Du lieber Gott

Porträt Reverend Beat-Man und seine Berner Band The Monsters feiern 30-jähriges Bestehen: drei Jahrzehnte Rock ’n’ Roll ohne Rücksicht auf Verluste
Ausgabe 45/2016

Eine Krawatte? Echt jetzt? Beat-Man grinst und erklärt seine verblüffend korrekte Garderobe: „Wenn ich heute sterben würde und dabei schlecht gekleidet wäre – das könnte ich mir nie verzeihen.“ Der 49-Jährige sitzt in der Ecke seines kleinen Ladens in der Berner Altstadt, der ebenso stilsicher positioniert ist wie sein Betreiber gekleidet. Das Kellerlokal befindet sich nicht nur an der Münstergasse, also mitten im historischen, von vielen als „malerisch“ beschriebenen Zentrum der Schweizer Hauptstadt, sondern dortselbst unter dem Restaurant Harmonie. Das Monster und der Wohlklang – eine bessere Antwort auf allfällige Stil- und Standortfragen wäre schwer zu finden.

Was drinnen im Laden zu finden ist, steht draußen auf dem Hinweisschild: „Cool stuff!“ Oder, im Schnelldurchlauf durch das Sammlerparadies gegangen: bestickte Baseballjacken, alte Perry-Rhodan-Heftchen, T-Shirts mit obskuren Aufdrucken, kunstvoll gestaltete Unterwäsche, Aufnäher weithin unbekannter Bands, Wrestlingmasken und selbstverständlich rund eine halbe Tonne Vinylschallplatten. Ganz hinten im Laden hängt ein Siebdruckplakat der griechischen Fassung der Bud-Spencer-Komödie Sie nannten ihn Mücke.

Vom besetzten Haus ging’s ...

Über diese Motivwahl ließe sich ausführlich diskutieren, aber besser nicht jetzt. Denn dieser Tage steht erst einmal ein Jubiläum an: The Monsters feiern ihr 30-jähriges Bestehen, und das gleich mehrfach – mit dem neuen Album M; mit einer Tribute-Compilation mit Monsters-Songs, von befreundeten Bands gespielt; mit der Obskuritätensammlung The Jungle Noise Recordings; und mit einigen Konzerten. 30 Jahre The Monsters, das sind drei Jahrzehnte im Zeichen des ungebremsten, ungestümen, unangepassten Reindreschens. Schreien, schwitzen, schütteln – ohne Rücksicht auf irgendwelche Verluste. Drei Jahrzehnte auf Achse, unterwegs zwischen Kellerclubs in der Provinz, historischen Rock-’n’-Roll-Lokalen und Konzerthallen in Südamerika und Japan – und immer mit Beat-Man als Frontfigur. Es ist eine Karriere, wie sie keine andere Schweizer Band je hingelegt hat. Und das auf eine derart nonchalant subkulturelle Art und Weise, dass das Wort Karriere nur ein Behelfsbegriff sein kann.

Die Geschichte der Band beginnt Mitte der 80er Jahre in der Berner Vorortgemeinde Kehrsatz. Dort gibt es zu jener Zeit ein besetztes Haus, in dem wilde Partys veranstaltet werden. „Es war ein Holzhaus“, präzisiert Beat-Man, „also ist die Nadel des Plattenspielers immer wieder aus der Rille gesprungen, weil die Leute getanzt haben.“ Um dieses Problem zu umgehen, werden kurzerhand The Monsters gegründet: Live-Musik, selbstgemacht. „Und der, der am lautesten schreien konnte, wurde zum Sänger erkoren – also ich.“

Doch bald schon ist das besetzte Haus zu klein für die Combo. Also werden Kontakte zu Gleichgesinnten in anderen Städten geknüpft und erste Auswärtsauftritte absolviert. Erst in der Schweiz, kurze Zeit später dann auch im benachbarten Ausland. „Für Schweizer Bands war das eher ungewöhnlich“, erinnert sich Beat-Man. Allzu bekannt ist der eidgenössische Underground in anderen Ländern ja wirklich nicht. „Aber für uns war das gleich ganz normal. Deutschland, Frankreich, Holland, Belgien – von dort kamen die Anfragen, also haben wir dort gespielt.“ Die Fangemeinde wächst, und nach ein paar Jahren kommen dann tatsächlich auch Einladungen aus entfernten Ecken der Welt. Die Musik lässt sich am besten mit einer Aneinanderreihung scheppernder Vokabeln beschreiben, vielleicht so: Psychobilly-Garagen-Blues-Punk-Rock-’n’-Roll. Kaum zu glauben, dass dieser „kreischende Trash-Rock-a-Boogie“ in einem Land entstehe, in dem Kuckucksuhren zu Hause seien, wunderte sich einmal ein US-Kritiker, vor lauter Begeisterung die Tatsache missachtend, dass Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald stammen.

