A
Ali, Muhammad Dreifacher unumstrittener Boxweltmeister im Schwergewicht, Ikone der afroamerikanischen Emanzipationsbewegung, muslimischer Konvertit. Der nach dem weißen Abolitionisten Cassius Marcellus Clay Getaufte verkündete nach seinem ersten Weltmeistertitel 1964, beeinflusst vom Sprecher der Nation of Islam, Malcolm X, seinen Eintritt bei den Black Muslims. „Ich bin Amerika. Ich bin der Teil, den ihr nicht anerkennen wollt – schwarz, souverän, rotzfrech. Mein Name, nicht eurer. Meine Religion, nicht eure. Meine Ziele, meine eigenen. Gewöhnt euch an mich.“ Die politische und spirituelle Figur, die Ali bis zu seinem Tod 2016 war, entstand während Rassenunruhen, Vietnam, Spaltungen in der Bürgerrechtsbewegung. Wegen radikaler Rhetorik und Kriegsdienstverweigerung blieb Ali lange Zeit Hassobjekt des weißen Establishments. Malcolm X verließ die Nation of Islam 1964 und wurde ein Jahr später ermordet. Die Organisation steht nun Scientology nahe (➝ Kult).Helena Neumann
D
Döblin, Alfred Die Verkündung seines Übertritts zum Katholizismus 1943 im kalifornischen Exil – ein Eklat. Fast alle der 200 Gäste, jüdische und politisch verfolgte, verlassen fluchtartig die Feier zu Ehren seines 65. Geburtstags. Für den Literaturbetrieb nun „ein Betriebsunfall der Moderne“, in Brechts Gedicht Peinlicher Vorfall ein jugendgefährdender, mottenzerfressener Pfaffenhut: Döblin bedauert die Rede. „Religion ist Privatsache“, meint er, zwischen Futurismus, Expressionismus, Sozialismus, Freilandbewegung und seiner jüdischen Erneuerung schwankend, vor seiner Konversion. Nach dem Krieg betont der auch literarisch Vereinsamte, sein Glaube sei kein Betäubungsmittel, gar die Flucht eines Eigenbrötlers aus der Moderne (➝ Hesse), kritisiert aber, jetzt angegriffen von Katholiken, die Verkleisterung von Politischem und Christlichem. Helena Neumann
G
Geld Vielleicht ist es das Empfindungsantibiotikum für das Prekariat: der Glaube, dass man mit Geld glücklicher ist. Dann hat das ganze Gestrampel vielleicht doch einen Sinn? Gleichzeitig engen die widrigen Bedingungen so ein, dass man sich über eins gar nicht klar wird: Auch Freiheit macht Angst. Und finanzielle obendrein Schuldgefühle.
Das Glücklichsein dank ausreichend Geld ist die wahrscheinlich größte Lüge des Kapitalismus. Denn statt grenzenloser Freiheit kommen die Wände der Realität umso bedrohlicher auf einen zu. Plötzlich denkt man sich: Und wofür dann das Ganze, wenn nicht mehr zum Überleben? Die Exit-Fantasien von Unternehmern, eine fundamentale Illusion. Sobald ein wenig Geld da ist, kommt eine Leere, die gefüllt werden muss. Und so sind diese Menschen nicht nur von der Angst des Verlustes geprägt, sondern auch von einer dröhnenden Existenzfrage. Sinnstiftung dringend gesucht! Oder, wie meine gute Freundin Mo sagt: Sie leiden eben auf der Rückbank ihrer Limousine. Und schließt die Fondtür meines Fahrzeugs. Jan C. Behmann
H
Hesse Siddhartha, Die Morgenlandfahrt, Das Glasperlenspiel – die Werke Hermann Hesses sind ohne den Einfluss östlicher Lehren nicht vorstellbar. Dabei verläuft seine reale Reise 1911 nach Südostasien suboptimal. Die Gründe der Fahrt: In seiner Ehe kriselt es, er ist seiner bürgerlichen Existenz überdrüssig und wirkt ausgeschrieben. Also Flucht in den „märchenhaften“ Osten. Hat er sich vorher mit asiatischen Lehren befasst, erlaubt die Reise, das Gelesene vor Ort zu überprüfen. Doch das Erlebte entzaubert: Hitze, Krankheiten, die Verwestlichung und die fremden Verhaltens- und Glaubensweisen überfordern Hesse. Sie heilen ihn aber von der Idee, durch Flucht Probleme zu lösen. Behrang Samsami
