Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Parteichef laut über die Spaltung seiner Partei nachdenkt. Jörg Meuthen, einer der beiden Sprecher der AfD, regte am 1. April an, der „Flügel“ um Björn Höcke und die Rest-AfD könnten in Zukunft getrennte Wege gehen. Kein Aprilscherz: Beide Seiten würden davon profitieren, meinte Meuthen und forderte eine mutige, ergebnisoffene Debatte. Dabei ist Mut sicher nicht die Eigenschaft, die Parteifreunde mit seinem Namen verbinden. Mut, sich mit den völkischen Kräften in der Partei anzulegen, noch viel weniger. Im Gegenteil: Früh suchte Meuthen den Schulterschluss mit den Völkischen, um seine Position zu sichern.
Anders als die meisten an der Parteispitze zählt Meuthen, 58, nicht zu den Mitgliedern der ersten Stunde. Er beobachtete die Anfänge der AfD aus der Distanz, trat selbst erst nach der Bundestagswahl 2013 in die Partei ein, als die AfD mit einem Ergebnis von 4,7 Prozent einen Achtungserfolg gefeiert hatte. Er habe es unfair gefunden, wie am Abend der Wahl in einer Talkshow mit Parteigründer Bernd Lucke umgegangen worden sei, kolportierte er.
Keine zwei Jahre darauf folgte Meuthen auf Lucke an der Spitze der Partei. Meuthen, zu diesem Zeitpunkt noch als Professor für Volkswirtschaftslehre an einer Verwaltungshochschule in Baden-Württemberg tätig, sollte nach Luckes Weggang die neoliberalen und nationalkonservativen Mitglieder in der Partei halten. Als viele Lucke folgten und die AfD verließen, schaute sich Meuthen nach neuen Bezugspunkten um – und wurde fündig: Am rechten Rand hatte sich um Björn Höcke der völkische Flügel formiert.
Gemeinsam mit Alexander Gauland und Höcke bildete Meuthen spätestens ab 2016 ein Dreigestirn, das sich gegenseitig stützte und schützte. Auf Parteichef Meuthen konnten sich die Völkischen lange verlassen. Unter Journalisten und Journalistinnen wurde die Vorhersehbarkeit von Meuthens öffentlichem „Krisenmanagement“, wenn Parteimitglieder wieder mit fragwürdigen Aussagen Aufmerksamkeit erregt hatten, schnell zum Running Gag: Er zeigte sich zunächst bestürzt, beteuerte dann, davon noch nichts gehört zu haben, garantierte im dritten Schritt, das Gespräch mit der betreffenden Person zu suchen. Tatsächliche Konsequenzen mussten die Völkischen unter diesem Parteichef nicht fürchten.
Als Höcke Anfang 2017 in Dresden das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnete, konnte Meuthen allerdings nicht behaupten, das sei ihm entgangen. So befand er, sein Parteifreund habe „nichts Verwerfliches“ gesagt. Die Mehrheit des damaligen AfD-Bundesvorstands sah das anders und leitete ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke ein. Meuthen stimmte dagegen.
Die größte Stärke von Jörg Meuthen besteht vielleicht darin, zu sagen, was das Gegenüber hören mag. Bei seinen Parteitagsreden lief er bislang zur Hochform auf. Etwa im April 2016, als er beim Programmparteitag in Stuttgart gegen das angeblich „links-rot-grün verseuchte 68er-Deutschland“ ätzte. Oder ein Jahr später in Köln, als er über Innenstädte fabulierte, in denen er nur noch vereinzelt Deutsche sähe. Endgültig für den NPD-Imitationswettbewerb qualifizierte sich Meuthen ein paar Monate später beim Kyffhäusertreffen des „Flügels“ mit der Äußerung, die Bürger hätten die Schnauze voll von „marokkanischen Netto-Nafris“ mit „20 Scheinidentitäten“ und „üppigem Monats-Netto von über 8.000 Euro“.
