Ein Deckel für die Äcker

Nahrung Spekulanten kaufen Landwirten wertvollen Boden weg. Das ließe sich stoppen
Ausgabe 44/2020
Ein Finanzinvestor bei der Vortäuschung bäuerlicher Tätigkeit auf seinem frisch erworbenen Grund
Ein Finanzinvestor bei der Vortäuschung bäuerlicher Tätigkeit auf seinem frisch erworbenen Grund

Foto: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Nicht nur in Städten, sondern auch im ländlichen Raum sorgt das Finanzkapital seit Jahren für einen schleichenden Wandel in den Eigentumsverhältnissen. Parallel zum Immobilienboom seit Mitte der 2000er-Jahre und im Nachgang des Finanzcrashs 2008 nahmen Investitionen in Land weltweit massiv zu. So gaben Finanzinvestoren zwischen 2006 und 2016 45 Milliarden US-Dollar für Agrarland und landwirtschaftliche Produktion aus. In Zeiten überschüssigen Finanzkapitals und von Niedrigzinsen bieten diese Formen der Anlage sichere Häfen. Böden, vor allem an günstigen Standorten, sind eine begrenzte Ressource; im Vergleich zu anderen „Produkten“ der Finanzindustrie stellen sie etwas Greifbares dar.

Während in Ländern wie Brasilien oder Australien Fonds von Pensionskassen, Versicherungen und Banken im großen Stil investieren, sind es in Deutschland oftmals reiche Stiftungen und vermögende Familien, etwa Aldi-Besitzer oder Eigentümer von Möbelhäusern, die nicht wissen, wo sie ihr Kapital parken sollen, und es also auf dem Acker versuchen.

Eigentlich sieht in Deutschland das Grundstücksverkehrsgesetz ein bäuerliches Vorkaufsrecht für Agrarböden vor; die aktuelle Landnahme durch externe Investoren geschieht durch die Hintertür: Letztere kaufen nicht die Böden, sondern die Mehrheitsanteile an Agrarbetrieben, über sogenannte Share-Deals. Wie weit dieser Trend bereits 2017 fortgeschritten war, zeigt eine Untersuchung des Thünen-Instituts: In Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg waren in den untersuchten Landkreisen bereits 20 bzw. 16 Prozent des Bodens in der Hand von primär nichtlandwirtschaftlichen Investoren.

Schädliche Share-Deals

Seitdem haben die stillen Beteiligungen weiter zugenommen. Im August wurde die Übernahme einer Stiftung der Aldi-Familie an einem 6.000-Hektar-Betrieb öffentlich. Der Verkäufer war ein ehemaliger Funktionär des Deutschen Bauernverbands.

Das Problem der Share-Deals ist offensichtlich: Das Finanzkapital interessiert sich nicht für den landwirtschaftlichen Ertragswert, sondern schlicht für den Marktwert des Bodens. Es spekuliert auf Bodenpreise, die vielleicht weniger hohe Rendite bringen als riskantere Anlageklassen, jedoch absehbar stabil bleiben werden. Bodenpreise und landwirtschaftliche Ertragswerte klaffen daher immer weiter auseinander; zwischen 2015 und 2018 sind die Kaufpreise für Agrarböden deutschlandweit um 30 Prozent in die Höhe geklettert. Die Preisschraube klemmt die Agrarbetriebe von beiden Seiten ein: Einerseits decken die Preise, die Bauern und Bäuerinnen von der Nahrungsmittelindustrie und dem Lebensmitteleinzelhandel erhalten, kaum die Produktionskosten. Zugleich wird es für Betriebe immer teurer, Boden zu pachten. Der gnadenlose Strukturwandel ist ohnehin in vollem Gang. In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Zahl der Agrarbetriebe halbiert. Die stille Landnahme durch externe Investoren verschärft diesen Wandel.

Agrargenossenschaften und Familienbetriebe zielen auf den Erhalt des Betriebs, auf eine hohe Wertschöpfung, sie sichern damit Arbeitsplätze. Wenn renditegetriebene Investoren jedoch im großen Stil Flächen zusammenführen und Betriebe weiter rationalisieren, verschärft das den Abbau von Arbeitsplätzen, lässt Regionen veröden und erschwert es, soziale Infrastrukturen aufzubauen, die Menschen in der Region halten.

Die Regulierung sowohl von direkter Bodenkonzentration als auch von Anteilskäufen ist also dringend geboten. Gesetze, die darauf abzielen, sind in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg aktuell in Vorbereitung, werden sich jedoch auf rechtlichem Neuland bewegen. In diesem Zusammenhang hat die Linken-Bundestagsfraktion Ende September ein spannendes Rechtsgutachten veröffentlicht. Es zeigt auf, dass die Fläche in den Händen einzelner Eigentümer gedeckelt werden könnte, beispielsweise auf 500 Hektar. Dem Gutachten nach ist zudem eine Regulierung von Share-Deals, also ein Eingriff in die Vereinigungsfreiheit und in das Eigentumsrecht der Gesellschafter, möglich. Die Sicherung einer nachhaltigen Agrarstruktur ist als verfassungsrechtlich legitimer Zweck anzuerkennen.

