Google Maps schlägt vor, in Bad Schandau aus dem EC nach Prag auszusteigen, dann eine Station mit der S1 und im Bus bis zum Halt Erbgericht zu fahren. Kurz vor Tschechien liegt Gohrisch, 1.823 Einwohner, zwei Drittel der Gemeindefläche Wald, fast ein Viertel Ackerland. Reisezeit ähnlich einer Fahrt nach München, dabei sind es aus dem Prenzlauer Berg nur 190 Kilometer. Vielleicht liegt es daran, dass man in Gohrisch recht weit am Rand von allem hantiert und eben das ist, was Uwe Börner später schlicht „ein Dorf“ nennt.
Menschen, die sich um die Beschreibung von Ort und Umland bemühen, verwenden das Wort „malerisch“. „Die werden sich einfach keine Gedanken gemacht haben,“ sagt der kommissarisch noch amtierende, eigentlich abgewählte Bürgermeister Heiko Eggert. Er meint damit aber nicht die, die Gohrisch besingen, sondern Börner sowie zwei Gemeinderatsmitglieder für die CDU. Die haben nämlich eine Fraktion mit einem AfD-Mann gebildet. Börner ist wieder über die grüne Liste in den Rat gerutscht.
Genügend Gründe einmal anzurufen. Uwe Börner, Kraftfahrzeugmechaniker und Versicherungsgutachter ist etwas gnatzig. Verständlich, er arbeitet 40 Stunden in der Woche, immer eine Stunde Fahrt hin und eine zurück, daneben der Rat und jetzt ein Wochenende voller Presseanfragen aus der halben Republik. Dennoch, Herr Börner, mit der CDU und der AfD – warum?
Ehrliches genervt Sein am anderen Ende: „Es ist eigentlich so, dass die Leute, die mich immer wieder fragen, warum man Fraktionen bildet, wie eine Gemeinderatssitzung funktioniert, schlicht null Ahnung davon haben.“ Da hilft Heiterkeit: Kommunalverfassungen und die verbrieften Vorteile der Fraktionen gegenüber einzelnen Ratsmitgliedern (Haushaltsmittel, weitergehende Rede- und Antragsrechte, Benennung von Ausschussmitgliedern etc.) beten Freitag-Leser beim Frühstück herunter. Es gehe aber um die politische Frage, Herr Börner, Sie sind zwar kein Parteimitglied, aber doch irgendwie grün. Wieso dann zwei Mal CDU und ein Mal AfD?
Leck bei der Feuerwehr
Jetzt sagt Börner seinen Satz vom Dorf, und weiter: „Sie werden das nicht verstehen. Sie kommen aus der Großstadt. Das verstehen selbst die Leute in Pirna nicht. Bei uns auf dem Dorf drehen die Uhren etwas anders. Man kennt sich, man ist miteinander verbändelt. Es geht nur um die menschliche Seite. Nicht um große politische Fragen.“
Es geht aber doch um Stadt und Land, Entwicklung und Stagnation: Wenn man sich im Ort umhört, erzählen einem Menschen von Gebäuden, in die es hineinregnet (im Freibad, bei der Feuerwehr), von Brücken, die marode und gesperrt sind. Hohe Abwassergebühren waren ein großer Aufreger. Der Bürgermeister hatte gröbere Missstände geerbt, spricht über Abwasserleitungen von denen „niemand richtig weiß, wo die hinführen“. Sanieren kostet. Klagen kleiner Gemeinden klingeln bundesweit in den Ohren der Landräte, überall Beschwernisse: Langwierige Anträge für Investitionen, Verfahren, die ungeeignet sind, rasch zu reagieren. Ostdeutschland ist in vielen Gegenden sehr ländlich, die Strukturen sind besonders schwach.