Meuthen orientierte sich in dieser Zeit vor allem an seinem Co-Vorsitzenden Gauland, dessen Mantra von Beginn lautete, die AfD brauche sowohl den völkischen „Flügel“ als auch Neoliberale und Nationalkonservative. Für Dissens zwischen den Parteiströmungen sorgt ohnehin höchstens die sozialpolitische Ausrichtung, bei der Marktradikale wie Meuthen mittlerweile eher in der Defensive sind. Dass die AfD nur als Sammlungspartei unterschiedlicher rechter Strömungen stark ist, hat Meuthen aber offenbar nicht verstanden. Die Freundschaft zwischen Höcke, Gauland und Meuthen begann nach dem Einzug in den Bundestag langsam zu bröckeln – auch weil die gemeinsame Gegnerin Frauke Petry die Partei verließ. Und weil der Einfluss Gaulands als Integrationsfigur geringer wurde.
Seit der Verfassungsschutz den „Flügel“ ins Visier genommen hat, äußerte sich Meuthen zaghaft, aber zunehmend kritisch gegenüber den Völkischen, die ihm daraufhin ein Warnsignal übermittelten: Sein eigener Kreisverband wollte den Parteichef nicht als Parteitagsdelegierten nominieren. Meuthen rüstete daraufhin bis zum Parteitag Ende 2019 verbal ab und wurde zur Belohnung zum dritten Mal in Folge als Vorsitzender gewählt.
Kurz nachdem der Verfassungsschutz den „Flügel“ als rechtsextrem eingestuft hatte, gelang es Meuthen, im Bundesvorstand einen Beschluss zur Auflösung des „Flügels“ durchzubekommen. Vielleicht ist ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen, vielleicht wurde ihm Unterstützung zugesagt, die nicht eingehalten wurde, oder sein Vorstoß zur Spaltung der AfD entsprang schlicht dem Wunsch, die bürgerliche Fassade zu polieren, bald selbst im Bundestag zu sitzen, sich nicht mehr auf Kyffhäusertreffen herumtreiben zu müssen, sondern Zeit in den schicken Räumen der Parlamentarischen Gesellschaft verbringen zu können.
Nach nur drei Tagen musste er die von ihm angestoßene Debatte für beendet erklären. Meuthens Spaltungsüberlegungen führen zu einer seltenen, lagerübergreifenden Einheit, selbst Parteifreunde kritisierten ihn scharf. Es gibt wohl wenige bessere Beispiele für einen Opportunisten als Jörg Meuthen.
Kommentare 10
Einen Punkt sollte man im Anblick dieses Vorstoßes im Blick behalten: Meuthen hat mitnichten eine politische Trennung vom »Flügel« beabsichtigt. Was er vorschlug, war lediglich eine taktisch exquisite Finte nach dem Motto »Getrennt marschieren – vereint schlagen«. Sämtliche Medienberichte zu dieser Aktion belegen, dass Meuthens »Nimm-zwei-Strategie« vor allem darauf angelegt war, die Synergieeffekte der beiden von der AfD gebundenen Milieus optimaler auszuschöpfen als es bislang der Fall ist.
Hierfür spricht auch, das gegenwärtig wohl BEIDE Formierungen mehr oder weniger mühelos die Fünf-Prozent-Marke knacken würden. Entsprechend spielten seitens Meuthen auch Distanzierungen allenfalls peripher eine Rolle und lediglich insofern, als dass er die vorgeschlagene Trennung von Nationalkonservativen und Völkischen seinen Leuten argumentativ verkaufen muß.