I
Ibrahim, Abdullah Ich lebe damals in der Medina von Sousse. Die heißen Nachmittage verbringen wir im beschatteten Innenhof des Hauses. Oft höre ich Abdullah Ibrahim. Als aus dem Album Good News From Africa das vierte Stück erklingt, werden meine tunesischen Freunde nervös. Das sei Gotteslästerung, fluchen sie, die mit mir täglich alle Gebote brechen, die gepredigt werden. Wie Abdullah Ibrahim den Adhan, die Aufforderung zum Gebet, singt, finden sie verwerflich. Der Konvertit aus Cape Town findet keine Gnade. Adhan & Allah-O-Akbar darf ich nur alleine hören. Mein Konversionserlebnis, Gegengift zur Fistelstimme des Muezzins von gegenüber. Hans Hütt
J
Jugend Links-rechts „bekehrt“ wurde so mancher Publizist. Der bekannteste dürfte Horst Mahler sein. Einst glühender Sozialist und RAF-Mitgründer, radikalisiert er sich im Gefängnis, wird zwischenzeitlich Mitglied der NPD. Seinem Beispiel folgen viele, wenngleich weniger radikal. Matthias Matussek, einst angesehener Journalist, liebte in jungen Jahren Marx, fand dann zum Katholizismus und ruft heute auf Bierkästen zum nationalen Widerstand auf. Welt-Chef Ulf Poschardt war „männlich, heterosexuell und links“ und erklärte später in der taz, Neoliberalismus sei die wahre Revolution.
Die Links-rechts-Bekehrung vollzieht sich von jung nach alt, selten umgekehrt. Sie wirkt kurios, ist aber kognitiv zu erklären. Matussek erklärte, er wäre sich treu geblieben, „eben antiautoritär!“. Bernd Rabehl, erst SDS-Ikone, dann Neonazi, klagte: „Ich bin rechts, weil es keine Linke mehr gibt.“ Für beide ist Linkssein relativ. Konstantin Nowotny
K
Kult Eine psychische Abhängigkeit, die viele Menschen finanziell ruiniert: Klingt nach Alkoholismus, gemeint ist aber Scientology. Während die Sekte in Deutschland seit 1997 vom Verfassungsschutz überwacht wird und einen schweren Stand hat, gehören ihr in den USA viele Promis an. Die Schauspieler Tom Cruise und John Travolta, Kirstie Alley und Juliette Lewis sind Mitläufer des längst verstorbenen Sektengründers und Sci-Fi-Autors L. Ron Hubbard.
Innerhalb der Sekte herrscht eine strenge Hierarchie, auf allen Stufen wird Selbstaufopferung der Mitglieder gefordert: physisch, psychisch und finanziell. Als reiche Prominente können es sich Cruise und Co. leisten, Teile ihres Vermögens an die Gaga-Institution zu spenden (➝ Geld). Sie dienen als Rattenfänger für Zehntausende weltweit, von denen viele finanziell ausbluten. Zu den Bekehrten gehört etwa die Aussteigerin Leah Remini, die eine kritische Serie über Scientology drehte. Ben Mendelson
L
Last Minute für die Letzte Ölung: Solch Seufzer könnte vielleicht den Bericht über die Konversion eines Künstlers zur katholischen Kirche auf dem Sterbebett begleiten. Über den irischen Lyriker und Schriftsteller Oscar Wilde (1854 – 1900) etwa wird dies berichtet. Allerdings habe er schon immer eine Faszination für den Katholizismus besessen, meinen Biografen. Das Leben als Homosexueller zwischen Verfolgung, Sündenfurcht und Suche nach Vergebung erklärt vielleicht den Hintergrund.