Uwe Börner moniert das Gefühl zurückgelassen zu werden: langsames Internet, wenige, langsame Busse, Spielplätze, um die er seit Jahren ringt. Hebt an zur Generalklage: „Es hat die große Politik null interessiert, was hier im ländlichen Raum passiert.“ Bürgermeister Eggert hat das aus dem Landtagswahlkampf gelesen, ernsthaft um die Wähler habe sich niemand gekümmert. „Bis eben auf die AfD.“
Also gewann einer das Direktmandat, der schon feststellte für „vernünftige Vorschläge“ auch der NPD zu zustimmen, als er noch für die SPD im Kreistag saß. Der 2006 zur Beerdigung eines NPD-Kaders ging, es gab Fackelzug, Fahnenträger, deutschnationale Lieder, Mitglieder der Skinheads Sächsische Schweiz waren da. So etwas schadet nicht: In Sachsen stimmten die meisten Wähler zwischen 18 und 34 für die AfD. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gewannen freie Wählergruppen noch die meisten Kommunalmandate, bei der Landtagswahl holte die AfD im Wahlkreis 51 die meisten Erst- wie Zweitstimmen.
Die Partei ist in vielen Regionen fester Bestandteil der Gegenwart. Und für die vorhersehbare Zeit Teil der Zukunft. Darüber regt man sich im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge kaum auf, wenn, kommt Empörung von außen. Uwe Börner klingt einerseits so als würde er mit den Schultern zucken, andererseits sagt er: „Ich wünschte mir auch, dass es anders wäre.“
Der Schriftsteller Carl Amery hat einmal darauf hingewiesen, dass der Dörfler auf den universalen nachbarlichen Zusammenhalt angewiesen sei, der größte Teil der sozialen Umgebung werde als schicksalhaft empfunden, „die Konventionen der Provinz sind sozialer Art: sie haben dafür zu sorgen, dass die Kontinuität der unentrinnbaren Gruppe gewahrt bleibt.“ Der Großstädter tue sich leicht: „Er kann jede beliebige soziale Katastrophe zurücklassen und morgen einen neuen Haufen finden – oder eine neue Einsamkeit, je nach dem.“
Auf dem Dorf funktioniert das nicht und wenn man Börner zuhört, mit dem Bürgermeister und anderen spricht, ergibt sich ein seltsames Bild. Eines, in dem ein Bindemittel auch Menschen integrieren will, die sich zur AfD bekennen. Sie „harmonisiert“, nennt Eggert das. Wo sich im Ortsteil Cunnersdorf nach vorsichtigen Annäherungen Nachbarn um Flüchtlinge aus der Sammelunterkunft kümmerten. Börner wiederholt mehrfach: „Hier sind längst nicht alle rechts, nur weil viele AfD gewählt haben.“
Zum Wohle des Dorfes
Der Blick geht nach innen: Der Nachbar von der AfD, der sich für den Ort einsetzen möchte, ist einem näher, als sein Landesvorsitzender, der trommelte, dass sie „das derzeitige Regime mit Hilfe vernünftiger Menschen zum Einsturz bringen“ wollen. Dann ruft der AfD-Mann aus dem Gemeinderat zurück, Maik Herrmann, längeres Gespräch über die Diktatur, die überall drohe, über angeblich illegale Flüchtlinge. Will das Regime auch zum Einsturz bringen. Ist wegen des Grenzschutzes zur AfD gekommen. Geht „mit einigen Aussagen des Herrn Höcke nicht konform.“ Ansonsten erschreckend uninformiert über Asylverfahren, Fluchtmechanismen und einiges mehr. Mit den drei Herren ist er eine überparteiliche Fraktion eingegangen, weil sie alle keine Parteimitglieder seien und nun für das Wohl von Gohrisch arbeiten wollten. Zwei kannte er schon länger. „Wir lassen die Parteipolitik außen vor.“
Mit all dem weisen sie in Gohrisch auf einen anderen Begriff von Politik. Einen, der nicht Streit und Auseinandersetzung schätzt, sondern unbedingt Gemeinsinn herstellen will. Dennoch, Herr Börner, eine Sache ist es, jemanden von der AfD politisch zu stellen. Aber muss man eine Fraktion mit ihm bilden? Die Antwort ist wenigstens sympathisch: „Man muss es vielleicht nicht tun. Die Tragweite haben wir so vorher nicht gesehen. Vielleicht würde ich heute anders entscheiden.“
Heiko Eggert hat also Recht, viel nachgedacht haben sie nicht. Uwe Börner hat auch Recht, wenn er dem Journalisten entgegenhält, dass der das nicht verstehen wird.