Doch welche Agrarstruktur ist gesellschaftlich nachhaltig? Wie ist eine gestaltende Politik möglich, die das Höfesterben nicht nur abfedert, sondern eine zukunftsfähige, sozial-ökologische Landwirtschaft ermöglicht? Bislang erlaubt das Grundstücksverkehrsgesetz, die Veräußerung von Boden dann zu untersagen, wenn durch sie eine „ungesunde Verteilung“ des Bodens entsteht. Was als „gesunde“ Verteilung anzusehen ist, steht im Agrarleitbild, das die Bundesregierung alle vier Jahre gemeinsam mit ihrem Agrarbericht herausgibt. In der aktuellen Version ist die Rede von einer „breiten Streuung“ der Agrarstruktur, hervorgehoben wird die besondere Bedeutung von Familienbetrieben. Tatsache ist jedoch: Die Landnahme über Share-Deals ist vor allem in Ostdeutschland ein Problem, und dort sind die Familienbetriebe keineswegs das dominante Modell. In Thüringen etwa ist nur ein Viertel der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in Familienbetrieben beschäftigt. Mehr als die Hälfte der Menschen hingegen arbeitet für GmbHs, Aktiengesellschaften oder Genossenschaften. Die hohe Bedeutung letzterer ist bedingt durch die Agrarstruktur der DDR in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und die Umwandlung vieler LPGs in Genossenschaften nach der Wende. Diese Genossenschaften müssen gestärkt werden. An Bedeutung gewinnen zudem überall in Deutschland Formen der Bewirtschaftung, in denen das Eigentum am Boden einerseits und die Betriebsführung andererseits solidarisch organisiert werden und nicht in der Hand einer einzigen Familie liegen. Ein Beispiel sind „Solawis“, solidarische Landwirtschaften, in denen Verbraucher*innen und Produzent*innen sich zusammenschließen und oft auch Boden und Betriebsmittel gemeinsam finanzieren. Andere Formen sind Regionalwert AGs oder Kulturlandgenossenschaften: Mit gemeinnützigen Vereinen erwerben Bürger*innen Boden, um ihn dem Markt zu entziehen. Derartige kooperative Betriebsformen müssten über die Bodenpolitik in Zukunft gezielt gefördert werden.

Zweites Element einer zukunftsweisenden Strukturpolitik wäre eine Stärkung der Landgesellschaften. Bereits heute haben öffentliche Landgesellschaften das Mandat, punktuell Land zu erwerben und dieses bei Bedarf an Landwirt*innen weiterzugeben. Dabei dürfen sie den Boden jedoch nur für sehr begrenzte Zeit halten und verkaufen ihn weiter, sobald ein Interessent gefunden ist. In ihrem Klimaaktionsplan schlägt die Linksfraktion im Bundestag vor, das Mandat dieser Landgesellschaften deutlich aufzuwerten: Sie könnten Böden im größeren Stil aufkaufen und gegen sozial-ökologische Auflagen langfristig an lokale Agrarbetriebe verpachten. Ein Kriterium könnte sein, die Ausweitung des Ökolandbaus zu unterstützen und den Abbau des Viehbestands in Regionen, in denen dieser Bestand zu hoch ist, voranzutreiben.

Angegangen werden muss die Agrarwende aber auch auf europäischer Ebene, über die EU-Agrarsubventionen. Gerade haben die EU-Agrarminister*innen über die Ausgestaltung der Subventionen beraten: Drei Viertel der Subventionen sollen auch in den nächsten Jahren als Direktzahlungen vergeben werden, es gibt also Geld pro Hektar. Von diesen Direktzahlungen wiederum sollen lediglich 20 Prozent an sogenannte Öko-Regelungen geknüpft werden. Von den Direktzahlungen profitieren vor allem Agrarbetriebe, die ihr Land auch selbst besitzen. 60 Prozent der Fläche in Deutschland wird jedoch verpachtet. Es liegt auf der Hand, dass ein erheblicher Teil der Subventionen von den Landbesitzern in die Pacht eingepreist wird. Waren Direktzahlungen ohne sozial-ökologische Kriterien – Wie viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schafft der Betrieb und wie ökologisch wirtschaftet er? – schon zuvor problematisch, so befeuern sie in Kombination mit der Welle an Share-Deals die Bodenspekulation zusätzlich.

Notwendig sind also zwei Dinge: Erstens eine klare Regulierung von Unternehmensbeteiligungen – sollte sie rechtlich Bestand haben, kann sie ein Türöffner sein, die Übernahme von Finanzkapital auch in anderen Bereichen öffentlicher Güter zurückzudrängen. Zweitens bietet sich die Möglichkeit, eine aktive, gestaltende Agrarstrukturpolitik anzugehen, die eine sozial-ökologische Landwirtschaft und kooperative Wirtschaftsformen stärkt.

Benjamin Luig arbeitet und publiziert zu Fragen der Agrarpolitik. Zwischen 2016 und 2019 war er Leiter des Programms Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg, Südafrika

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