Monstermäßig aktiv

Vier Freunde aus der Hausbesetzerszene formieren sich im Herbst 1986 in einem Vorort von Bern zu einer Band. Ihre Instrumente beherrschen sie kaum, doch sie geben sich den Namen The Monsters und spielten eine wilde Mischung aus Rockabilly, Psychoblues und Garagenpunk. Nach zahlreichen Live-Auftritten, auch außerhalb der Schweiz, folgt 1989 das Debüt Masks, seither erschienen neun weitere Alben. Über die vergangenen 30 Jahre führten ihre Konzertreisen die Monsters durch die halbe Welt. Vor allem in Südamerika und Japan haben die Monsters treue Fans, und sie spielten sogar im sagenumwobenen New Yorker Punkclub CBGB’s, der kurz darauf – wenngleich aus ganz anderen Gründen – seinen Betrieb einstellen musste.

Sänger und Gitarrist der Band ist Beat Zeller, den alle nur Beat-Man nennen. Parallel zu seiner Arbeit als Monsters-Frontmann ist er auch als One-Man-Band unterwegs: in früheren Jahren mit roter Wrestlingmaske als Lightning Beat-Man, seit einigen Jahren im schwarzen Priestergewand als Reverend Beat-Man. Zudem führt der 49-Jährige das Plattenlabel Voodoo Rhythm Records (voodoorhythm.com), das Liebhaber des trashigen Undergrounds weltweit mit rund zehn Albumveröffentlichungen pro Jahr versorgt, bevorzugt auf Vinyl. Das Motto des Labels lautet: „Records to ruin any party.“ Zum 30. Jubiläum der Band erscheint bei Voodoo Rhythm Records das zehnte Monsters-Album M, und die Combo geht auf Tour. Die nächsten Konzerte in Deutschland: 10.11. im Silo in Töging; 12.11. im Montez in Frankfurt am Main; 14.11. im White Trash in Berlin; 16.11. in der Chemiefabrik in Dresden; 17.11. im Gleis 22 in Münster.

The Monsters sind ein Vehikel – natürlich tiefergelegt, kräftig frisiert und eigenwillig lackiert –, an dessen Steuer also ein Mann sitzt, der eigentlich Beat Zeller heißt, den aber selbst seine Eltern inzwischen nur noch Beat-Man nennen. Bereits in jungen Jahren zeigt sich bei ihm eine gewisse Exzentrik. Als Schüler sammelt er Kaugummieinwickelpapierchen, die er säuberlich in einem Album ordnet, später folgen Exkursionen in den pubertären Satanismus und – ein Exzentriker mit Arbeitsethos eben – eine Berufslehre als Elektromonteur. Letztgenannte freilich in der irrigen Annahme, der Job müsse etwas mit elektrischen Gitarren zu tun haben. Zu jener Zeit ist der Rock ’n’ Roll nämlich längst als alles beherrschende Kraft in sein Leben getreten.

Die 90er Jahre verbringt er zwischen der Undergroundmusikszene und zusätzlichen Brotjobs auf der Baustelle. An den Wochenenden das unglamouröse Tourneeleben („Ich habe auf Toiletten, im Schlafsack vor dem Club draußen, auf der Bühne oder im Auto übernachtet“), werktags die Arbeit als Elektriker, bei der ihn, der damals noch keinen Schlips trug, sondern eher Bürgerschreck-Outfits, immer mal wieder schräge Blicke streifen.

Einen möglichen Ausweg aus diesem Eingeklemmtsein zwischen den sprichwörtlichen Stühlen findet er auf der anderen Seite des Atlantiks. „Ich bin mit meiner damaligen Freundin ein halbes Jahr lang durch die USA gefahren, so mit Auto und Zelt“, erzählt Beat-Man. „Unser Ziel war es, jeden Secondhandladen zu besuchen, den wir finden konnten. Und die Gräber der alten Blueser.“ Das tun sie dann auch. Unterwegs kaufen sie Unmengen von Vinylschallplatten ein, oft sehr günstig, weil eben gebraucht, und landen schließlich in Los Angeles, wo sie sich mexikanische Lucha-Libre-Ringkämpfe ansehen, eine professionelle Wrestlingvariante, die in den 30er Jahren entstand. „Dann bin ich in einen Sexshop gegangen und habe mir eine Wrestlingmaske gekauft.“

Damals hegt er schon eine Weile die Idee, neben den Monsters-Konzerten auch in bescheidenerer Besetzung aufzutreten, mit einer kleinen Begleitband oder gleich als Einmannband. Wieso nicht als Einzelkämpfer mit Ringermaske? Nach seiner Rückkehr in die Schweiz setzt er seinen Plan um und absolviert fortan auch Soloauftritte unter dem Namen Lightning Beat-Man. Das Konzept dahinter: „Eine gute Show mit schlechter Musik.“ Und: Jedes Konzert muss extremer werden als das vorangegangene. „Ich hatte ein Repertoire von fünf Songs, spielte aber zehn. Also musste ich auf der Bühne jeweils spontan fünf neue Lieder erfinden.“

