Einbruch

A–Z Böse Banden, geniale Ganoven und dusselige Diebe machen Angst und werden von Politikern als Vorwand benutzt. Unser Lexikon der Woche – von Albtraum bis Zahl
Ausgabe 23/2017

A

Albtraum Das Unangenehmste am Einbruch ist nicht der materielle Verlust. (Mein Vater, dem der Ehering seiner verstorbenen Mutter geklaut wurde, sähe das womöglich anders.) Das Unangenehmste ist, dass Menschen in deiner Privatsphäre herumgegrabbelt haben, dass sie deinen Safe Space verletzt haben. Das würde ich rückwirkend sagen, wenn ich an mein erstes Einbrucherlebnis denke. Ich war fünf, wir kamen aus dem Sommerurlaub wieder, die Tür war aufgebrochen und die Polizei schon da. Jahrelang hatte ich danach einen Albtraum: Bären kommen die Treppe herauf. Ich versuche mich hinter der Wohnungstür zu verschanzen. Weil das nicht klappt, krabbele ich unter den Boden. Die Bären sind verschwunden, aber die Traumbilder, wie ich mich hinter geschlossenen Türen verstecke, sind noch da. Und die Gewissheit, dass gefühlte Sicherheit in Wirklichkeit eine fragile Konstruktion ist. Juliane Löffler

B

Beziehungstat Den Augenblick kennt nur, wer ihn schon einmal erlebt hat: Man steigt die Treppe hoch, nichts Böses ahnend, und da steht die Tür offen. Niemand sonst hat einen Schlüssel. Ein dumpfes Gefühl von Unwirklichkeit. Und dann das scheußliche Gefühl, dass jemand in deinen Sachen gewühlt, sich vergriffen hat nicht nur an deinem Eigentum, sondern an dem, was du bist ( Albtraum). Einbrecher sind Seelenmörder. Als Beziehungstat allerdings habe ich das nur ein einziges Mal erlebt, in einem der typischen Berliner Untermietverhältnisse der 1990er Jahre. Ein aufgebrochenes Schloss, ein wüstes Durcheinander drinnen – aber es fehlt absolut nichts, kein Computer, kein anderer Wertgegenstand. Hat es sich bei der armen Kirchenmaus nicht gelohnt? Wurden die Einbrecher gestört (➝ Prävention)?

Monatelanges Rätselraten, Verunsicherung bis hin zur völligen Paranoia. Bis dann der Hauptmieter zurückkehrte. Der hatte wohl eine offene Rechnung mit seiner Ex. Oder besser sie mit ihm. Sie suchte etwas, womit sie ihn erpressen konnte. Wie die Geschichte allerdings ausging, weiß ich nicht. Ich bin nämlich ausgezogen. Ulrike Baureithel

Bürgerwehr Im Februar 2012 erschoss der 28-jährige George Zimmerman in Sanford (Florida, USA) den 17-jährigen Afroamerikaner Trayvon Martin. Zimmerman behauptete, dass Martin sich „verdächtig“ verhalten habe. Der Fall zeigt beispielhaft, wie gefährlich Bürgerwehren sind. Zimmerman war Teil einer sogenannten Nachbarschaftswache.

Auch in Deutschland formiert sich diese befremdliche „Ordnungsmacht“ jenseits des Staates. Gerade in der Provinz ist das besorgte Kleinbürgertum – gefühlt meist in Gestalt von mit Identitätsproblemen behafteten Männern – schnell dabei, mit stolzgeschwellter Brust im Dienste der Selbstverteidigung durch die Straßen zu patrouillieren. Häufig sind es Einbruchserien, die von Brandenburg bis NRW, von Schleswig-Holstein bis Bayern den Anstoß geben ( Zahlen). Doch selbst wenn es einen objektiven Anlass gibt, bleibt das Unterfangen höchst problematisch. Denn wo sich der Bürger wehrt, ist die Selbstjustiz nicht fern. Zumal insbesondere in jüngerer Zeit die Agenda so mancher Bürgerwehr weitaus beängstigender ist. Denn inzwischen geht es viel häufiger um das Deutschsein an sich. Gegen ein diffus gefürchtetes Fremdes. Spätestens da sollte klar sein, dass Bürgerwehren wirklich kein Mensch braucht. Benjamin Knödler

F

Fallada Betrunkene Einbrecher, die aufgrund schwindender Geisteskraft der Polizei ins Netz gehen, kommen gar nicht so selten vor. Tatsächlich haben sich auch Einbrecher schon am Tatort betrunken und sind über dem Freischnaps eingeschlafen. Hans Fallada hat so einem Gaunerpärchen ein literarisches Denkmal gesetzt.

