Eintrittswelle von A bis Z: Der große Traum der Kirche – und der Linkspartei
Lexikon Die Linke freut sich über viele neue Mitglieder. Und mit Tom Cruise als Zugpferd wäre da garantiert noch mehr drin. Nur dem Beispiel der Berliner FDP sollte sie nicht folgen. Unser Lexikon zu Eintrittswellen
Die Linke ist optimistisch: Die Eintrittswelle soll Neues anstoßen
Foto: Imago/piemags
A
wie Arresti
Gibt es dieses Wort eigentlich auch in anderen Sprachen oder nur im Land der Vereine und Gebührenzahler? Im Englischen: No. Da wurde über die Corbyn’sche Eintrittswelle vor allem als „surge“ berichtet, also einen Anstieg, der aber auch etwas von einem Schwall hat. Der erste Massen-„Surge“ folgte auf Jeremy Corbyns Antritt als Labour-Vorsitzender 2015. Und in Italien? Existiert zwar eine „ondata di adesioni“, also eine Welle der Beitritte, aber noch häufiger ist in den Medien von einer ganz anderen Welle die Rede: der „ondata di arresti“, der sogenannten Verhaftungswelle. Meist geht es um Schläge gegen die ’Ndrangheta. Oder um die Aufdeckung korrupter Machenschaften im großen Stil, so wie in den
n Stil, so wie in den Neunzigern im Zuge der Aktion „Mani pulite“. In den vergangenen Jahren wurden dann „Verhaftungswellen“ gegen illegale Migranten alltäglich. Und im Französischen? Da gibt es die „vague d’entrée“ – nicht zu verwechseln mit der Eingangswelle, die heißt „arbre d’entrée“ (→ Getriebe). Maxi Leinkauf Gwie GetriebeEine Eintrittswelle gibt es auch im Getriebe. Das wiederum ist „ein Maschinenelement, mit dem Bewegungsgrößen geändert werden können“, weiß Wikipedia. Für Nicht-Maschinenbauer: Damit kann man die Drehzahl ändern, um etwa mit dem Pkw schneller über die Autobahn zu düsen oder mit dem Fahrrad ohne Atemnot um den See zu cruisen. Über eine Eintritts- oder auch Eingangswelle (→ Arresti) wird die durch einen Motor oder Pedale erzeugte Drehzahl auf dasGetriebe übertragen. Über verschiedene Zahnräder wird die Drehzahl variiert und über die Ausgangswelle abgegeben. Sofern sich kein Sand im Getriebe befindet und die Mechanik ruiniert. Die davon abgeleitete links-politische Losung stammt übrigens von dem etwas in Vergessenheit geratenen Lyriker Günter Eich: „Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt.“ Tobias PrüwerKwie KircheEs gibt eine Organisation, bei der sowohl Austritt als auch Wiedereintritt unmöglich ist: Es ist die Mafia. Man kann sich von der Mafia abwenden, aber austreten kann man nicht (→ SED). Man hat schließlich auf ein frommes Bild geschworen, die Schwachen zu schützen und nicht die Frau eines anderen Mafiamitglieds zu begehren. Aus so einem Schwur kommt man nicht so einfach raus. Das sieht bei der Kirche etwas anders aus. Denn ein Schwur bindet auf ewig, ein Formular, das der Taufschein ist, aber nicht. Ein Ausstieg aus dem Wertekodex (Schweigen, Loyalität) ist immer Verrat, im Fall der Kirche bedeutet ein Ausstieg aber automatisch die Exkommunikation, also den Ausschluss aus der Gemeinschaft. Der Taufschein als Eintrittsbillett verliert dadurch allerdings nicht seine Gültigkeit. Anders als der Ex-Mafioso, der ein Abtrünniger ist, sind ein Ex-Katholik oder ein Ex-Protestant verlorene Schafe, die jederzeit wieder zu ihrer Herde zurückkehren können. Markus Steinmayr Lwie Linke500 Neumitglieder in vier