Bei nackter Männerbrust denke ich an Putin

Die Kosmopolitin Unsere Kolumnistin hat jeden Tag ungute Gefühle. Die haben etwas mit Russland und Größenwahn zu tun
Ausgabe 30/2017
In der Sowjetunion gab es keinen Gott. Heute gibt es Wladimir Wladimirowitsch Putin
In der Sowjetunion gab es keinen Gott. Heute gibt es Wladimir Wladimirowitsch Putin

Foto: Mladen Antonov/AFP/Getty Images

Wenn ich das so sage, hat es einen komischen Beiklang, aber der Beiklang gehört da nicht hinein: Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Er: Wladimir Wladimirowitsch Putin. Der Beiklang lässt an nackte Männerbrust denken, die gehört zu einem Mann, der Bären bezwingt, Löschflugzeuge über brennenden Wäldern manövriert, Panzer steuert, Landteile an sich reißt, Kriege führt, als habe er nichts und niemanden nötig. Wladimir Wladimirowitsch wird er von den Russen höflich angesprochen, aber wir hier im Westen – und vielleicht ist er es, der die Welt in West und Ost aufteilt – nehmen lieber den kurzen, den wirkungsvollen Namen: Putin.

Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an Putin denke, und vielleicht hat das mit dem zu tun, was ich bin, oder wer ich zu sein versuche, oder wer ich nicht mehr sein will und allem, was dazwischen liegt. Wladimir Wladimirowitsch und ich, wir haben etwas gemeinsam: Wir haben dieselbe Muttersprache und denselben Geburtsort – Sankt Petersburg. Den wollte Wladimir Wladimirowitsch vor einiger Zeit wieder zur Hauptstadt erheben. Ich traute mich seinetwegen jahrelang nicht dorthin: Was hat er der Stadt, den Menschen, dem, was man im Westen als die „russische Seele“ und in Russland als „unser Geist“ bezeichnet, angetan?

Da, wo ich herkomme, wird er teils geliebt und teils vergöttert, nur selten in Frage gestellt und ziemlich sicher gebraucht, und da, wo ich lebe, ist er ein Synonym für Menschenrechtsverletzungen, Diktatur und Macht. Da, wo ich lebe, kann ich politische Entwicklungen mit historischen Ereignissen erklären, aber da, wo ich herkomme, da fühle ich. Manchmal fühle ich Angst vor dem, den man da, wo ich lebe, Putin nennt, und manchmal fühle ich eine andere Angst: Was, wenn es ihn nicht mehr gibt? Das klingt nach einer einfachen Wer-dann-Frage, aber die Angst ist größer als das: Was wird mit den 144 Millionen Menschen, den elf Zeitzonen, den 17.100.000 Quadratkilometern geschehen? Was, wenn er all das zusammenhält und was, wenn er es nicht mehr tut?

In der Sowjetunion gab es keinen Gott. Man sagte auch, es gebe ihn nicht, weil er an Orte wie diese nicht käme. Weil man aber genau an Orten wie diesen jemanden braucht, an den man glauben kann, hat man sich Götter geschaffen, oder sie haben sich selbst als Götter erschaffen. Zar ist das russische Wort für Gott, und Namen wie Lenin, Stalin, Breschnew, Putin sind Synonyme. Gorbatschow gehört nicht auf diese Liste: Gorbatschow war ein Gottgesandter im Westen, in der Sowjetunion war er jemand, der den Russen den Glauben nahm – an die Größe des Landes und damit an die eigene Stärke. Er machte, dass aus einem egal wie maroden, aber dennoch dem eigenen und deshalb sicheren System ein Vakuum der Ungewissheiten entstand, in dem man das Leben neu lernen musste. In diesem Vakuum war nach den turbulenten Jelzin-Jahren Putin ein Retter, ein Erlöser, ein Mann. Er ist Hoffnung und Kraft, er ist das Wissen, dass Russland immer noch wer ist.

Seit ein Narzisst, der unter Größen- wie Verfolgungswahn leidet und Weltpolitik gerne in 140 Zeichen presst, Präsident des mächtigsten Landes der Erde ist, vergeht kein Tag, an dem wir hier nicht an ihn denken. Ich denke an zwei, an ihn, und an den anderen Mann, der da regiert, wo ich herkomme. Beides ist ein ungutes Gefühl. Manchmal sieht man ein Bild, auf dem die beiden miteinander reden. Dann wünscht man sich, das wäre nur ein Film.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin für den Freitag. Zuletzt erschien von ihr der Roman Null bis unendlich (Rowohlt 2015)

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