In Jeder stirbt für sich allein plündern die Kleinkriminellen Enno und Emil die Wohnung einer jüdischen Dame. Erst nippen sie nur, dann werden sie maßlos: „Ich seh nichts mehr. Ich muss mir erst ’nen klaren Kopf trinken. Hol mal ein bisschen Kognak aus der Speisekammer, Emil!“ Bei zwei Flaschen Schnaps bleibt es nicht. „Prost, Emil!“, lallt Enno. „Ich, wenn ich du wäre, ich machte das nicht wie du… Nein, ich, wenn ich du wäre, ich machte es wie ich...“ Sie werden geschnappt und verdroschen. Tobias Prüwer

K

Klassiker Thomas Crown, wohlhabend, sportlich, gutaussehend, lebt sorgenfrei. Gelangweilt beschließt er, den perfekten Bankraub zu unternehmen – mit Gangstern, die weder ihn noch sich untereinander kennen. Der Coup gelingt (Perfektion). Da macht sich Versicherungsdetektivin Vicki Anderson auf die Suche. Schnell fällt ihr Verdacht auf Thomas Crown, der seinen zweiten Raub plant. Ein amouröses Katz-und-Maus-Spiel beginnt. The Thomas Crown Affair (1968) mit SteveMcQueen und Faye Dunaway ist ein Heist-Klassiker. Behrang Samsami

P

Perfektion Anfang des 20. Jahrhunderts wollte uns der Soziologe und Ethnologe Marcel Mauss glauben machen, dass so etwas wie die reine, nicht berechnende und nichts einfordernde Form der Gabe nicht existiere und nicht existieren könne. Im Akt des Gebens und Nehmens mischten sich untrennbar Person und Sache, Subjekt und Ding, was ihn zu einem „sozialen Totalphänomen“ mache.

Die Folge: Keine Gabe kann ohne Gegengabe bleiben, und sei es auch nur in Form des wohligen Gefühls, das einen befällt, legt man einem Bettler einen Groschen in den Schlapphut. Geben und Nehmen als ultimative, nicht sublimierbare Fremderfahrung, so Mauss! Doch der gelehrte Franzose hatte die Rechnung ohne den Dieb gemacht, der es genauer wusste. Soziologisch betrachtet stellt der perfekte, also nicht rückführbare und nicht aufzuklärende Einbruch die ganze Logik auf den Kopf. Nur der Einbrecher, der nimmt, ohne zu geben, der agiert, ohne zu erwarten, tauscht Ding und Besitz, ohne den beschwerlichen Weg der Fremderfahrung gehen zu müssen. Er widerlegt so – mit jedem geglückten Diebstahl – den ehrenwerten Franzosen ein weiteres Mal. Timon Karl Kaleyta

Prävention Auch Aberglaube kann Prävention sein. Oder sich jedenfalls so darstellen. So ist in der Hansestadt Hamburg ein Mensch verbürgt, der im Eingangsbereich seiner Wohnung an der Garderobe deutlich sichtbar einen Polizeihut samt Uniformjacke platziert hat. Damit Einbrechende, wenn sie das Ensemble sehen, es sich dann doch noch einmal anders überlegen und wieder gehen.

In der Domstadt Köln wird die Existenz eines Bewegungsmelders bestätigt, der Hundegebell als Konserve abspielt, wenn sich jemand der rückwärtigen Tür einer Parterrewohnung mit Garten nähert.

Ebenfalls gesichert ist die Technik einer Berlinerin, beim Verlassen ihrer Wohnung jeweils das Flurlicht brennen zu lassen bei gleichzeitigem Lautlosstellen der Türglocke. Auf dass mögliche Einbrecher, sollten sie zunächst läuten, feststellen, dass die Klingel ausgeschaltet ist. Dass theoretisch also doch jemand in der Wohnung sein könnte. Und man daher vom unerlaubten Eindringen besser absieht. Ob es hilft? Unklar. Von Einbrüchen in ihre Wohnungen berichten alle drei Personen bisher jedenfalls nicht. Susann Sitzler

M

Motiv Nicht alle Einbrecher wollen etwas mitnehmen, manche wollen etwas loswerden. Mit diesem Wunsch drangen jüngst einige Männer in ein Berliner Treppenhaus ein, wo sie laut debattierend schließlich vor der rustikalen Holztür zu einer Etagentoilette stehen blieben.

„He guck, hier kannst du auf Klo gehen!“, hörten Zeugen einen sagen. Kurz darauf: Mörderischer Krach von zerberstendem Holz. Offenbar getrieben von einem allzu dringenden Bedürfnis traten sie die Tür zur Toilette ein. Nicht überliefert ist, ob sie sich – angesichts des großen Lochs in der Tür – dann auch wirklich erleichterten. Aber: Abgesehen von den vielen Holzsplittern verließen sie den Ort so sauber, wie sie ihn wohl vorzufinden hofften. Susanne Berkenheger

T

Tunnel Spektakulär durch Tunnelbau: 2013 drangen Unbekannte durch einen 45 Meter langen Tunnel, den sie monatelang gebuddelt hatten, in den Tresorraum einer Berliner Volksbank. Hier brachen sie Schließfächer auf und sollen mehrere Millionen Euro erbeutet haben. Die Täter wurden nicht gefasst, die Polizei hat die Ermittlungen eingestellt (Perfektion). Ein Jahr später wurde ein Kölner Juwelier getunnelt. Vom Keller aus bohrten die Diebe direkt in die Vitrine und klauten Schmuck im sechsstelligen Wert.

Filmreife Einbrüche können sich auch ohne Tunnel oder Brachialgewalt abspielen. Zwar ist von Ladeneinbrüchen, bei denen Tür oder Schaufenster mit PKW, Rammböcken oder gar Baggern zerstört werden, immer wieder die Rede. Aber es geht geschickter. Eine Steilvorlage fanden einige Panzerknacker 2008 am Berliner Kurfürstendamm: Die dortige Commerzbank war wegen Bauarbeiten eingerüstet.

Über die Fassade verschaffte sich Vjeran Tomic 2010 Zugang zum Pariser Museum für Moderne Kunst. Fünf Meisterwerke von Picasso, Matisse, Modigliani, Braque und Léger (Schätzwert 100 Milliionen Euro) ließ der Dieb mitgehen, den die Presse „Spiderman“ taufte. Weniger geschickt als bei der Tat agierte Tomic später: Im Suff prahlte er vor Freunden mit der Tat, die zeigten ihn an ( Fallada). Er wurde im Februar 2017 zu acht Jahren Haft verurteilt. Tobias Prüwer

W

Witz Einem Einbruch wohnt für gewöhnlich nichts Sympathisches inne. Eine Ausnahme macht da jedoch ein Vorfall, der sich in Oak Hill im Jahr 2012 ereignete. Dort wurde ein Dieb erwischt, nachdem der Mann seiner Gattin im Schlafzimmer einen Witz erzählte und beide daraufhin lautes Lachen aus dem Obergeschoss hörten. Der Witz selbst wurde leider nicht kolportiert. Auch niedlich der Einbrecher aus Oregon. Er wurde vom Mieter und seinen zwei Schäferhunden auf frischer Tat ertappt, verbarrikadierte sich daraufhin im Bad und wählte den Notruf aus Angst, der Hausherr könnte eine Waffe besitzen.

Oder aber jener totale Pechvogel aus Ohio, der beim Einsteigen durch ein fremdes Fenster die 911 wählte. Allerdings nicht ganz freiwillig: Es war ein „Butt Call“, ein Anruf aus Versehen aus der Hosentasche heraus. Als die Polizei erschien, versteckte sich der Ganove zwar, aber wieder spielte ihm sein Mobiltelefon einen bösen Streich. Die Beamten hörten das Gerät piepsen, dessen Akku nämlich zur Neige ging. Sie brauchten dann nur noch dem Geräusch nachgehen, um zuzuschlagen. Elke Allenstein

Z

Zahlen 2016 ist die Zahl der Einbrüche in Deutschland zum ersten Mal seit zehn Jahren zurückgegangen. Um zehn Prozent, auf rund 150.000. Das sind etwa 412 Einbrüche pro Tag, circa 17 pro Stunde. Alle dreieinhalb Minuten einer. In Nordrhein-Westfalen sank die Zahl sogar um 15,7 Prozent. Aber mit 52.600 Einbrüchen gab’s hier ein Drittel aller Einbrüche bundesweit. 144 am Tag, sechs in der Stunde, alle zehn Minuten einer. Also noch immer zu viele, wie wohl auch die Wähler meinten. Während die CDU mit der Forderung nach Schleierfahndung und mehr Ermittlern punktete, hatte die unterlegene SPD mit Forderungen nach Selbstverpflichtungen seitens der Wohnungswirtschaft die wohl schlechteren Karten. Mladen Gladić

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