Man muss gleich vorneweg sagen: Ein Leben ohne Mosaikkunst, ein Leben ohne die großformatigen Bilder an den Fassaden der Städte ist möglich, aber sinnlos. Die beige Farblosigkeit, die beliebige Formensprache der neoklassischen, neoitalienischen, neoverglasten Investorenbauten sind ein Spiegel jener grassierenden Utopieverneinung, die konträr zum Mosaik stehen muss. Aus den Fassaden der Innenstädte dünstet jene Leere, legt sich einem als fader Geschmack in den Mund, wird bitter, auch wenn sich Architekten mühen, aus der verklärten Vergangenheit wie aus einem Steinbruch zu zitieren: Wer durch München, Hannover oder Hamburg radelt, in Hauptbahnhöfen auf Züge wartet, Kinder zur Schule bringt oder in Markthallen herumstöbert, muss sich
ich tödlich langweilen. Von Plakatwänden lächeln Familien in gleichförmigen Automobilen kommerziell herunter. Viel mehr als glattes Norman-Foster-Grauen blickt nicht von Bürozeilen zurück.Sicher, im Süden erzählt nostalgisch die ein oder andere Lüftlmalerei von Zeiten, als die bayerische Dreifaltigkeit aus Katholizismus, Bergen und CSU wohl noch vollständig intakt und von strahlendem Sonnenschein umgeben war – wo aber sind die der Zukunft zugewandten Figuren, die technikbegeisterte, sportliche Euphorie mit fast expressionistischen Farbspielen? Dafür muss man schnell den furchtbar aufwändig gemachten, ganz und gar grandiosen Bildband Decommunized: Ukrainian Soviet Mosaics in die Hand nehmen. Seitenweise Begeisterung, tätiges Wirken an dem, was kommen soll, bunte Rätsel! Der Band hält sich analytisch bedeckt, sortiert großformatige, nüchterne Fotografien grob nach Genres. Da gibt es Kapitel zum Homo sovieticus als solchem, als Kind, als Paar und als Gruppe; in Szenen von „Arbeit und Industrialisierung“, in „Geschichte und Ideologie“; bei „Sport und Freizeit“, als Wissenschaftler, Raumfahrer, bei Folklore, in architektonischen Klein- und Großformen – natürlich auch an Bushaltestellen.Mit Fragen durch den TagErgänzend empfiehlt sich, den Band Kunstvolle Oberflächen des Sozialismus (2014) hinzuzuziehen, der wissend, aber trocken die „baugebundene Kunst“ in der DDR inspiziert. Hier kann man lesen, dass die Wandbilder stets die soziale, politische, wirtschaftliche Entwicklung bekräftigten. Wenn man aber davon ausgeht, dass sich auch nach 1989 einiges tat – warum eigentlich ist die Mosaikkunst als Kommentar, Ermutigung und Illustration verstummt?Denn was sind das für grandiose Bilderwände: Allein die euphorischen Kosmonauten in roten und orangenen Anzügen, die vielleicht von der Fahrenheit-451-Feuerwehr geliehen wurden und am nach dem Dichter Wolodymyr Sosiura benannten Kulturhaus in Lysychansk prangen, muss man stundenlang betrachten: Warum tragen sie verschiedenfarbige Stiefel? Was hat die Raumtruppe mit dem Dichter zu tun? Dieser Jubel, diese Freude, diese Helme!Placeholder gallery-1Und die Kunst des Schmiedens der Zukunft, welch nobles Officium, festgehalten an einer Wand des Instituts für Nuklearrecherche in Kiew: Wuchtig bündeln die wohl vor Anstrengung tiefroten, von männlicher Kraft durchzuckten Arbeiter die Strahlen des Universums, ringen damit, die Gewalten auf einen Kern zu konzentrieren. Ahnten sie von misslichen Folgen, die Fehler, Schlamperei und unvorsichtige Testläufe etwa an den grafitmoderierten Reaktoren der tschernobylschen Klasse RBMK-1000 zur Folge haben würden?Mit all diesen und vielen weiteren Fragen geht man durch den Tag, wenn man nur morgens an der Kiewer Akademie vorbeikommt. Denn genau für das Gespräch taugte die Mosaikkunst: Sie bildete die moderne Utopie figürlich ab, indem sie den vorgeschriebenen Realismus zum schon nicht mehr ganz genehmen Expressionismus abgrenzte. Und nicht nur in der fest umrissenen Formensprache, auch in ihrer Euphorie weist sie auf ein zugrundeliegendes Zentrum, einen Staat mit leitenden Gedanken. Gründet heute der Mangel an Mosaikkunst genau hier – in der Ideenleere der Unionen, sozialdemokratischer Fadheit, grünem Gewurstel, freidemokratischer Überheblichkeit, frappierendem Mangel an Eleganz bei der Linken? Leider, erfährt man nebenbei, hatte auch die Sowjet-Ästhetik beschränkten Erfolg: Fotograf und Vorwortschreiberinnen bekräftigen, dass die Mosaike im Verborgenen blühten. Vielleicht weil den Bürgern der sozialistischen Teilrepublik die tiefe Freude an der UdSSR abging, sie wenig Optimismus im Alltag wiederfanden? Die Texte gehen nicht weiter darauf ein, verraten aber, dass sich auch post-realsozialistische Bürger nicht um die bunte Utopie der Vergangenheit kümmern, sie zerfallen, werden verhängt, abgeklopft oder beschmiert.Deshalb tun Bildband und auch die Broschüre zum baukulturellen Erbe der DDR doppelt wichtige Dienste: Sie zeigen die minutiösen Arbeiten als Kunst und bewahren manche Formationen über ihr Ende hinaus. Unbehaglich fragt man in Deutschland, wo, was, wie erhalten werden soll. In der Ukraine ordnete die Regierung 2015 mit revisionistischem Beigeschmack an, Sowjet- und Nazi-Symbole gleich als Ausdruck „totalitärer Herrschaft“ zu tilgen.Schöner wären: Mehr Mosaike!Placeholder infobox-1
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