Die US-amerikanische Schauspielerlegende John Wayne (1907 – 1979) konvertierte, schwer erkrankt, kurz vor dem Tod ebenfalls zum Katholizismus. Suche nach dem Heil im Schoße der „allein seligmachenden“ Kirche? Magda Geisler
N
Noll „Was kann ein vernünftiger Mensch gegen Katzen haben?“, fragt einer seiner Protagonisten. Nichts, würde der Autor Chaim Noll antworten, durch dessen Werk immer wieder Katzen streunen. Wie sie hat Noll sieben Leben. In Ostberlin wurde er 1954 als Sohn des Schriftstellers Dieter Noll geboren. Damals hörte er noch auf den Namen Hans und zählte zur DDR-Elite. Darauf hatte er aber wenig Lust, rebellierte, als er zur Nationalen Volksarmee sollte. Er reiste 1983 nach Westberlin aus, zog später nach Rom. Seit 1995 lebt er als Autor in Israel, wo der atheistisch erzogene Noll begann, sich auf seine jüdischen Familienwurzeln zu besinnen. Religion als tiefer Sinn für das Individuum, wie als Kitt für die Gemeinschaft, ist immer wieder sein Thema – neben Katzen natürlich. Tobias Prüwer
R
Romantiker Der „Inhalt der Romantik war wesentlich katholisch, das denkwürdige Zeichen einer fast bewußtlos hervorbrechenden Sehnsucht des Protestantismus nach der Kirche“, schrieb Eichendorff 1857. Als Friedrich Schlegel 1816 konvertierte, sah das auch Goethe als Zeichen, allerdings „der Zeit“. Seine Klage, „daß im höchsten Lichte der Vernunft, des Verstandes, der Weltübersicht ein vorzügliches und höchstausgebildetes Talent verleitet wird sich zu verhüllen“, verkennt die Modernität dieses Schritts. „Der wahre Protestant muß gegen den Protestantismus selbst protestieren“,notierte Schlegel, womit klar ist, dass man es nicht nur mit einem Rückschritt zu tun hatte, sondern mit etwas Neuem. Mladen Gladić
S
Stevens, Cat 1948 geborener Komponist so feiner, unsterblicher Folk-Pop-Nummern wie Lady D’Arbanville, Wild World oder Father and Son, erfuhr 1975 vor Malibu in Kalifornien eine Gottesfügung. Um ein Haar (➝ Last Minute)wäre er ertrunken, was glücklicherweise nicht geschehen ist. Danach konvertierte Stevens zum Islam, änderte seinen Namen zu Yusuf Islam und legte erst mal eine künstlerische Pause ein.
Einige Zeit verteufelte Stevens seine alte Klampfe als „westliches Instrument“, um dann vollkommen gitarrenfreie, islamische Musik zu veröffentlichen. Heute ist Yusuf Islam wieder ganz der Alte, zumindest musikalisch: Sein 2006 erschienenes Album An Other Cup und auch neuere Veröffentlichungen folgen ganz der melancholischen Folk-Spur des Cat Stevens. Nicht vergessen sollte man allerdings, dass Yusuf Islam in seinen Zeiten als Hardcore-Konvertit die Fatwa gegen Salman Rushdie unterstützte und der Hamas ein hübsches Sümmchen überwiesen hat. Marc Peschke
Z
Zeugen Es war der Erfinder des Slappings, des Schlagens mit dem Daumenballen auf die Saiten des E-Basses, der Prince zu den Zeugen Jehovas brachte. Larry Graham, Bassist bei Sly & The Family Stone und Chef bei Graham Central Station, einer Band, die Prince sehr beeinflusste.
Nach einem After-Show-Konzert in Nashville bat ihn Prince auf die Bühne und die beiden spielten zusammen, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Graham zog sogar mit seiner Familie nach Minneapolis und las nächtelang mit Prince in der Bibel, wo der offenbar die Antworten auf all seine Fragen fand. Graham bestätigte in einem Interview, dass sie beide mit dem „Wachturm“ von Haus zu Haus zogen, um die Leute in religiöse Gespräche zu verwickeln. Wenn die Zeugen bei mir vor der Tür stehen, fehlt da leider der gewisse Kick, den Prince sicherlich ausgelöst hätte. Marc Ottiker
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.