Wochen, und es werden mehr. Dagegen hält sich die Zahl der Austritte (noch?) in Grenzen. Die Partei Die Linke übt sich in Optimismus, und die Medienaufmerksamkeit tut erst mal gut. Ein entnervender Scheidungsprozess ist überstanden. Die Linke kann aufatmen: Aus einer festgefahrenen Situation soll Bewegung entstehen (→ Unterwanderung). Der „Wagenknecht-Flügel“ schwingt nun anderswo. Da hofft man, dass einem neue Flügel wachsen. Was für welche? Ein Strukturwandel steht bevor. Viel hängt davon ab, was die neuen Mitglieder politisch mitbringen werden. Wie wird sich die Partei verändern, wenn sie in offene Konkurrenz zu einem eher links-konservativen Bündnis tritt? Wer wird gewinnen an diesem Streit? Einer oder keiner von beiden? Die Rechten gar? Die Wähler werden’s entscheiden. Irmtraud GutschkeMwie MilitärDie Sonne steigt auf am Stillen Ozean: Der darauf hinweggleitende US-Flugzeugträger gleicht einem Bienenstock. Lotsen schwenken Fahnen, Piloten grüßen stramm stehend, bevor sie über Deck zu ihren Fluggeräten rennen. Dann jagt ein Jet nach dem anderen über die Startbahn und schießt mit flammenden Triebwerken in den Himmel. Gitarren mischen sich in die Synthie-Klänge, „highway to the danger zone“ erklingt im Refrain. Von Beginn an ist Top Gun perfekt kombiniert, um nicht nur als Blockbuster zu funktionieren, sondern auch fürs Militär zu werben. Alles stimmte optisch bei der Liebes- und Kampffliegergeschichte mit Tom Cruise von 1986. Das Militär leistete aufwendige Unterstützung. Produktplatzierung nennt man das heute: Ohne sie hätten die Filmemacher niemals Piloten und Maschinen zur Verfügung gehabt. Die Flugszenen zahlten sich für Uncle Sam aus: Top Gun sorgte für eine massive Eintrittswelle bei der U. S. Navy, die mit Rekrutierungsständen vor den Kinos operierte. TPNwie #NoGroKoDie letzte große Eintrittswelle in derPolitik traf ja 2018 die SPD. Die gewann damals mit der #NoGroKo-Kampagne vor der Urwahl über eine erneute Große Koalition in kürzester Zeit 24.000 neue Mitglieder. Nachdem die SPD dann doch in der GroKo gelandet war, blieben die meisten davon der Partei treu. Zwei Jahre später kam völlig überraschend der Sieg bei der Bundestagswahl. Dass dieser am Ende nicht zu einer sinnvollen Koalition führte, lag auch am schlechten Abschneiden der → Linken. Auch wenn es nicht so aussieht, als könnte die SPD 2024 ihren Wahlsieg wiederholen, darf man der Linken doch wieder einen Aufschwung auch beim Wahlergebnis wünschen. Spätestens nach vier weiteren Jahren GroKo (Schwarz-Rot, Schwarz-Grün oder Schwarz-Braun) ist das Land dann 2028 endlich reif für Rot-Grün-Rot. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Tom WohlfarthTwie TurnvereinTurnverein, so nannte man in meiner Kindheit einen Zusammenschluss von Menschen, die sich für Sport begeisterten und sich zu diesem Zweck organisierten. Praktisch alle Bewohner im Dorf waren Mitglied im Verein, weil die Möglichkeiten, gesellig zu sein oder die Kinder zu beschäftigen, begrenzt waren. Also ab in den Verein. Was dagegen die Begeisterung für den Sport anbetraf, kam sie einem bei so manchem Mitglied eher überschaubar vor. Heute heißen Turnvereine Sportvereine, man turnt auch nicht mehr, sondern „macht Sport“, sei es auf Plätzen oder in Hallen. Wer in Studios turnt, ist