Deutsch sein und Schwarz dazu

Gastbeitrag Die Afro-deutsche Autorin Marion Kraft gedenkt Theodor Wonja Michael, einem der letzten schwarzen deutschen Überlebenden des Nationalsozialismus
Theodor Wonja Michael, 1925 – 2019
Theodor Wonja Michael, 1925 – 2019

Foto: Imago/Sven Simon

Am 20. Oktober 2019 verstarb Theodor Wonja Michael, geboren 1925 in Berlin, Sohn einer weißen deutschen Mutter und eines afrikanischen Vaters aus Kamerun, Überlebender faschistischer Verfolgung und Arbeitslager, von den Nazis als „staatenlos“ kategorisiert, gedemütigt in Völkerschauen, Zirkuskind, Zwangsarbeiter. Nach dem Krieg Angestellter bei der US Armee, Hochschulabsolvent, Regierungsrat, Beamter beim BND, Fachmann für afrikanische politische, wirtschaftliche und soziologische Fragen, Theater- und Fernseh-Schauspieler, Ikone und Vorbild für die Schwarze Bewegung in Deutschland, Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande.

Das Leben Theodor Wonja Michaels spiegelt ein Jahrhundert deutscher Geschichte und die Geschichte von Menschen, die bis heute an den Rand dieser Geschichte gedrängt werden, nicht gehört werden, deren prägende Beiträge zu dieser Geschichte unsichtbar gemacht werden, gerade weil sie sichtbar sind als die vermeintlich „Anderen“. Diese „Sichtbarkeit“ phänotypischer Merkmale ist ein Phänomen des Konstrukts „Rasse“, auf dem zur Aufrechterhaltung von Machtstrukturen und Privilegien Rassismus basiert. In der Jugend Theodor Wonja Michaels, im Nationalsozialismus, war sie lebensgefährlich. Er hat überlebt durch erzwungene Zugeständnisse, wie den Auftritt in Völkerschauen und faschistischen Propagandafilmen, die dem Erhalt und der Rechtfertigung deutscher Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent dienen sollten. Er hat aber auch überlebt durch die Unterstützung einzelner weißer Menschen und die Solidarität in der afrikanischen Community, die schon in der Weimarer Republik existierte, und die er in seiner Autobiografie die „Landsleute“ nennt. Diese Autobiografie, Deutsch sein und Schwarz dazu – Erinnerungen eines Afro-Deutschen erschien 2013 bei dtv und war in der vierten Auflage als Taschenbuch 2015 ein Spiegel Bestseller. Auf zahlreichen Lesungen hat er das Buch, das inzwischen auch ins Englische und Französische übersetzt wurde, noch im hohen Alter vorgestellt. Bei Lesungen, von denen ich einige selbst miterleben durfte, waren die Zuhörer*innen immer besonders berührt von seinen Überlebensstrategien im Faschismus – und von seiner Ehrlichkeit.

Nach dem Krieg beginnt für Theodor Wonja Michael ein neues Leben, durchaus von widersprüchlichen Gefühlen geprägt. Darüber schreibt er in seiner Autobiografie: „Erst nach und nach begriff ich im Sommer 1945, welch eine Befreiung die Niederlage des Nazistaates für mich tatsächlich bedeutete. Aber dieses Gefühl war auch widersprüchlich. Ich war natürlich von Genugtuung erfüllt, doch auch von Trauer über die Zerstörung und Zersplitterung Deutschlands, das ja unverändert meine Heimat war. Ich war mit den „alten preußischen“ Werten groß geworden. Sollte das plötzlich nicht mehr gelten? In den Jahren der Bedrückung und Verfolgung hatte ich von einzelnen Menschen, auch Fremden, so oft eine menschliche Behandlung erlebt, dass das Negative und Unmenschliche dahinter zurücktrat. Deshalb war ich von Mitgefühl erfüllt mit den Menschen, die litten, insbesondere, wenn sie ohne eigene Schuld für die Verbrechen ihrer Führung bestraft wurden.“

Die analytische und ehrliche Betrachtung von Widersprüchen war charakteristisch für Theodor Wonja Michael – z.B. bei der Reflexion seiner Tätigkeiten für die US Armee und beim Bundesnachrichtendienst, ebenso wie für seine Analysen der politischen Widersprüche auf dem afrikanischen Kontinent. Diese Herangehensweise durchzieht auch seine persönlichen Schilderungen über die Nachkriegsjahre, seine verschiedenen Karrieren, Kontakte zu deutschen Politikern, zur deutschen Wirtschaft, seine Erfahrungen in Frankreich und in Kamerun, der Heimat seines Vaters.