Kommentare 4
Das Dorf, man kennt und sieht sich von der Wiege bis zur Bahre, alles Fremde wird beäugt. Für die einen Fontane Idyll, für andere eher Dantes Hölle. Je nach Neigung und Sichtweise. Nichtbeachtung und eine Kiepe voller Alltagssorgen schweißen dort manchmal Bündnisse, die Zugereiste schrecken. Berichterstatter kommen und gehen, die Menschen bleiben. Meistens ein Leben lang.
Ob es gefällt oder nicht, AfDler innerhalb und außerhalb der Partei sind Menschen, die - selbst wenn auf keine andere Weise so immer noch als Staatsbürger - Teil von "uns" sind. Sie wählen und ihre Wahl fließt unterschiedslos in das Ergebnis mit ein. Sie auszuschließen funktioniert nicht. Die pauschale Verweigerung von Kooperation mit ihnen ist daher bestenfalls dumm. ob das in Form einer Fraktion geschehen muss? Ist zumindest teilweise völlig gleichgültig, es sei denn, man schätzt den Wert von Symbolik so hoch ein, dass man Menschen nagesichts von Symbolen das Denken abspricht. Solange Börner weiß, wo Zusammenarbeit möglich ist und wo die Grenze erreicht wird, ist alles im grünen Bereich.
Ich erlaube mir auf eine weitere Variante der Kommunalpolitik hinzuweisen, die in manchen kleinen Orten in Rheinland-Pfalz praktiziert wird:
Es gibt weder Fraktionen noch Parteien im Gemeinderat. Es wird gefragt, wer kandidieren möchte. Diejenigen, die sich dazu entschließen, melden sich schriftlich beim Ortsbürgermeister. Anschließend wird eine Liste im Ort verteilt, auf der sich die Willigen kurz vorstellen. Allerdings fast immer ohne politische Inhalte. Die WählerInnen erhalten einen leeren Wahlzettel, auf den sie ihre Wunschkandidaten schreiben. Man kann auch diejenigen draufschreiben, die sich zuvor nicht erklärt haben. Die mit den meisten Stimmen sind dann gewählte Mitglieder des Gemeinderats. Meistens sind es bei diesen Ortsgrößen zwölf.
Die sehr große Gefahr, die besteht, wenn man sich mit faschistischen Parteien arrangiert, und hier ist es völlig egal, ob man das "nur" auf einer kommunalen administrativen tut, ist die des aktiven Normalisierens ihrer Extreme.
Das war schon damals ganz bewußt der Weg der NSDAP, sich als demokratisch sachbezogen die harmlose Vernunft als Diener der Kommunen zu betonen, Man wolle ja nur Probleme lösen wie alle anderen auch. Man kennt sich doch schliesslich.
Wie sehr man an Problemlösungen dann allerdings interessiert ist, sieht man ja in den Talkshows, in den Zeitungen, in den Landtagen und in ihrer Praxis und Programmatik. All ihre Aktionen zielen auf die Auflösung der Demokratie, dem HERRschen über die Kommunen, dem Rassismus, dem Völkischen, der Ausbeutung der Schwachen, die immer auch reziprok das Indiz ist für eine der stärksten Elemente der Naziideologien: dem Dominieren eines Stärkeren und dem Ausmerzen der Schwächeren.
Das atmet letztendlich auch deren Kommunalpolitik, die auch das Abschaffen derselben beinhaltet. Welch Geistes Kinde die AfD hat, sah man ja erst letztens beim Interview Höckes, der mit Drohungen um sich warf sobald er kritisiert wurde.