wiederum nicht Mitglied im Turn- oder Sportverein, sondern in einem Fitnessclub. Angeblich verzeichnen insbesondere Letztere nach jedem Jahreswechsel eine Eintrittswelle, die ihnen vorsatzfreudige Wesen in die Kartei spült, die dann allerdings alsbald zu Leichen werden (→ Ziviler Ungehorsam), weil es dort weder so bierselige Sommerfeste wie im Sportverein auf dem Dorf gibt noch etwas von dem, was manche Menschen so von einem Studio erwarten. Beate TrögerSwie SEDIm Frühjahr 1989, als Sahra Wagenknecht (→ Linke) knapp 20-jährig in die SED eintrat, hatte eine Austrittswelle begonnen, die in wenigen Monaten zu einem Rückgang der Mitgliederzahl um rund 15 Prozent führte. Doch der richtige Absturz kam erst noch. Von etwa zwei Millionen blieben 1990 noch 85.000. Einvernehmlich aus der SED auszutreten, war bis dahin kaum möglich. Es ging nur Ausschluss. Nur bei der Gelegenheit des planmäßigen Umtauschs der Parteidokumente konnte die unzufriedene Genossin auf den Empfang ihres neuen Dokuments verzichten und war damit raus. Das nutzten viele, deren Hoffnung auf Glasnost und Perestroika von der SED-Führung schwer enttäuscht wurde. Auch die Auflösung der Betriebsparteigruppen, die es in Industrie, Verwaltung und Hochschule gab, ließ die Mitgliederzahlen massiv schmelzen. Michael SuckowUwie UnterwanderungVon einer „seltsamen Eintrittswelle in Reinickendorf“ wusste 1994 die Berliner Zeitung zu berichten. Junge Männer mit „ganz kurzen Haaren, denen man die Geisteshaltung ansieht“, hätten bereits die Macht im Bezirksverband Tempelhof übernommen. Nun sei Reinickendorf an der Reihe. Die Unterwanderung von rechts hatte Tradition in der FDP. In den frühen 1950er Jahren wäre es einer Gruppe alter Nazifunktionäre beinahe gelungen, den Landesverband NRW zu kapern, doch der britische Geheimdienst deckte die Verschwörung auf. Auch die Berliner Strategie war nicht langfristig erfolgreich. Nur wenige Jahre später entdeckten Spontis aus dem Uni-Milieu den Entrismus für sich. Wie einst trotzkistische Gruppierungen den Eintritt in sozialdemokratische Parteien propagierten, versuchten sie ausgerechnet die FDP als Protestplattform zu nutzen. Doch dieser Unterwanderungsversuch scheiterte an der Parteibürokratie. Nur 750 Aktivisten wurden aufgenommen. Das reichte aber immerhin, um den Vorsitzenden des Bezirks Tempelhof abzulösen. Der ist heute bei der AfD. Joachim FeldmannZwie Ziviler UngehorsamEine Freundin nahm mich 2019 zu einem Aufnahmetreffen bei Extinction Rebellion mit. Überall schossen damals lokale Gruppen von Fridays for Future und XR aus dem Boden. Entsprechend überrannt war das Café fürs „Onboarding“. Die Leute dort waren keineswegs Öko-Freaks, wie man sie lange mit dem Thema Klimaschutz assoziierte. Denn der zivile Ungehorsam, für den XR steht, war angesichts des drohenden klimatischen Kollapses, cool geworden. Doch genauso plötzlich verebbte der Enthusiasmus für die Klimabewegung. Die Große Koalition (→ #NoGroKo) bremste weiterhin gekonnt in der Klimapolitik, die Bewegungen wuchsen so schnell, dass sie selbst nicht mithalten konnten. Intern wirkte vieles total chaotisch. Kurz darauf begann die Corona-Pandemie und damit verschwand das Thema Klima erst mal wieder aus den Köpfen. Alina Saha
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