Blut ist mein Lakritz

C’est la mort Ute Cohen hat Ökokrimis gelesen, sich unter fiese Profiteure, Aktivisten und sozialpanische Neodörfler gemischt. Kein Stoff für Hypersensible!
Ausgabe 45/2018

Treuherzig steht sie da, die Kuh, auf saftig grüner Weide. Knuffige Buchstaben tänzeln über den blitzeblauen Himmel, ratzfatz sind wir verführt von Glyphosateiscreme, stecken damit mittendrin im Schlamassel, müssen uns das Hirn zerbrechen, anstatt die Papillen zu verwöhnen. Wie kommt das Gift in das Eis? Wer steckt hinter dieser Schweinerei? Ehe wir’s versehen, schleichen wir mit einer Uzi durch die Wälder, paktieren mit dem Bösen oder strecken die Waffen, indem wir uns in ein Bauernhäuschen in der Uckermark zurückziehen. Bevor wir uns aber für ein Leben als Hardcore-Aktivist, Öko-Profiteur oder Neodörfler entscheiden, stellen wir uns besser mal vor, welche Gefahren unseren Weg pflastern könnten.

Der Kampf im Untergrund, das zeigte bereits die RAF, ist nicht halb so romantisch, wie wir uns das vorstellen. Klar wird da gevögelt, und heimelig ist das WG-Leben. Dem Waldretterleben folgt jedoch bald moralische Ernüchterung. So ergeht es auch den fünf Freunden, die sich auf Vancouver Island in Daniel Griffins Rettung gegen die Abholzung des Waldes wehren. Man kennt das aus dem Hambacher Forst. Nach dem ersten Adrenalinkick und traditionellem Bäume-Anketten rückt die Polizei an. Das ist in Deutschland nicht anders als in Kanada. Die kanadischen Wälder bieten freilich mehr Unterschlupfmöglichkeiten als der Schwarzwald, obwohl auch dort nur noch zehn Prozent des Primärwaldes übrig sind.

Wer sich ins Nowhereland zurückzieht, dem muss es schon sehr unter den Nägeln brennen, idyllisches Kommunenleben wird man nicht auf Anhieb finden. Das ist nur etwas für „Leute, die vorm einundzwanzigsten Jahrhundert flüchten“ oder Einzelgänger auf der Flucht.

Pete ist einer dieser Flüchtigen, der sich mit Winterschimmel und streng rationierten Frühstückseiern herumschlagen muss, weil bei einer Aktion seiner militanten Protestgruppe etwas gewaltig schiefgegangen ist. Das Böse ist in Rettung so greifbar, dass man den radikalen Drive der Truppe verstehen kann. Wenn Regierung und Konzerne paktieren, wird schnell der Ruf nach „Direct Action“ laut. Hat man sich erst einmal verstrickt, helfen manchmal nur mehr ein Geisterbär oder die Liebe aus dem Dickicht heraus. Griffins Held kennt den Geschmack der Revolution: „Es ist der fünfte Grundgeschmack, nicht bitter, nicht salzig, sondern ... algig eben.“

Dr. Ute Cohen, Jahrgang 1966, wuchs in der fränkischen Provinz auf. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. Ihre Lieblingsautoren sind Friedrich Hölderlin, Georges Bataille und Sylvia Plath. Ihr Romandebüt Satans Spielfeld erschien 2017 im Septime Verlag

Der Weg vom radikalen Aktivisten zum klassischen Kriminellen ist manchmal kurz. Jock Serongs Fischzug zeigt, dass in der Nähe von Australien nicht nur der Tasmanische Teufel sein Unwesen treibt, sondern auch die seltene Spezies der Drogendealer-Fischer. Beide eint die Unersättlichkeit, ein Raubbeutlertum, das sich in der Fauna als gieriger Schlund, in der Zivilisation im Geldsäckel zeigt. In Fischzug dreht sich alles um die kostbare Meeresfrucht Abalone, im Deutschen weniger poetisch „Seeohr“ genannt. Wer in Australien eine Lizenz zum Fischen dieser Meeresschnecken hat, darf sich getrost Multimillionär schimpfen. Mit dem Maß hat es der Mensch jedoch nicht so, weshalb sich auch die Murchisons nicht mit dem von der Regierung festgelegten Kontingent begnügen, sondern schwarzfischen und on top of it ein lukratives Hydrokultur-Hasch-Business ins Schlepptau nehmen.

Dass kapitalistisches Raubrittertum und klassisches Drogenbusiness partners in crime sind, dieser Tatsache kommt der Anwalt Charlie schnell auf die Spur. Der Plot ist nicht das Entscheidende an diesem Noir. Dass aber die Hauptfigur einem Känguru den Gnadenstoß versetzt und eine Languste nicht im kochenden Wasser verendet, lässt Hoffnung aufkeimen. Hoffnung auf einen moralischen Kern, der fester ist als Schneckenschleim. Hoffnung schenkt uns dieser Krimi, der sich mehr an der Poesie der Beaufort-Skala und ihren „brechenden Wellenköpfen“ orientiert als an der üblichen White-Trash-Kick-Ass-Logorrhö.

