Ein Mundschutz sei sinnlos, hieß es immer ...

Corona-Diaries Ärztinnen, die den Mindestabstand nicht einhalten. Und Virologen, die Stars geworden sind. Tagebuch einer Medizinstudentin im praktischen Jahr auf der Geriatrie – Teil 2
„Es interessiert mich, was mein Gegenüber erlebt hat, denkt, fühlt und sich wünscht.“
„Es interessiert mich, was mein Gegenüber erlebt hat, denkt, fühlt und sich wünscht.“

Foto: Theo Heimann/Getty Images

5. April

Mittlerweile trage ich einen Mundschutz, eine Empfehlung der Krankenhausleitung. Noch vor ein paar Wochen wurde davon abgeraten. Ein Mund-Nasenschutz helfe nicht und sei unnötige Materialverschwendung.

Jeden Tag erhalten wir neue Informationen. Trotzdem bleibt für mich vieles unklar, zum Beispiel welche PatientInnen getestet werden, wie Kontaktpersonen isoliert werden und wer in die Quarantäne geschickt wird.

Die Frühbesprechungen der Abteilung finden weiterhin statt. Es sind nur wenige ÄrztInnen, die sich an den Mindestabstand halten. Wenn eine Patientin an Covid-19 erkrankt, müssten damit alle ÄrztInnen zu Hause bleiben. Das würde aber aufgrund des Personalmangels nicht funktionieren. Wie mit dieser Situation umgegangen wird, bleibt offen. Neue Regelungen und ungeklärte Fragen. Ich kann dem nicht viel entgegensetzen, schließlich fehlt mir das Wissen, das Robert-Koch-Institut, die Aussagen von VirologInnen oder interne „Empfehlungen“ kritisch zu hinterfragen.

„Hättest du jemals gedacht, dass mal alle auf Virologen hören? Dass das mal die Stars unserer Zeit werden?“, wurde ich von einer Freundin gefragt. Ehrlich gesagt: Ja. Ich erinnere mich noch an eine meiner ersten Veranstaltungen im Studium. Der Dozent fragte uns nach den großen medizinischen Herausforderungen der nächsten Jahre. Es dauerte nicht lange und wir sprachen über Infektionskrankheiten. Sechs Jahre vor Corona, in einem deutschen Universitätskrankenhaus. Alles also eigentlich kein großes Geheimnis.

Was, wenn ich eine ältere Patientin anstecke?

Nach der Frühbesprechung begebe ich mich auf die Station. Ein schlechtes Gefühl begleitet mich. Viele meiner KommilitonInnen waren zunächst irritiert, als sie hörten, dass ich für ein paar Monate auf der Geriatrie – also der Altersmedizin – arbeiten möchte. Die Arbeit würde ihnen keinen Spaß machen, sagten sie. Die Fälle seien komplizierter, eine medizinische Behandlung in manchen Fällen fragwürdig und das PatientInnenklientel zeitaufwendig. Sicherlich spielen Berührungsängste, Vorurteile und Stereotype gegenüber älteren Menschen eine große Rolle.

Ich sehe das anders. Es interessiert mich, was mein Gegenüber erlebt hat, denkt, fühlt und sich wünscht. Ich habe großen Respekt vor dem Erfahrungswissen der PatientInnen. Die ärztliche Tätigkeit ist ja nicht nur Behandlung von Krankheit, sondern vollzieht sich auch auf der Beziehungsebene, in der auf Anliegen der PatientInnen eingegangen wird. Das schließt etwa ein, über Krankheiten aufzuklären, Schmerzen zu lindern oder auf den Tod vorzubereiten. In meinen Augen wichtige und erfüllende Aufgaben.

Jede Beziehungsform ist besonders. Im Krankenhaus fällt mir auf, dass das Personal sehr schnell, sehr intensiv im Leben der PatientInnen involviert ist. ÄrztInnen erhalten einen Vertrauensbonus. Wenn ich mich mit den PatientInnen unterhalte und sie mir von ihren Plänen nach dem Krankenhausaufenthalt erzählen, von ihren Wünschen und von ihren Liebsten, beschleicht mich die Angst: Könnte ich sie anstecken? Was ist, wenn ich das Virus übertrage und sie sterben?

In den Berichterstattungen heißt es, es gehe darum, dem Gesundheitssystem Zeit zu verschaffen, sich auf die Coronakrise vorzubereiten. Für mich bedeutet das, mich damit und mit den Themen Verantwortung und Schuld auseinanderzusetzen.

Teil 1 dieses Corona-Tagebuchs aus der Geriatrie finden Sie hier.

Unsere Autorin hat sich Leila Deaibes als Pseudonym gewählt. Sie ist 26 Jahre alt und studiert Medizin. Momentan arbeitet sie im praktischen Jahr auf einer geriatrischen Krankenhausstation

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