Wenn es um trans*Kinder und Jugendliche geht, gerät die Debatte schnell auf vermintes Feld, als ginge es darum, das Leben von Kindern retten zu müssen, die von einer angeblich verantwortungslosen, weil trans*affirmativen Medizin akut bedroht sind und zur geschlechtlichen Transition gezwungen werden. So die Horrorvorstellung. Keine Skandalisierung ist zu billig, um nicht ins Spiel gebracht zu werden. Und über allem das Schreckgespenst Detransition, also diejenigen, die zu „Opfern“ erklärt werden oder nun selbst bereuen und Teil von offen trans*feindlichen Abschreckungskampagnen werden.
Ich wünschte mir, man hätte in der Vergangenheit mit demselben Eifer sich gegen die normangleichenden und lebenslang traumatisierenden Eingriffe bei intergeschlechtlic
chlechtlichen Kindern gewandt, die erst seit 2021 gesetzlich davor geschützt sind und leider mit noch allzu vielen Ausnahmen. Nur hören wir da nie etwas. Woran vielleicht zu erkennen ist, dass es eigentlich gar nicht um die Kinder geht, sondern diese instrumentalisiert werden im erklärten Kulturkampf gegen die trans*Community und im weitesten Sinne gegen die geschlechtliche Vielfalt.Die Autorin Dagmar Pauli kommt aus der Praxis und weiß darum aus erster Hand, worum es beim Thema trans*Kinder geht. Sie ist stellvertretende Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Zürich und ihr Wissen sammelt sie seit 2010 aus der dort angebotenen Gender-Sprechstunde. Sie gesteht, dass sie selbst erst lernen musste, worum es beim trans*Sein in all seinen heterogenen Erscheinungsformen geht. Woraus sie den so einleuchtenden Leitgedanken ableitet: „Wir müssen zuhören, um zu verstehen.“ Damit sagt sie auch: Der Lernprozess ist niemals abgeschlossen – „ich lerne täglich“.So wünschenswert diese Haltung ist, sie wird leider nicht überall geteilt. Was nichts anderes bedeutet, als dass manche die eigene Meinung für wichtiger erachten als die Bedürfnisse von Kindern. „Trans Kinder und Jugendliche sollen uns nicht beweisen müssen, dass sie trans sind“, schreibt Pauli, „(s)ie sollen aber von uns Bestärkung erfahren.“ Oft seien die Probleme aufseiten der Eltern größer als aufseiten ihres Kindes, wodurch die Konflikte wachsen, anstatt weniger zu werden. Das Kind trage dann sozusagen die Schwierigkeiten der Eltern mit. Sein Leidensdruck hat jedoch klar Vorrang.Grundsätzlich könne es nur individuelle Antworten geben, einfache Lösungen würden bei einer komplexen Thematik wie dem trans*Sein nicht weiterhelfen. Weshalb Pauli radikale Vorschläge wie etwa das Verbot bestimmter Behandlungen ablehnt, weil sie uns in der Sache nicht weiterbringen. Vor allem bei einem umstrittenen Thema wie den Pubertätsblockern, die dazu dienen, die einsetzende Pubertät zu bremsen, um Zeit für Entscheidungen zu gewinnen und nicht mit vollendeten Tatsachen einer körperlichen Vermännlichung oder Verweiblichung konfrontiert zu sein.Die Anwendung von Pubertätsblockern wurde allerdings nie bei medizinischen Indikationen infrage gestellt, wo es um die Verhinderung einer zu früh einsetzenden Pubertät geht. Offenbar gab und gibt es in der Medizin nicht nur etwas wie eine Doppelmoral, sondern immer schon eine zweigeteilte Ethik, die Risiken nur sieht, wo sie sie sehen will. Für Pauli dürfe es kein generelles Verbot von Pubertätsblockern geben, dafür jedoch eine genaue, am Kindeswohl orientierte Abwägung.Noch etwa Unfertiges?Viel wichtiger als diese Diskussion ist für sie in der Beratungspraxis diese Haltung: ausleben lassen und beobachten, nicht unterdrücken und reglementieren. Nur so bringe man einen affirmativen Ansatz mit Ergebnisoffenheit widerspruchsfrei zusammen. Denn das Fazit lautet: „Es werden nicht alle geschlechtsinkongruenten frühpubertären Kinder und schon gar nicht geschlechtsvarianten Kinder später trans, aber doch einige von ihnen. Die Wahrscheinlichkeiten geben uns im Einzelfall keine Sicherheit in die eine oder andere Richtung.“Pauli findet deutliche Worte gegen all jene, die sich wie Alice Schwarzer oder die Journalistin Eva Engelken als „Kinderschützerinnen“ inszenieren und nichts anderes als Klischees bedienen. Die Wirklichkeit, das weiß Pauli besser, sieht anders aus. Die Journalistin Eva Engelken treibe es in ihrem erschreckend „respektlosen und oberflächlichen Buch mit der Abwertung von trans Personen auf die Spitze“. Genau das ist der Hype – trans*Feindlichkeit.Wo es um die Frage der Geschlechtsidentität geht als entscheidender Wissensinstanz, in welchem Geschlecht ein Mensch sich als richtig sieht, erscheinen mir Paulis Ausführungen ein wenig unausgegoren. Denn einmal heißt es, Geschlechtsidentität sei anfangs noch etwas Unfertiges, dann wieder erklärt sie sie für etwas Biologisches (was meiner Präferenz entspricht), um sie wenig später als sozialisationsabhängig zu beschreiben. Unbestritten indes: „Geschlechtsidentität ist das Bewusstsein über das eigene Geschlecht.“Dieses Buch ist wichtig und kommt zur richtigen Zeit, denn: „Es ist ein Buch, das der jungen Generation eine Stimme geben und der älteren Generation helfen soll, diese anzuhören.“ Eben das erfüllt es.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1