Doch nur ein Verbrecher

Kommentar Anklage gegen Chiles Ex-Diktator

Was haben seine Anhänger getobt, als Augusto Pinochet im September 2000 in London dank eines internationalen Haftbefehls unter Arrest gestellt wurde. Unter dem Druck des großbürgerlichen Establishments in Chile setzte sich damals selbst der Christdemokrat Eduardo Frei für die Freiheit des greisen Ex-Diktators ein - und das mit Erfolg. Als Pinochet nach wochenlangem juristischen und diplomatischen Tauziehen wieder in Santiago eintraf, erschien das wie eine erneute Niederlage für die Opfer seines 17 Jahre dauernden Terrorregimes.

Heute ist klar, damals hat Chiles faschistoide Rechte einen Pyrrhussieg gefeiert. Pinochet konnte zwar weiter die Legende verbreiten, das Land mit dem Putsch am 11. September 1973 vor dem Kommunismus gerettet zu haben, doch chilenische Zeitungen sprachen längst von seinen schwarzen Konten bei dem US-amerikanischen Bankenhaus Riggs. Pinochet konnte weiter leugnen, politische Verfolgung und Gewalt befohlen zu haben, doch offenbarten die detaillierten Berichte unabhängiger Untersuchungskommissionen eine andere Wahrheit, die Chile schockierte und erschütterte.

Selbst unter seiner früheren Entourage gilt der einstige Machthaber inzwischen nicht mehr als sakrosankter Hüter von Moral und Ordnung. Die patriotische Fassade des chilenischen Faschismus ist längst als Blendwerk entlarvt. Was bleibt, sind Banalität und Brutalität des Bösen, wie sie einem verbrecherischen Regime eigen waren, das seine Macht zu nutzen verstand, um in Tuchfühlung mit Gönnern in London (Margret Thatcher) und Washington (Richard Nixon) das erste neoliberale Wirtschaftssystem Lateinamerikas zu etablieren. Umso wichtiger ist es, dass Pinochet wegen der nicht zuletzt auch in diesem Kontext begangenen Verbrechen vor Gericht stehen soll, nachdem der Oberste Gerichtshof die Anklage bestätigt hat.

Sicher wäre auch ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag denkbar und wünschenswert gewesen. Aber dass ein gnadenloser Diktator am Ort seiner Verbrechen angeklagt wird, dieser Umstand hat gleichfalls einen nicht zu unterschätzenden symbolischen Wert. Ein weiteres Mal wird mit der "Kultur der Straflosigkeit" gebrochen, die noch während der neunziger Jahren in vielen Ländern des Subkontinents, die unter Militärdiktatoren geraten waren, das Prinzip von Schuld und Sühne unterlief. Auch für die Familien der 3.000 Mordopfer Pinochets, der 40.000 Folteropfer und Hunderttausender politischer Flüchtlinge ist dies eine Genugtuung. Ob es wirklich zum Prozess gegen den 89-Jährigen kommt oder nicht, ist dabei zweitrangig. Pinochets Anwälte jedenfalls bestreiten keine der über 80 anhängigen Klagen. Sie versuchen, ein Verfahren allein mit dem Verweis auf die Altersdemenz ihres Mandanten zu verhindern.


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