Fazit so: alter Wein in neuen Schläuchen. Der lediglich deshalb nicht angenommen wurde, weil »Zusammenbleiben« gegenwärtig in der Tat der taktisch bessere Rat ist – das hat der Rest der Parteispitze durchaus richtig eingeschätzt. Um zum vorherrschenden Argumentationsstrang des Beitrags zu kommen: Meuthens Opportunismus mag zwar ein wesensbildender Charakterzug sein. Hier schlägt er jedoch als Begründung fehl. Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn die Sache (vorerst) in die Hose gegangen ist, hat er sein Profil – als vorgeblich Gemäßigter – nicht unerheblich geschärft. Ich denke, autochroner Grund für seinen Vorstoß sind Überlegungen innerhalb des nationalkonservativen Flügels, sich einerseits zwar stärker als bislang auf das eigene Profil zu konzentrieren, andererseits jedoch weiter im Bündnis zu bleiben mit dem rechtsextrem-völkischen Mileu, welches durch Höcke, Kalbitz & Co. repräsentiert wird. In dem Sinn ist Meuthen, für einen Opportunisten eher untypisch, ein gutes Stück aus der Deckung gegangen.
Einordnung: Im Grunde die uralte Chose der Nationalkonservativen preußisch-ostelbischen Einschlags – in würdiger Tradition von Figuren wie Papen und Schleicher.
"... in würdiger Tradition von Figuren wie Papen und Schleicher."
Da fehlt jetzt aber noch ein ganz wichtiger deutscher Politiker, nämlich Heinrich Brüning, der Vorgänger der Kabinette von Papen und von Schleicher.
Brüning war bekanntlich Mitglied der Zentrumspartei (mit anderen Worten, die Partei der christlich-katholischen "Mitte") und von 1930 bis 1932 Reichskanzler der Weimarer Republik. In die Geschichte Deutschlands eingegangen und bekannt geworden ist Brüning auch als "schwäbischer Hausmann" bzw. "Sparkanzler", der nachträglich in seinen Memoiren behauptete, er wollte mit seiner Politik die NSDAP verhindern.
Den Nachfolger von Schleicher kennen allerdings nur noch ganz wenige Deutsche.
"Mutti" Merkel, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland von 2005 bis 20??, die von vielen Gazetten und Medien auch als die "schwäbische Hausfrau" in den christlichen Himmel gelobt wird, hat mit Sicherheit noch nie etwas davon gehört.
Die ("Qualitäts"-)Journalisten der "Welt", Jörg Meuthen, Friedrich Merz, Markus Söder, der Geschichtslehrer Björn alias Bernd Höcke und die Anhänger von CSU, CDU, SPD, NPD, FDP und AfD kennen den bestimmt auch nicht. Oder vielleicht doch?
Und was wäre, wenn sie ihn doch kennen?
Es folgt ein kleines Buchstabenrätsel und ein kleines "d" und ein kleines"e" gebe ich mal vor:
?d??[blank]????e?
Merksatz 33 aus dem großen Handbuch für neoliberale Politik: Nazi bleibt Nazi, auch dann wenn jemand seine braune Unterwäsche mit einem feinen schwarzen Anzug oder einem unscheinbaren grauen Kostüm aus dem Secondhand-Laden tarnt und sich ein Kreuz mit dem Gekreuzigten um den Hals hängt.
Ich bin mir gar nicht so sicher, ob Meuthens Vorschlag aus Sicht der AfD tatsächlich so wenig Sinn gemacht hat. Es ist ja vermutlich nicht falsch, dass sich viele Rechtskonservative vom Höcke-Flügel, und viele klassisch Rechtsextreme bzw. viele klassisch rechte Protestwähler vom rechtskonservativ-bürgerlichen Flügel abgestoßen fühlen. Eine Spaltung in Meuthens Sinne hätte das Wählerpotential somit durchaus steigern können.
Das Risiko wäre natürlich gewesen, dass eine Höcke-Kalbitz-Partei massenhaft geistig und moralisch völlig verwahrloste Gestalten angezogen hätte und somit zu so etwas wie einer NPD 2.0 geworden wäre (mit entsprechendem 'Erfolg' beim Wähler).
>>Das Risiko wäre natürlich gewesen, dass eine Höcke-Kalbitz-Partei massenhaft geistig und moralisch völlig verwahrloste Gestalten angezogen hätte und somit zu so etwas wie einer NPD 2.0 geworden wäre (mit entsprechendem 'Erfolg' beim Wähler).<<
Ich kann aktuell den geistigen Unterschied zur NPD bei dieser Partei nicht erkennen. Daran hätte auch eine Spaltung, die aktuell nicht ernsthaft zur Debatte steht, nichts geändert.
