Kostüm-Knigge: Endlich wieder in fremde Rollen schlüpfen, doch Vorsicht!
A-Z Endlich wieder in fremde Rollen schlüpfen, doch Vorsicht! Obelix, Schneemann und Hotdog küsst man nicht. Verkleidet als Klimaaktivistin oder Glamour-Paar? Cringe! Unser Kostüm-Knigge
In dem Outfit in einen Fettnapf treten? Unangenehm
Foto: Marcus Glahn
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Aufblasbar Warum sich Typen in aufblasbare Penisse zwängen und das lustig finden, muss wohl ein ewiges Mysterium bleiben. Ist das Empowerment fragiler Männlichkeit, sexpositiver Ausdruck? Auch der Zweck anderer mit Luft angereicherter Kostüme (➝ Zwei-in-eins) erschließt sich nicht sogleich. Klar kann man als Obelix gehen. Aber mit aufgeblasenem Bauch reicht man nicht an den Tresen oder das Buffet heran. Und mit Tanzen und Knutschen ist es auch Essig. Da kann man die Längsstreifen für verantwortlich machen, wie man möchte. Darum sind diese luftgepolsterten Sumo-Ringer-Kostüme sowie Fatsuits nicht die beste Idee für alle, die den Faschingsabend nicht allein oder nüchtern verbringen wollen. Allerdings kann aufblasbare Verkleidung auch
n wollen. Allerdings kann aufblasbare Verkleidung auch Schutz bieten vor sexpostiver Männlichkeit, die Belästigte sich sofort bei der Security sichtbar machen. Tobias PrüwerFFleischkleid Als Lady Gaga 2010 bei den MTV Video Music Awards von Cher den Preis für das beste Video überreicht bekam, war dies wie eine Staffelübergabe. Mit einem Kleid aus Rindfleisch und einem Steak auf dem Kopf stellte sie Cher locker in den Schatten. Mode und Kunst verschmolzen damit endgültig.1987 inszenierte Jana Sterbak eine Performance mit einem Model, das in Fleischlappen gehüllt war, und bereits 1930 schuf die italienische Modedesignerin Elsa Schiaparelli einen mit (allerdings imitierten) Lammkoteletts verzierten Hut. Schiaparellis Zusammenarbeit mit den Surrealisten trug sicher auch noch das Ihrige zu dem kühnen Wurf bei. Die älteste Assoziation ist jedoch der Karneval. Am Abend vor der Verabschiedung des Fleisches (lat. Carne vale) wird noch einmal richtig der Völlerei gefrönt. Aus heutiger Sicht hat Lady Gaga ein Sinnbild für eine Gesellschaft am Vorabend großer künftiger Entsagungen (➝ Greta Thunberg) kreiert – weit über eine Kritik am Sexismus in der Musikwelt hinaus. Marc OttikerGGreta Thunberg Mit so gähn-lustigen Werbesprüchen wie: „Streike mit einem veganen Cocktail für das perfekte Partyklima!“ wird schon seit 2020 eine „nicht ganz klimaneutrale“ Polyesterperücke mit zwei geflochtenen Zöpfen (optional mit gelbem Regenmantel und einer passenden Gesichtsmaske) als Greta-Thunberg-Verkleidung von Faschingsherstellern beworben. Der Greta-Thunberg-Look war 2020 der Faschingstrend der Saison und die super Alternative für jeden Jecken, der sich sonst gern als Hotdog verkleidet unters Partyvolk mischte, quasi als wurstiger Kommentar zu diesem „Veggie-Wahn“. Seit sich die Leute aber immer weniger über Veganer und Co lustig machen, macht sich der Typ im Hotdog ja längst selbst zum Horst. Seit zwei Jahren geht Horst deshalb als Greta-Thunberg-Double, quasi sein Kommentar zur „Klimahysterie“. Aber was 2020 noch eine Provokation war und für Empörung sorgte – Klimaaktivisten hatten sich pikiert gezeigt und sich nicht ernst genommen gefühlt, –, ist vielleicht bald eine ganz alte Perücke. Allenfalls der Bali-Flug der beiden Aktivist:innen der Letzten Generation taugt dieses Jahr zur karnevalesken Verwurstung. Aber wie soll das Kostüm (➝ Totes Meer) aussehen? Liz JacobsJJugendamt Die Frau vom Amt trug