… in den Wrestlingring

Über ein knappes Jahrzehnt hinweg wird dann tatsächlich alles immer extremer. Eine Zeit lang ist ein improvisierter Wrestlingring fester Bestandteil der Show, bei jedem Auftritt wird ein zum Beat-Man-Tross zählender Gegner darin vermöbelt. Es gibt Nacktauftritte, wüste Prügeleien und ernsthafte Blessuren. „Bei einem Konzert hat mir einer mit einem Faustschlag die Nase gebrochen“, erinnert sich der Angeschlagene. „Ich stand am Mikrofon und murmelte meinem Bassisten zu: ‚Hey, Robert, meine Nase ist gebrochen!‘ Er schaute mich an und sagte dann zum Publikum: ‚Ladies and Gentlemen, Beat-Man just broke his nose. One, two, three, four …‘ Und weiter ging’s.“

In diesen Jahren der selbstzerstörerischen Bühnenshows festigt sich das Image des wilden Kerls. Doch nach gravierenden Wirbelsäulenproblemen und einem extrem destruktiven Auftritt bei einer Kunst-Vernissage – er hat dort unter anderem „Salat vom Buffet in den Saal geschleudert“ – wird die Maske an den Nagel gehängt. Der Prügelknabe mutiert zum Priester, streift sich eine Soutane über und nennt sich fortan Reverend Beat-Man. Sein Evangelium besteht aber weiterhin im Wesentlichen aus den drei Akkorden, die er bereits bei The Monsters verinnerlicht hat.

Während die Wrestlingmaske also allmählich verstaubt und die Knochen verheilen, ist der neu geschaffene Reverend unermüdlich unterwegs. Spielt bis heute rund 250 Konzerte pro Jahr, ist als DJ im Einsatz oder gar als Schauspieler bei verschiedenen Theaterproduktionen (unter anderem auch mal in der Rolle des Seemanns Popeye). Und er gründet das Label Voodoo Rhythm Records, auf dem er nicht nur eigene Werke veröffentlicht, sondern auch Platten befreundeter Künstler.

Beat Zeller ist der Rock-’n’-Roll-Workaholic schlechthin. Doch der schonungslose Einsatz rächt sich: In den späten 90er Jahren versagt plötzlich die Stimme. „Ich habe bei den Auftritten immer so lange gebrüllt und geschrien, bis Blut kam“, erklärt Beat-Man. Und dann kommt eines Tages eben gar nichts mehr. Ein ganzes Jahr lang darf er auf ärztliche Verordnung hin nicht einmal mehr sprechen. Beat-Man muss zur Stimmbandtherapie und versinkt in depressiven Gedanken. „Wenn du das, wofür du lebst, nicht mehr tun kannst, wird das Leben ganz schön traurig“, erinnert er sich. „Aber ich wusste: Jetzt musst du dich selber reparieren. Und: Ich habe das Licht gesehen!“ Und tatsächlich kehrt die Stimme zurück, der schreiende Prediger geht wieder auf Tournee, ein neues Jahrtausend beginnt.

Genau dann nimmt dieses Rock-’n’-Roll-Leben eine weitere einschneidende Wendung: Beat-Man wird Vater. „Eigentlich von Beginn weg alleinerziehender Vater“, wie er präzisiert. „Ich konnte plötzlich keine Konzerte mehr geben, bekam von den Behörden keine Unterstützung und hatte kein Geld.“ Nicht einmal ein Kita-Platz für seinen Sohn lässt sich finden. Also konzentriert er sich in den folgenden Jahren ganz auf sein Label. Während der Bub im Kinderwagen schläft, gestaltet der Vater Plattenhüllen, nimmt Bestellungen entgegen, korrespondiert mit Bands und erledigt all den Bürokram. Voodoo Rhythm Records wächst und wirft einen winzigen Gewinn ab, mit dem sich der Lebensunterhalt von Vater und Sohn ganz knapp, gerade eben so bestreiten lässt.

Die Konstante in diesem von Knochen- und anderen Brüchen geprägten Leben bilden The Monsters. „Wir sind ein Männerclub, der aus Freunden besteht“, erklärt Beat-Man. „Das ist mehr als eine Band. Wir treffen uns einmal pro Woche, plaudern über Frauen und so, dann trinken wir Bier und machen Musik.“ Das Geld, das dabei reinkommt, geht auf ein Gemeinschaftskonto und wird zum Bezahlen der anfallenden Kosten verwendet. Wenn am Ende eines Jahres noch etwas übrig ist, gibt es eine Gratifikation für die Beteiligten. Man fährt gemeinsam in den Urlaub – mitsamt den insgesamt acht Kindern, die inzwischen zur erweiterten Bandfamilie gehören. Und es wird jedes Jahr ein gemeinsames Weihnachtsessen veranstaltet.

Wenn die vier Musiker gemeinsam auf der Bühne stehen, sind sie noch immer die glücklichsten Menschen der Welt, sagt Beat-Man – denn: „Wir haben die totale Freiheit.“ Diese Freiheit beschreibt er so: „Wenn sich einer hinlegen und ein Basssolo spielen oder ins Publikum springen will, dann macht der Rest von uns einfach irgendetwas, damit es weitergeht, bis der andere dann wieder zurückkehrt. Das ist alles auf eine unkoordinierte Weise koordiniert.“ Und die Krawatte sitzt. Tadellos.

Philippe Amrein lebt als Journalist in Zürich und betreut dort etwa die Musikzeitung Loop

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