Ein Eisbrecher

Zur Person Egon Bahr über Günter Gaus

FREITAG: Was haben Sie empfunden, als Sie die Nachricht vom Tode von Günter Gaus gehört haben?
EGON BAHR: Ich war tief traurig und habe den Verlust eines langjährigen guten Freundes beklagt. Zumal ich von seiner Frau erfahren hatte, dass er nach der schrecklich schwierigen Operation es eigentlich im Prinzip überstanden hatte und man hoffen konnte, dass nun im wesentlichen sehr viel Geduld gebraucht würde für eine lange, mögliche Erholung.

Wo liegen für Sie die bleibenden Verdienste des Diplomaten Gaus, besonders mit Blick auf die deutsch-deutschen Beziehungen, wie er sie geprägt hat?
Er hat die Bestimmung seines Lebens gefunden, nachdem er der erste Ständige Vertreter der Bundesrepublik bei der DDR war. Er war vorher eigentlich ein Westdeutscher, der sich für den Osten wenig interessiert hat, wie die meisten Westdeutschen und hat nun eine neue Welt entdeckt. Er hat Menschen entdeckt, und er hat eine Gesellschaft entdeckt. Das war die eine Seite - die andere war, dass er herausgefunden hat: er besaß die Neigung und die Fähigkeit, Verhandlungen zu führen. Es hat ihm - soweit der Ernst der Sache es gestattete - Spaß gemacht, als Eisbrecher in den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und Regierungen und möglichst auch zwischen den Menschen wirksam zu werden. Und er war - ich glaube mit Recht - stolz auf die große Zahl der Verträge, die er abgeschlossen hat. Da bleibt vieles, auch wenn vielen das heute gar nicht mehr bewusst ist. Wer über die Autobahn zwischen Hamburg und Berlin fährt, der kann vielleicht verstehen, dass Gaus diese Route als "seine Autobahn" bezeichnet hat.

Warum hatte man - zuletzt immer mehr - den Eindruck, dass es sich mit Günter Gaus um eine Einzelerscheinung in der bundesdeutschen Politik und Publizistik handelte? Er schien sich manchmal einsam zu fühlen in den vergangenen Jahren.
Sie dürfen eines nicht übersehen. Er hatte in der letzten Zeit als Ständiger Vertreter inhaltliche, auch menschliche Schwierigkeiten mit Helmut Schmidt. Danach ist er in einer Situation gewesen, in der er nicht mehr nur die DDR, nicht mehr nur die Bundesrepublik oder die beiden Staaten, sondern die Gesellschaft insgesamt wie auch die Entwicklung im vereinten Deutschland skeptisch und scharfsichtig beobachtet hat. Und er stellte dabei Mängel fest, unter denen er gelitten hat.

Was glauben Sie, wie erfolgreich war er mit seinem Bemühen, in der westdeutschen Öffentlichkeit mehr Verständnis für das Lebensgefühl im Osten zu finden?
Das ist nicht messbar. Auf jeden Fall ist nicht zu leugnen, dass die Einmaligkeit der Serie "Zur Person", die er ja erfunden und geprägt hat, und deren Folgen von den westdeutschen Rundfunkanstalten in ihren Dritten Programmen ausgestrahlt worden sind - dass er mit dieser Sendung Verständnis oder auch Einsichten befördert hat. Er kamen dort viele Gesprächspartner aus der ehemaligen DDR zu Wort, die er zu seinen Interviews gebeten hatte.

Stirbt mit Günter Gaus eine verantwortungsbewusste Elite aus, in deren Handeln und Denken stets auch die Schwachen unserer Gesellschaft präsent waren?
Das wäre entsetzlich, wenn die aussterben würde. Dieser eine Mann ist weg, andere gibt es noch - und neue wachsen nach.

Das Gespräch führte Lutz Herden


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