrift Die Krise der Sozialdemokratie (1916) schreibt sie während des Ersten Weltkrieges: „Friedrich Engels sagte einmal: die bürgerliche Gesellschaft steht vor einem Dilemma: entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall in die Barbarei.“ So ein Krieg von nie gesehenem Ausmaß, das war für Luxemburg der Inbegriff der Barbarei. Bei Engels konnte das Zitat nie gefunden werden, man geht heute davon aus, dass Karl Kautsky es zuerst erwähnte. Einst Parole auf Demos, ist der Slogan heute eher linke Folklore. Konstantin NowotnyTTerror Worte können brutal sein, Bilder auch, für jene, die sie als Demütigung empfinden. Wer den Propheten beleidigt, muss bestraft werden, auf barbarische Weise. Samuel Paty, 47, Geschichtslehrer, Familienvater, hatte an seiner Schule in einem Pariser Vorort die aus dem Magazin Charlie Hebdo bekannten Mohammed-Karikaturen gezeigt: Enthauptung, in IS-Manier. In Berlin-Spandau hat ein muslimischer Schüler einer Lehrerin, die ihm Sanktionen ankündigte, gedroht: „Wenn das passiert, weil meine Eltern nicht gekommen sind, dann mache ich mit dir das Gleiche wie der Junge mit dem Lehrer in Paris.“ Es sind nur Worte, so fängt Barbarei an. „Wer ist der Nächste?“, fragt sich nicht nur Charlie Hebdo. Maxi LeinkaufVVorgartendrama Nachbarn sind einander nun nicht immer in Liebe zugetan. Doch die reale Welt unterscheidet sich von der fiktiven glücklicherweise erheblich. Nichtsdestotrotz haben Menschen eine besondere Affinität zu regionalen Krimis mit teils barbarischen Plots. Niemand will einen Mord in der Familie oder Nachbarschaft (lassen wir das Weihnachtsfest mal außen vor). Aber in der Literatur geht ein Verbrechen vor der Haustür immer. Eine sehr erfolgreiche Autorin wohnt in meiner Nachbarschaft: Nele Neuhaus. Gerade im biederen, vorbildlichen Taunus darf das Blut von der Klinge tropfen und die Kehle röcheln.Ich attestiere dem gesellschaftlich besonders integren Menschen mit „Normalbiographie“ (Ulrich Beck: Risikogesellschaft) einen Hang zu sublimiertem Menschenhass. Kann ein (Reihenhaus-)Krimi Aggressionen ableiten und Schlimmeres verhindern? Rettet Nele Neuhaus womöglich Menschenleben? Ich muss los, Krimis kaufen. Weihnachten, Sie verstehen. Jan C. BehmannZZuckerwatte Zwischen Barbapapa und den Barbaren gibt es keinen etymologischen Zusammenhang (➝ Omen). Barbapapa ist das Oberhaupt einer Zeichentrickfamilie, er sieht aus wie die Kreuzung aus einer Hubba-Bubba-Blase und einer Bürgermeisterbirne und kann beliebig seine Form verändern, was eher postmodern ist. Immerhin lallt er in meiner frühkindlichen Erinnerung gewaltig, was aber daran liegen dürfte, dass Barbapapa im Schweizer Fernsehen lief, das unser Schwarz-Weiß-Fernseher im Skiurlaub über die Grenze hinweg empfing. Der Name, habe ich herausgefunden, kommt in Wahrheit von dem französischen Wort für Zuckerwatte: barbe à papa, Papas Bart. Man muss ein spezielles Verhältnis zu Körperhaaren haben, um das appetitlich zu finden. Mir kommt es barbarisch vor, eine Jahrmarktssüßigkeit für Kinder so zu nennen. Christine Käppeler
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