Die Legende - ein Raub der Flammen?

Golfkrieg III Jean-Pascal Zanders, Projektleiter biologische und chemische Kriegführung am Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI), über die von den Amerikanern geschürten Bedrohungsängste in Sachen Irak

Das Unbehagen der Verbündeten über einen Militärschlag gegen den Irak lässt die Bush-Administration offenbar vollkommen unbeeindruckt. Nach dem, was Vizepräsident Dick Cheney Anfang der Woche in Nashville (Tennessee) erklärt hat, scheint ein Krieg der USA gegen den Irak - allen Warnungen zum Trotz - beschlossene Sache zu sein. Cheney sprach von "präventiven Maßnahmen", die es geben müsse, bevor Saddam Hussein in den Besitz vom Atomwaffen gelange. Beweise für den Versuch des Irak, ein nukleares Raketenpotenzial zu dislozieren, blieb Cheney schuldig, obwohl amerikanische und britische Aufklärer seit elf Jahren den Luftraum des Landes überwachen. Gäbe es Erkenntnisse, müssten sie zu belegen sein. Auch hinsichtlich der chemischen und biologischen Kampfstoffe häufen sich die Zweifel. Immer mehr Experten bestreiten die Einsatzfähigkeit derartiger Arsenale der irakischen Streitkräfte - so auch beim Stockholmer SIPRI.

FREITAG: Wie real ist die Bedrohung durch die militärischen Labors der Iraker derzeit tatsächlich? JEAN-PASCAL ZANDERS: Natürlich geht von diesem Land ein gewisses Risiko aus, weil es Diskrepanzen zwischen den Berichten der UNSCOM (UN-Abrüstungskommission für den Irak - die Red.) und der Regierung in Bagdad über die Fabrikation biologischer und chemischer Waffen gibt. Nach unseren Ermittlungen wurde nach dem Abzug von UNSCOM 1998 weiter an solchen Waffensystemen gearbeitet, aber eher in Richtung Forschung und Entwicklung. Meiner Ansicht nach ist der Irak derzeit aber nicht fähig, mit seinen Systemen einen Militärschlag zu führen.

Warum warnen dann die Amerikaner ständig vor irakischen Massenvernichtungswaffen?
Weil allein schon durch den Begriff Assoziationen hinsichtlich einer Gefährdung durch nukleares Material geweckt werden sollen. Aber das ist eindeutig zuviel der Ehre für die nach meinem Eindruck nicht sonderlich erfolgreichen Bemühungen der Iraker, sich biologischer oder chemischer Waffen zu bemächtigen, indem sie die in eigener Regie produzieren.
Wenn die Amerikaner allerdings weiter vor dieser Gefahr warnen, erhalten sie sich die Chance, einen Krieg zu rechtfertigen und auch die arabischen Nachbarn des Irak mit einer gewissen Drohkulisse vertraut zu machen. Außerdem gibt es rechtliche Gründe, die das Pentagon dazu bewegen, die irakische Gefahr so vehement zu beschwören: Man will sich auch rechtlich absichern, wenn - so wie im Golfkrieg Anfang 1991 - US-Soldaten mit seltsamen Krankheiten infiziert werden sollten.

Wie groß ist die Gefahr, dass durch US-Luftangriffe Waffenlabors zerstört und so die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird?
Ich würde das nicht überdramatisieren. Zum einen sind eventuell produzierte biologische Viren im Freien kaum überlebensfähig und zum anderen ist die Waffenproduktion selbst - wie gesagt - noch nicht allzu weit. Bei chemischen Potenzialen dürfte die Gefahr wahrscheinlich noch geringer sein als bei biologischen, weil die Iraker nicht in der Lage sind, diese Systeme in großen Mengen und stabil zu lagern. Für chemische Substanzen gilt ja, dass der Zeitraum von der Produktion bis zum Einsatz möglichst kurz sein muss. Und auch wenn sie etwas gelagert haben sollten, werden diese Substanzen bei einem Luftangriff ohnehin ein Raub der Flammen werden.

Auch andere Staaten besitzen biologische oder chemische Arsenale. Warum konzentrieren sich die USA allein auf den Irak?
Natürlich besitzen auch andere Staaten derartige Potenziale. Syrien und Iran haben an solchen Systemen schon in der Vergangenheit großes Interesse gezeigt. Aber beim Irak ist das Problem insofern ein anders, weil Saddam Hussein schon bewiesen hat, bei einem Konflikt notfalls auch biologische und chemische Waffen einzusetzen - man denke an die Kurden-Stadt Halabja 1988, als Giftgas versprüht wurde. Das geschah in den achtziger Jahren, als der Golfkrieg gegen Iran seinen Höhepunkt erreichte. Insofern ist der Irak mit einer solchen Handlungsweise schon einzigartig in dieser Region.

Das Gespräch führte Martin Schwarz

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