Der Schattenboxer

Porträt Werner Patzelt ist Politologe und wird im März emeritiert. Jetzt bastelt er am Programm der Sachsen-CDU
Ausgabe 09/2019

Es muss anstrengend sein, in der Rolle von Werner Patzelt zu stecken. Medien und Politik reißen sich um ihn, weil er druck- und sendereif spricht. Zurzeit ist der Professor aus Dresden wieder sehr gefragt. „Zurzeit ist der falsche Ausdruck“, entgegnet er süffisant, „eigentlich seit Jahren.“

Wo immer Rechte auf den Plan treten, wird der gebürtige Passauer zur Stelle gerufen – vor allem im Osten. Er ordnete Pegida ein, gab Interviews zu den Ausschreitungen in Heidenau und Freital, erklärte der Republik die AfD. Jedes Interview, jeder Artikel über ihn landet außerdem auf seinem Blog „Patzelts Politik“. Wenn einmal nichts über ihn geschrieben wird, schreibt er selbst über seine Kritiker. Häufig stehen in diesen Texten deutungssichere Begriffe wie „Tatsachen“ und „Fakten“ vor der prätentiösen Schlussfolgerung „Folgendes wäre richtig gewesen“.

Studierende aus Patzelts Einführungsvorlesung berichten von ähnlichen Ratschlägen auf den Foliensätzen des Professors: „Nach meiner langjährigen Erfahrung rate ich Ihnen, es so zu sehen!“ Mit ihm im Gespräch fühlt man sich selbst unweigerlich in die Rolle eines Studenten zurückversetzt. Der 66-Jährige faltet die Hände über dem Bauch, hört geduldig zu, nickt oft schon lange, bevor eine Frage zu Ende gesprochen wurde. Er hat alle Antworten bereits Dutzende Male gegeben. „Schau’n Sie“, holt er schließlich aus und bringt Lehrbuchsätze wie diesen: „Die Aufgabe von Parlamenten ist es, den empirisch vorfindbaren Volkswillen zu veredeln.“

Als Pegida im Herbst 2014 in Dresden zum ersten Mal die Bühne betrat, wollte Patzelt selbst den Willen des Volkes durch das Ausdrucksvermögen der Politikwissenschaft verdolmetschen. Mit einem eilig gebastelten Fragebogen ließ er Studierende das Selbstbild der Demonstranten ermitteln. Das Ergebnis: Zwei Drittel, die er „Gutwillige“ taufte, sahen sich in der politischen Mitte. Seitdem haftet an Patzelt der Vorwurf des „Pegida-Verstehers“.

Weil verschiedene Forscherteams um die Aufmerksamkeit der Medien konkurrierten, musste damals alles ganz schnell gehen. Im Spannungsfeld von Gewissenhaftigkeit und Informationshektik entschied sich Patzelt für die mediale Dauerpräsenz, die er bis heute sichtbar genießt. In der scientific community steht er dagegen immer wieder in der Kritik, mit dem Nimbus des Wissenschaftlers eigentlich Politikberatung zu betreiben.

Einmal ist er schon über seine Popularität gestolpert. Nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz äußerte er Zweifel, dass „Hetzjagden“ stattgefunden hätten, und initiierte eine Petition, deren „erschreckend dichotomes Weltbild“ ein Kollege in Form eines offenen Briefes kritisierte. Patzelt sagte später, er habe an diesem Tag 27 Interviews geben müssen und deshalb keine Zeit gefunden, sich über die Vorgänge selbst zu informieren. Er korrigierte sich zähneknirschend und taufte die Chemnitzer Vorgänge kurzerhand „Nacheileverhalten“.

Seinem bisherigen Arbeitgeber, der TU Dresden, war das zu viel des politischen Engagements. Patzelt wird Ende dieses Wintersemesters planmäßig emeritiert. Seit 1992 hatte er den Lehrstuhl für „politische Systeme und Systemvergleich“ inne. Seit Jahren, so sagt er, habe die TU vorgesehen, danach eine Seniorprofessur zu beantragen – eine Anerkennung besonders verdienstvoller Professoren, die ihnen ehrenamtlich die weitere Nutzung von Universitätsressourcen ermöglicht. Nun entschied sich der Dekan der Philosophischen Fakultät auf Druck des Fakultätsrats allerdings dagegen. Sein kleines Büro an der Fakultät, in dem er neben Studenten nun auch vermehrt Journalisten empfängt, muss er Ende März räumen. Patzelt habe, so der Dekan, seine politische Arbeit „nicht hinlänglich von seiner Position als Wissenschaftler getrennt“ und solle nicht zusätzlich dafür geehrt werden. Der Professor sieht das freilich anders. Seine Rolle sei ähnlich der eines Musikprofessors, der öffentlich musiziere, meint Patzelt. Er unterstellt der TU politische Gründe.

Tatsächlich kennt Patzelt kaum politische Berührungsängste. Er schreibt für die Junge Freiheit, tritt vor extrem rechten Burschenschaften auf, referiert in der neurechten Bibliothek des Konservatismus und ist ein gefragter Gutachter der AfD. Wenn man ihn auf seine Haltung zu Pegida anspricht, bemüht er Sportmetaphern: „Das ist wie bei einem Boxkampf. Sie schlagen dem anderen die Faust ins Gesicht. Aber doch nicht, weil sie ihn als Menschen verachten, sondern weil das die Spielregel ist.“ Seine Taktik zum Umgang mit der AfD lautet: sie und ihre Wähler nie ausschließen, sondern ihr demokratisch begegnen – und gewinnen.

Dieses Kunststück soll er nun bei der kommenden Landtagswahl für die sächsische CDU vollbringen, die ihn als Programmschreiber verpflichtet hat. Patzelt, seit 1994 CDU-Mitglied, empfiehlt seiner Partei eine programmatische Annäherung an die AfD: „Alles, was an den AfD-Positionen vernünftig ist, vertreten wir auch. Alles, was unvernünftig ist, vertreten wir nicht, das kritisieren wir.“ Vernünftig ist aber immer nur, was der Professor für vernünftig hält: die politische Ordnung in ihrem Ist-Zustand. Extreme Auswüchse, wie Angriffe auf Asylsuchende, sind in seiner Logik keine Produkte des Systems, sondern Fransen an einem Teppich der Vernunft, der „Idiotensaum“, wie er es nennt.

Während Patzelt im Interview wie ein Automat zitierfähige Sentenzen von sich gibt, klingelt sein Telefon. „Entschuldigung, da muss ich kurz ...“, sagt er auf Hochdeutsch mit sanftem bayerischen Einschlag. Es ist die nächste Presseanfrage, die er beantwortet. Die Nachfrage nach ihm scheint nicht aufzuhören. „Manche Leute würden sich wünschen, dass es aufhört“, sagt er lächelnd, „aber es wird nicht aufhören.“

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