Bedürftigkeit zulassen

#MeToo Was ist das für eine Angst vor der eigenen Verwundbarkeit und Hilflosigkeit? Eine persönliche Antwort
#MeToo rückt die Erfahrung der Ohnmacht ins den Mittelpunkt
#MeToo rückt die Erfahrung der Ohnmacht ins den Mittelpunkt

Foto: imago/Le Pictorium

Als Wissenschaftlerin setzte ich mich ein für eine weibliche Sicht auf die Dinge und für die monetäre Aufwertung von weiblichen Berufen. Ich habe alltäglich auf verschiedenen Ebenen „Nein“ gesagt zu patriarchalen Verhaltensweisen und Strukturen, also einem Miteinander, dass auf Ausbeutung, Unterdrückung und Dominanz beruht. Da ließen Machtbezeugnisse wie bewusstes Ignorieren, Belächeln, Einschüchtern etc nicht lange auf sich warten. Trotz dieser Einschränkungen war diese Zeit rückblickend eine Zeit schmerzfreier Verteidigung weiblicher Freiheit und Selbstbestimmung.

Alle Formen sexualisierter Gewalt sind schlimm. Was ich jedoch spüre ist, dass ich als vergewaltigte Frau mit leibhaftiger Ohnmachtserfahrung anders auf das Thema weiblicher Freiheit schaue als ich es machterfahrend jedoch unvergewaltigt tat. Ja, #MeToo. Während der Vergewaltigung war ich ohnmächtig und hilflos. Ich war auch wütend. Am meisten jedoch war ich ohnmächtig und hilflos. Über das „Warum?“ sinne ich nicht mehr nach.

Was mich immer noch beschäftigt, ist das Abwehren meiner eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit und die Schwierigkeit diese Gefühle in mein Selbstbild zu integrieren. Mit meiner eigenen Verletzlichkeit konfrontiert, wollte ich nach der Vergewaltigung das Gefühl anfangs einfach weghaben. Was ich dabei spürte war, dass meine Lebenslust verschwand, Kontrollverhalten und der Wunsch nach Unabhängigkeit von anderen Menschen stärker wurden. Kontaktabbruch nach innen und außen also, bis ich merkte „Zwischen Töten und Getötetwerden ist ein Drittes: Leben.“ (Christa Wolf: Kassandra).

Damit stehe ich nicht alleine da. Ich frage mich, uns: Was ist das für eine Angst vor der eigenen Verwundbarkeit, der eigenen Hilflosig- sowie Hilfebedürftigkeit?

Leben ohne Begegnung und ohne die Gefahr der Verletzung ist unwirklich. Eine auf Angst vor Verletzung aufgebaute Autonomie ist keine wirkliche. Beides vernachlässigt, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Wir sind voneinander abhängig, alle, ob wir wollen oder nicht. Abhängigkeit, Bedürftigkeit, Hilflosigkeit sind nicht das, was uns Angst macht, das, was wir nicht wollen. Es ist das Ausnutzen der Abhängigkeit, Bedürftig- und Hilflosigkeit. Unsere Kinderzeit ist eine vollständige Verkörperung von Abhängigkeit und Ausgeliefertsein. Und genau da entsteht auch unsere Angst vor der eigenen Verletzlichkeit und Hilflosigkeit. Es hat sich oft nicht gut angefühlt, was Erwachsene an uns taten.

Innerhalb der #MeToo-Debatte wurde insbesondere von Femist*innen kritisiert, dass sich die Frauen durch die Aussagen zu Opfern machen. Sie sollten stattdessen „Mit mir nicht“ formulieren. Ich finde dies nicht ermächtigend. „Mit mir nicht“, übergeht die Erfahrung der Ohnmacht, ohne dass diese dadurch weg ist. Die Ohnmachtserfahrung ist eine körperliche und der Körper erinnert sich auch wenn wir dies mit unserem Kopf nicht wollen. Das Anerkennen und Aussprechen der während und nach der Tat empfundenen Gefühle ermächtigt mich. Mich ernst nehmen mit meinen Gefühlen und daraus handeln, das ist wirkliche Autonomie.

Die eigene Hilflosigkeit und damit verbundene Bedürftigkeit radikal zuzulassen und aus ihr heraus zu handeln, eröffnet ganz neue Seinswege – individuell und gesellschaftlich. Wo und wie geben wir der eigenen und fremden Zartheit und Verletzlichkeit, dem Schwach- und Hilfslossein Raum? Geben wir ihnen den Raum, um daraus etwas entstehen zu lassen? Als Menschen mit Körpern sind wir verletzlich und daran können wir nichts ändern. Aber, wir können es annehmen und das wiederum ändert etwas.

Das Time-Magazine hat als "Person des Jahres" 2017 all jene gewürdigt, die sich sich an der #MeToo-Debatte beteiligt haben und für sich eingestanden sind. Auf der Demonstration zu #MeToo Ende Oktober in Berlin war, so wurde mir von vielen Menschen bestätigt, eine besondere und andere Stimmung als auf vielen anderen Demonstrationen. Dort haben Menschen ihre Erfahrung der Ohnmacht, Demütigung, Angst, ihre Schwäche in den Mittelpunkt ihres Sprechens gerückt. Sie haben sich trotz der Gefahr von Verletzungen verletzlich gezeigt und aus der Verletzlichkeit heraus gehandelt.

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