Es ist unser Recht, als Schwarze Menschen, als Schwarze Menschen in Deutschland, als Schwarze Deutsche hier zu sein

In den frühen 1990er Jahren nimmt Theodor Wonja Michael Kontakt zur jungen afro-deutschen Bewegung auf – oder diese zu ihm. Schnell wird er anerkannt als Vorläufer, als Zeitzeuge, als Vorbild. Er ist einer von vielen Vorbildern in der Ausstellung Homestory Deutschland, die die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) Anfang des 21. Jahrhunderts kreiert. Im Katalog zur Ausstellung wird er mit der Aussage zitiert: „Mein Vater war aus der deutschen Kolonie Kamerun hier her gekommen, weil er es als sein Recht ansah, hier zu sein.“

Es ist unser Recht, als Schwarze Menschen, als Schwarze Menschen in Deutschland, als Schwarze Deutsche hier zu sein. Von diesem wahrgenommenen Recht zeugen inzwischen zahlreiche Publikationen, Projekte, Initiativen und Impulsgeber*innen. Vielen davon ist Theodor Wonja Michael eine Quelle der Inspiration, des Empowerment und Impuls für die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Am Tag nach seinem Tod waren die sozialen Medien der Schwarzen Communities voll von Nachrufen, Würdigungen und persönlichen Statements. Ich gehöre zu denen, die das Privileg hatten, Theodor Wonja Michael persönlich gekannt zu haben und bei verschiedenen Gelegenheiten zu treffen, zuletzt vor gut einem Jahr bei dem Afrika Filmfestival in Köln. Er kam im Rahmenprogramm zu meiner Buchvorstellung Empowering Encounters with Audre Lorde, einer Hommage an die afro-amerikanische Dichterin, die die Schwarze Bewegung in Deutschland so entscheidend mit initiiert hat. Er kam im Rollstuhl, aber wach wie immer mischte er sich in die Diskussion ein, analysierte die Differenzen zwischen Rassismus in Deutschland, in USA und Europa und hob die Besonderheiten deutscher Geschichte hervor.

Dass Theodor Wonja Michaels Leben ein wichtiger sinngebender Teil deutscher Geschichte ist, hat man auch im Ausland erkannt. So brachte zum Beispiel BBC World Service am Tag nach seinem Tod einen Podcast mit dem Titel „Witness History, Being Black in Nazi Germany“. Es geht aber um weit mehr als die Aufarbeitung Schwarzer Deutscher Geschichte im Nationalsozialismus. Es geht um die Gegenwart, eine Gegenwart, in der junge Schwarze Autor*innen immer noch denselben Alltagsrassismus beklagen, den zu bekämpfen eines der erklärten Ziele der Gründung der ISD vor mehr als 30 Jahren war. Es geht um den erstarkenden Rechtsextremismus und seine Ursachen in unserem Land, es geht um Morddrohungen gegen Politiker*innen und Morde an Politiker*innen, es geht um no go areas, Orte, an denen du dich als Schwarzer Mensch besser nicht aufhältst, es geht um Faschisten im Staatsdienst, es geht um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Diese Frage hat Theodor Wonja Michael mit seinem Leben, mit seinem Werk und Wirken, mit seiner Autobiografie beantwortet. Am Ende seiner Autobiografie beschreibt er seine Liebe und seine Rückkehr zur Schauspielerei und seine Zufriedenheit darüber, als er endlich Rollen spielen durfte, „in denen Hautfarbe keine Rolle spielte“. Dass Hautfarbe im realen Leben durchaus eine Rolle spielt, dass Rassismus allgegenwärtig ist, war ihm bewusst. Bei aller Kritik an dieser Realität hat er im Grunde immer eine Haltung eingenommen, die auf Versöhnung gerichtet war. Er war Realist und Utopist zugleich. Realist, indem er den historisch gewachsenen Rassismus in Deutschland schonungslos anhand seiner eigenen Geschichte aufzeigte, Utopist, weil er die Vision von einer Gesellschaft hatte, in der niemand mehr als „andersartig“ ausgegrenzt und diskriminiert werden würde.

Während die Schwarzen Communities in Deutschland um ihn trauern, warten sie auf eine Würdigung dieses großartigen Menschen in der breiten Medienöffentlichkeit. Gerade in diesen Zeiten, in denen erzkonservative Politiker*innen ihr Lippenbekenntnis „nie wieder“ abgeben, könnte ein Nachruf auf diesen Deutschen, als solcher er sich trotz aller furchtbarer Erfahrungen immer begriff, ein Zeichen setzen, ein Zeichen gegen Faschismus, Rassismus und alle Formen von Diskriminierung. Derweil bleibt den Schwarzen Communities in Deutschland nur zu sagen, was auch ich zu tief empfinde: Theo, wir vermissen dich und wir werden dich nie vergessen.

Marion Kraft, Jahrgang 1946, ist Akademische Oberrätin im Ruhestand, Literaturwissenschaftlerin, Dozentin, Autorin zahlreicher Essays und Bücher. Der von ihr herausgegebene Sammelband Kinder der Befreiung. Transatlantische Erfahrungen und Perspektiven Schwarzer Deutscher der Nachkriegsgeneration erschien 2015 im Unrast Verlag und erscheint 2019 in englischer Übersetzung im Peter Lang Verlag. Sie gehörte zu den frühen Mitgliedern der ISD

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden