Das wird teuer

Handel Schluckt Edeka doch noch Tengelmann, wäre das schlecht für den Wettbewerb und gut für die Mitarbeiter
Ausgabe 39/2016

Es ist die wohl letzte Gnadenfrist in einer bereits zwei Jahre andauernden Schlacht: Bis kommende Woche will Tengelmann-Inhaber Karl-Erivan Haub noch warten, bevor er beginnt, seine Supermarktkette mit 15.000 Beschäftigten zu zerschlagen. Haubs Ziel: Die von Sigmar Gabriel (SPD) per Ministererlaubnis erlaubte Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka. Sie scheitert bisher am Widerstand des Chefs von Edekas größtem Konkurrenten: Rewe-Boss Alain Caparros. Zusammen mit dem Lebensmittelgroßhändler Markant hatte Rewe beim Oberlandesgericht Düsseldorf erfolgreich Beschwerde gegen die Erlaubnis des Wirtschaftsministers eingelegt. Der Rewe-Chef wünscht sich eine „gerechte Aufteilung“ der gegenwärtig verlustreichen Märkte von Kaiser’s Tengelmann unter den Konkurrenten. Er sorgt sich verständlicherweise, gegenüber Edeka noch weiter ins Hintertreffen zu geraten.

Derartige Gründe waren für Kartellamt und Monopolkommission entscheidend für ihre Ablehnung der Fusion. Gerade in den attraktiven Großstadtlagen in Berlin, München und Nordrhein-Westfalen würde der Aufkauf von 450 Märkten durch Edeka zur „erheblichen Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen“ führen. Die Verbraucherpreise könnten steigen. Das ist sicher richtig. Allerdings fallen die Preise im Lebensmitteleinzelhandel seit Jahren, eine Steigerung dürfte zu verkraften sein. Schwieriger ist es mit den Auswirkungen einer Übernahme auf die Produzenten und Zulieferer: Bei Edeka, Rewe, Aldi und der Schwarz-Gruppe mit Lidl sowie Kaufland konzentrieren sich stolze 80 Prozent der Einkaufsmacht. Welche Folgen das Drücken der Preise hat, ist seit Wochen wieder bei den Milchbauern zu beobachten.

Trotzdem setzte sich Sigmar Gabriel mit seiner Ministererlaubnis über das Votum der Kartellwächter hinweg, weil er das dafür nötige „überragende Interesse der Allgemeinheit“ sozial definiert. 15.000 Jobs zu verteidigen und Mitbestimmungsrechte zu stärken, das wiegt für Gabriel schwerer als Nachteile für den Wettbewerb.

Streiken ist schwierig

Warum er sich dafür allein auf die Seite von Edeka-Chef Markus Mosa stellte, ist noch unklar. Dass er dabei aber Garantien für Jobs und Betriebsratsstrukturen zur Bedingung für den Deal machte, war richtig. Es geht bei dieser im Jahr 2014 begonnenen Übernahmeschlacht eben nicht nur um Marktanteile, sondern vor allem auch um das Schicksal tausender Beschäftigter. Für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi schuf Gabriels Vorgehen eine relativ gute Verhandlungsposition. Denn Verdi ist in dieser Branche schlecht aufgestellt: Den vielen schlecht bezahlten, auf unzählige Filialen verteilten Beschäftigten stehen wenige mächtige Konzerne gegenüber. Verdi gelingt es immer weniger, die Beschäftigten – in ihrer großen Mehrheit Frauen – vor den Folgen des Wettbewerbs zu schützen.

Gut zwei Drittel der Arbeitnehmer in der Branche sind geringfügig oder in Teilzeit beschäftigt. Für nur 36 Prozent von ihnen im Westen und 26 Prozent im Osten gilt ein Tarifvertrag. Da ist es enorm schwierig, die Unternehmen mittels Arbeitskampf herauszufordern, wovon jüngst das Beispiel der Metro-Tochter Real zeugte: Im Sommer setzte Metro trotz Streiks Abweichungen vom Tarif bei Löhnen und Urlaub durch, indem es drohte, Real zu verkaufen.

