Die Menschen baten um Stille

Teheran Uns erreichte der Bericht eines Arztes aus Teheran, der trotz seines hohen Alters am Wochenende an Straßenprotesten teilnahm. Um ihn zu schützen, nennen wir seinen Namen nicht

Ich war heute, am 20. Juni 2009, Teilnehmer an Demonstrationen in Teheran. Gegen 16.00 Uhr ging ich mit zumeist jungen Menschen von Khiabane Sattarkhan zu Fuß in die Richtung der Enghelab Allee. Polizisten standen mit Schlagstöcken und Schutzschildern an allen Straßenzugängen. Sie beobachteten die marschierende Masse. Für Autos war es zu diesem Zeitpunkt schon unmöglich, die Gegend zu passieren. Ich entschied mich, in Richtung Enghelab Allee zu gehen, um von dort aus zusammen mit jungen Männern und Frauen durch eine Fußgängerpassage zum Meydane Azadi zu gelangen.

Dieser Durchgang war noch keineswegs voller Menschen, doch begannen die Polizisten bereits damit, sich gegen die vorwärts drängende Menge zu stemmen. Die Menschen baten um Zurückhaltung, um Ruhe und Stille. Doch das hinderte die Polizisten nicht daran, auf die Passanten einzuschlagen, die sich sofort in die Seitenstraßen verteilten und das mit dem Ruf auf den Lippen: "Tod dem Diktator!" – "Ta Ahmadinedjade, Harruz hamin basate!" Auch ich trat die Flucht an, doch wohin ich mich auch wandte, immer wieder geriet ich in dichte Tränengas-Schwaden. Die Menschen ließen auf der Straße Zeitungen brennen, die sie zuvor aus Mülltonnen besorgt hatten. An einigen Ecken weinten Frauen vor Schmerzen über die Schläge der Polizisten.

Ich kam schließlich auf den Sattarkhan-Boulevard, auf dem man kein Geschäft mehr fand, das wegen der Unruhen noch geöffnet hatte. Nun wuchs die Menschenmenge von Minute zu Minute. Alle Fußgängerzonen ringsherum waren voll von Protestierenden, der Autoverkehr vollends gesperrt.

Ich konnte mich in diesem Moment von der Kraft des Widerstandes überzeugen und hatte zunehmend das Gefühl, dass der Aufruhr, so führerlos er in dieser Situation und an diesem Tag in Teheran auch sein mochte, so schnell nicht nachlassen wird, auch wenn die Telefonverbindugen und andere Kommunikationswege immer wieder unterbrochen werden. Der Kampf dürfte trotz der vielen Drohungen und des Einsatzes der Revolutionsgardisten nicht so schnell versiegen.

Als ich abend gegen 20.00 Uhr wieder in meiner Praxis war, musste ich feststellen, dass die meisten der bestellten Patienten nicht gekommen waren. Hatten sie sich nicht die Straße gewagt? Ein Zeichen dafür, dass man bald mit einem Stillstand des Wirtschaftslebens rechnen muss? Sollte es soweit kommen?


Der Augenzeuge bat darum, anonym zu bleiben, weil er Repressalien befürchtet. Der Name ist der Redaktion bekannt.

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