Insgesamt unterscheiden sich NPD und AfD natürlich schon erheblich. Die NPD ist in Gänze eine neonazistische Partei, die AfD nur partiell. Und der ganze Habitus ist einfach ein anderer. Deshalb kann die AfD im Gegensatz zur NPD auch beim Wähler punkten. Mir geht es nicht um eine Verharmlosung der AfD, aber die Realität sollte man schon noch sehen.
Ich bleibe bei meiner Meinung. Auch wenn der Habitus ein anderer sein sollte, denn der spielt in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Der Geschäftsführer der Amadeu-Stiftung, Timo Reinfrank, sieht das ähnlich:
>>Die AfD auch im Sommer 2019 noch rechtspopulistisch zu nennen, wäre „nicht nur falsch, sondern auch verharmlosend“, so Reinfrank. Die Partei sei rechtsradikal und eine „neue modernisierte Form der NPD“. Kein weithergeholter Vergleich. Schon 2016 hatte sich Udo Pastörs, damals Spitzenkandidat der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, darüber beschwert, dass Björn Höcke ihn kopiere. Die beiden Parteien eint die Demokratieverachtung, Hetze gegen Geflüchtete, die rassistischen Bilder über Migrant*innen und die Relativierungen und Verherrlichung der NS-Diktatur. Dabei gibt es aber laut Reinfrank auch zentrale Unterschiede. Gerade aus denen kann die AfD aber Kapital schlagen: „Die AfD ist so erfolgreich, wie die NPD es nie sein konnte“, auch wegen ihres nach wie vor bürgerlichen Unterstützungsumfelds und der Sozialen Medien.
Das ändert allerdings nichts an den Überschneidungen zu vielen anderen rechtsradikalen und rechtsextremen Bewegungen. Sichtbar wurde das spätestens bei den Demonstrationen in Chemnitz. Dort marschierte die Partei zusammen mit gewaltbereiten Hooligans, Rechtsterrorist*innen und Kadern der vom Verfassungsschutz beobachteten „Identitären Bewegung“. Die AfD ist der parlamentarische Arm der rechtsradikalen Szene geworden. Das zeigt sich bei Demonstrationen aber auch im Internet.<<
In diesem Artikel wurden noch der "Vogelschiss" und dass Höcke als Faschist bezeichnet wird, vergessen - dann wäre er ein Kompendium der meisten, gut abgelagerten Textversatzstücke über die AfD. Nach Lektüre der ersten zwei Sätze kann fast Jedermann solche Artikel unter Verwendung der Versatzstücke-Sammlung zuendeschreiben.
Was geht mich fremdes Elend an ... .
Die AfD ist doch dasselbe wie ihr Lieblingsfeind die Grünen: Zutiefst marktradikal und amerikagläubig, beide Parteien wahlweise mit braunem oder grünen Anstrich. Dem Neoliberalismus ist es doch längst gelungen, sowohl wirkliche linke als auch rechte Politik zu unterbinden und so ein politisches Vakuum zu erzeugen, in dem das gemeine Volk sich auf den (a)sozialen Medien erregen kann und seinen Frust durch die Entrechtung der Neoliberalen wahlweise auf Migranten oder Juden schieben kann.
Höcke mag ein verachtenswerter Faschist sein aber er wird am bestehenden System ebenso wenig ändern wie die Linke oder diese pseudolinken Grünen.
Der Flügel rückt die Partei nach rechts. Das ist keine Protestpartei, wie die Piraten vor Jahren. Sie steht rechts von der CDU. Auch da gibt es rechte Bestrebungen um Maassen herum. Den Flügel auszuschließen ist eine Worthülse. Nichts wert. Es geht weiter so. Aber ob der Verfassungsschutz daran etwas ändert bleibt fraglich.