Seit Jahren befindet sich der Sektor in einem erbarmungslosen Preiswettbewerb. Ausgetragen wird er auf dem Rücken der Beschäftigten und der Produzenten. Während in der deutschen Automobilbranche 404,8 Milliarden Euro Umsatz auf 790.000 Arbeitnehmer kommen, sind es im Einzelhandel drei Millionen Beschäftigte bei rund 500 Milliarden Euro Umsatz. Kaum verwunderlich, dass sich dadurch vor allem die Großen durchsetzen und spektakuläre Insolvenzen zur Regel geworden sind: Schlecker, Praktiker, Neckermann, Quelle, Karstadt, Max Bahr – die Liste ließe sich durchaus fortführen.

In Sachen Edeka und Tengelmann gelang den Gewerkschaften dagegen mit Gabriels Rückendeckung Bemerkenswertes: Die Arbeitsplätze der 15.649 bei Kaiser’s Tengelmann Beschäftigten sollen im Falle der Übernahme für fünf Jahre erhalten bleiben, was etlichen älteren Mitarbeiterinnen einen einigermaßen galanten Übergang in die Rente ermöglichen würde. Gesichert blieben auch Betriebsratsstrukturen, wie es sie in Haubs Unternehmen flächendeckend gibt – im Gegensatz zu Edeka.

Ein Verkauf der Märkte an selbstständige Kaufleute wäre verboten. Sollte es nach den fünf Jahren zu solch einer Privatisierung kommen, wären Änderungskündigungen und betriebsbedingte Entlassungen für weitere 24 Monate unzulässig. Alle befristet Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann würden übernommen. Die Mitarbeiter des Lieferdiensts Bringmeister GmbH erhielten erstmals Tarifbindung. Und die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten konnte die Sicherung für zwei der drei Fabriken des hauseigenen Fleischproduzenten Birkenhof sowie eine Übernahme der Beschäftigten der dritten Fabrik vereinbaren.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass eine solch umfassende Absicherung der Beschäftigten im Rahmen einer Betriebsübernahme noch nie gelungen ist. „Ohne die Vorgaben der Ministererlaubnis wäre ein solches Ergebnis am Verhandlungstisch nicht möglich gewesen“, sagt Verdis für Bayern zuständiger Verhandlungsführer Hubert Thiermeyer.

Zwei Haken hat die Sache freilich: Edeka könnte die Kosten der Übernahme und der damit einhergehenden Bedingungen durch Arbeitsplatzabbau im eigenen Unternehmen reinholen. Und zudem ist noch höchst unsicher, ob sich Edeka, Tengelmann, Rewe und Verdi bei Gesprächen dieser Tage auf eine Lösung verständigen können. Als Blaupause könnte die Ruhrgas-Übernahme durch Eon 2003 dienen: Gegen die damals erteilte Ministererlaubnis hatten Konkurrenten ebenfalls erfolgreich geklagt und ließen es sich teuer von Eon bezahlen, ihre Beschwerde wieder zurückzuziehen.

Sollte Rewe-Boss Caparros dazu nicht bereit sein, steht nach der Schlecker-Pleite von 2012 wohl das nächste große Desaster an. Damals verloren 27.000 Verkäuferinnen ihren Job. Diesmal, bei Kaiser’s Tengelmann, könnten es 8.000 werden, schätzt Gabriel. Tengelmann-Chef Haub würde die Filialen einzeln und meistbietend verkaufen. Zuvor aber würden die Beschäftigten die Kündigung erhalten – und müssten sich neu bewerben. Edeka hat bereits verlauten lassen, die erworbenen Märkte umgehend an selbstständige Kaufleute weiterzugeben. Rewe, Norma oder der Interessent Migros aus der Schweiz dürften da kaum bessere Bedingungen bieten.

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