Australien ist weit weg, mag man sich trösten. Die Beutelratten haben noch nicht den Kontinent gekapert. Dass man aber selbst in den stillen Winkeln des Lebens vor der Krake Kapitalismus nicht gefeit ist, zeigt der Krimipreisträger 2018 Oliver Bottini. Von ländlicher Idylle kann nämlich weder in Rumänien noch in der Uckermark die Rede sein. Ackerland ist heiß begehrt und Manna regnet’s nicht vom Himmel. Längst fallen dänische, saudi-arabische und österreichische Konsortien wie Heuschrecken über die Felder des Ostens her. An oberster Stelle der Käufer-Agenda steht der ROI, der „Return on Investment“. Die Blut-und-Boden-Mentalität der Investoren spiegelt sich folgerichtig in Monokultur, Spekulation und Mord. Rumänien ist ebenso wenig ein Paradies wie die kanadischen Wälder oder australischen Outbacks. Die Securitate rumort immer noch unter der Erde, und schon wühlen neue Verbrecher das Land auf.

Oliver Bottinis stille Winkel finden sich auch hier, in der Uckermark, in Prenzlau, beim Einkauf in der Bio-LPG, wenn man sich beim Gedanken ertappt, wie die Ländereien des Ostens zerschlagen und verschachert wurden. Noch ein Schälchen korrekte Waldhimbeeren?

Apropos Himbeeren: „Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht.“ Der erste Satz aus Eckhart Nickels Hysteria wird nicht nur für die Hypersensiblen-Community zum geflügelten Wort werden. Er kann geradezu als klassischer Kassandra-Ruf all derer gelten, die in ihrer Schrebergarten-Klausur Gefahr laufen, sich bessere Welten auszumalen als diese real existierende von Abalonen-Dealern und Landjägern überflutete. Dieses Utopia könnte sich schließlich in Windeseile mit Windenergie als Albtraum entpuppen. Nippt man erst mal an einem „Stokerama“, ist Hopfen und Malz verloren, denn nicht überall, wo Saft draufsteht, ist auch Rote Bete, Blutorange, Lakritz und Schwarze Johannisbeere drin.

Nickel und Bram Stoker sind Brüder im Geiste: Von „Sozialpanik“ gepackt, erfinden sie Blutsauger, die sich an der Menschlichkeit der anderen laben. Was aber bleibt, wenn man alle Spuren der Menschheit tilgt in einer ökoökumenischen Bewegung biblischen Ausmaßes? Eine Puppenstube, aus der uns E. T. A. Hoffmanns Olimpia mit leeren Augen anstarrt. Und ein Buch natürlich, „substanzumnebelt und heilignüchtern zugleich“.

Die Qual der Wahl? Sieht man erst mal Himbeeren mutieren, taucht man vielleicht doch in den Untergrund ab oder versenkt den Löffel in Glyphosateiscreme. Ein Circulus vitiosus!

Und überhaupt: „Was sind das für Zeiten, wo/Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist/Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Brecht kritisierte das mangelnde politische Engagement, den Rückzug in die Natur-Blase seiner Zeitgenossen. Heute würde er sich wohl weniger abwertend über die Nachgeborenen äußern. Die Autoren der neuen Öko-Crime-Fiction sind vielleicht nicht ganz so hellhörig wie Nickels hypersensibler Protagonist, aber brandgefährlich sind sie allemal.

Info

Rettung Daniel Griffin Matthias Strobel (Übers.), Nagel & Kimche 2018, 384 S., 23 €

Fischzug Jock Serong Robert Brack (Übers.), Polar Verlag 2018, 280 S., 18 €

Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens Oliver Bottini Dumont Buchverlag 2018, 414 S., 22 €

Hysteria Eckhart Nickel Piper 2018, 240 S., 22 €

Bilder des Spezials

Ben Zank wurde 1991 geboren, er lebt in New York City. Mit 18 entdeckte er die Fotografie, als er auf dem Dachboden seiner Großmutter eine Pentax ME Super fand. Eigentlich ist er Journalist, aber oft findet er mit der Fotografie besser zu seiner Sprache. Anzüge, das sind kühle Bilder voll monochromatischer Spannung, die ein diffuses Gefühl von Intrigen, Verlassensein und Ereignis hervorrufen. Die Figuren sind gesichtslos, anonym, ihre Aktionen choreografiert und undurchsichtig. Zank ist inspiriert vom Surrealismus René Magrittes, er verwendet die Symbole der Epoche – einen Hut mit breiter Krempe oder ein Fahrrad. Zu sehen ist eine Noir-Traumlandschaft, die Fragen nach der Art der eingesetzten Symbole aufwirft: Sind sie eine Allegorie? Zank sagt: „Jedes Bild ist ein eigener kleiner Roman, den jeder auf seine Weise lesen kann.“ Mehr Information auf benzank.com

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