ein fahles Kostüm und ein falsches Lächeln. Sie sah aus, als hätte sie sich als „feine Dame“ verkleidet – eine Person von einem anderen Stern, die keine Ahnung hatte. Mit abgequetschter Stimme fragte sie Sachen, die sie nichts angingen: was ich zu Mittag aß oder wie lange Mama jeden Tag arbeitete. Sie reichte mir die Hand (die war klamm und knochig), wollte wissen, wie es mir in der Schule ging und welches mein Lieblingsfach war. „Ich schreibe nur Einsen“, sagte ich. Dann wollte sie meine Halbschwester sehen, und Mama holte die Kleine aus dem Mittagsschlaf. Sie trug noch Lippenstiftschmier um den Mund und das ➝ Prinzessinnenkleid, vom Fasching im Kindergarten. Sogar in den Schrank wollte die Frau gucken: Die Wäsche lag gefaltet. So ordentlich hatte ich unsere Wohnung noch nie gesehenKatharina KörtingKKulenkampff Der populäre Showmaster trat gerne kostümiert auf. Legendär ist seine Beatles-Parodie von 1966, als er mit einer schlecht sitzenden Langhaarperücke auf dem Kopf zu Playback vor den Fernsehkameras herumhampelte. Doch die dreisteste Verkleidung in Kulenkampffs Quizshow Einer wird gewinnen trug nicht der Meister selbst, sondern sein als Butler Martin auftretender Produzent Martin Jente, der seine rasante Karriere bei der SS, die 1945 zu einem abrupten Ende gekommen war, gekonnt verheimlichte (➝ Prinz Harry). Joachim FeldmannOOper(ette) Oper und Operette sind Tummelplatz des Kostümierungswesens und der karnevalesken Libretti. In der Strauß’schen Fledermaus erscheint Zofe Adele maskiert als Künstlerin und wird beinahe vom eigenen Dienstherren erkannt. Alles geht gut, weil es das Libretto will. Im Don Giovanni schleichen Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio maskiert zur Fete des Frauenhelden und Mörders. Sie enttarnen ihn. Das nützt nur bedingt, denn er entkommt – laut Libretto – noch für ein Weilchen. In Eine Nacht in Venedig sind Maske und Kostüm ein Trick, um brave Ehefrauen dem Zugriff eines lüsternen Herzogs zu entziehen. Die wollen das gar nicht, was zu keckem Kostümtausch führt. Das schräge Libretto kennt kein #Metoo. Magda GeislerPPrinzessin Traum von Schönheit in einem muffigen Chemnitzer Mietshaus: Aber gekauft wird nichts, sagte die Mutter. In der Schule (➝ Schneemann) zog ich die Strickjacke aus und posierte in einem dünnen Trägerhemd. Ich fühlte mich gut, aber als ich das Foto sah: Eine flachbrüstige Siebenjährige mit einer Pappkrone – will und kann nicht, wie peinlich. Nie mehr habe ich Lust am Verkleiden gehabt.Irmtraud Gutschke Prinz Harry Als 20-Jähriger besuchte Prinz Harry eine poshe Kostümparty – das Motto, damals schon schräg: „Eingeborene und Kolonialherren“ – in einer Uniform von Rommels Afrikakorps. „Harry The Nazi“, titelte die Sun. Glaubt man Harrys Bestseller „Spare“, ermunterte ihn sein kreuzbraver Bruder William, das Teil zu tragen. Der schlich seinerseits auffallend unverfänglich zur Party: als Wildkatze in schwarzen Leggings.Christine KäppelerNNotkostüm Ich gehe auf die 40 und damit konsequent auf die Midlifecrisis zu. Aber das soll nicht unser Thema sein, wenngleich es zeigt, wie lange meine Kindergartenzeit her ist. Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seitdem man sich in merkwürdige Kostümierung steckte und fröhlich durch die Gegend tanzen sollte. Nun ja, Schwamm der Vergangenheit darüber. Ich möchte Ihnen aber von einem anderen Kind aus meinem Kindergarten berichten. Er hatte entweder den Termin vergessen oder aber die Eltern legten keinen Wert auf Fasching. Noch wahrscheinlicher: Sie hatten kein Geld (➝ Prinzessin) dafür übrig. Und so kam der Junge ohne Kostüm und wurde dafür, pädagogisch höchst wertvoll, erst mal von den Erzieherinnen zusammengeschissen. Eine ältere Erzieherin, mein Idol Frau T., bastelte ihm dann fix ein Notkostüm. Als Uhr.Das ganze Bemühen, ihm den Tag zu retten, quietschte aber wie Eisenbahnräder in einer Kurve. Ich sehe ihn noch heute dort als „Uhr“ verloren stehen. Möge die Zeit ihm später mehr gewogen gewesen sein. Jan C. BehmannSSchneeman Wir waren Teenies, hormongeschwängert, magnetisch voneinander angezogen, ob nun mit oder ohne Kostüm, das war egal. Aber eben nicht ganz egal. Zur bestbesuchten Faschingsparty in der Fabrikantensohn-Villa samt coolstem Partykeller der ganzen Kleinstadt kam die kreuzbrave Lehrerstochter im Schneemannkostüm, im Gesicht weiße Schminke.Das aus zwei weißen Kugeln gebaute Kostüm mit seinem imposanten Durchmesser (➝ Aufblasbar) bildete eine Bannmeile. Sie zu küssen war unmöglich. Ob es Absicht war, weil sie um ihre Bravheit besorgt war? Oder doch ein Versehen? Sie blieb jedenfalls allein, und während die Party tosend fortschritt, ich mit dem Fabrikantensohn in seinem Zimmer, weit weg vom Keller und in der Party-Tabuzone unterm Dach, auf dem Bett landete, als der Ton zwischen uns vertraulicher wurde, ging plötzlich die Tür seines geräumigen Wandschranks auf: Heraus stürzte die Lehrerstochter im Schneemannkostüm. Puterrot unter der weißen Schminke, ein „Entschuldigung!“ auswürgend, stürmte sie aus dem Zimmer. Wie sie in den Schrank geraten war? Das konnten wir sie nicht mehr fragen, denn als wir uns wieder im Partykeller blicken ließen, war sie verdampft wie ein Schneehaufen durch Sonneneinstrahlung, mitsamt ihrem Schneemannkostüm. Und obwohl wir noch jahrelang dieselbe Schule besuchten, haben wir es auch später nie gewagt, sie nach ihrem Aufenthalt im Schrank zu fragen. Beate TrögerTTotes Meer Mainz ist vermutlich die einzige Stadt, in der man als Studentin bei der Unterzeichnung des Mietvetrags von der Hauseigentümerin mit einem donnernden „Helau!“ begrüßt wird, nur weil gerade Februar ist. Dass ich selbst zur Fasenachterin nicht geboren bin, erkannte ich schon in der Straßenbahn zum Prinzengardeball, als ein Typ mit Feuerzeug mir anbot, meine Bierflasche zu öffnen, und erst mal einen kräftigen Schluck daraus nahm, bevor er sie mir bestens gelaunt zurückgab. Was keiner erkannte, war mein Kostüm: Ich ging als Totes Meer, und von heute aus betrachtet, finde ich auch, dass die Idee irgendwie zu meta war und der wallende Rock aus blauen Müllsäcken und das Einschussloch auf meiner Stirn zu viel Interpretationsspielraum ließen. Den Preis für das beste Kostüm gewann ein Mann, der sich als Tampon verkleidet hatte (➝ Aufblasbar). In den folgenden Jahren ging ich dann nur noch auf die Mottopartys der Kunsthochschule, wo die Räume anspruchsvoller verkleidet waren als ich.ckäZZwei-in-eins Karneval, Halloween oder ein beliebiger Anlass, sich mal schön zu verkleiden, werden in Deutschland ja gern genutzt. Am meisten falsch machen kann mensch beim Paarkostüm. Ob real existierendes „berühmtes Pärchen“ oder als Paar aus einem Film (Ja, die zahlreichen Pretty Women und Richard Geres), es ist alles gleich schlimm. Die Cringe-Parade bei den Paarkostümen gewinnt allerdings das „Metaebene“-Paarkostüm (Topf und Deckel, haha, wie lustig, aus Alufolie gebastelt). Tun Sie sich also bitte selbst, Ihrer Beziehung und allen anderen – damit meine ich natürlich hauptsächlich mich – den Gefallen und lassen Sie das mit den Paarkostümen. Also, ganz grundsätzlich. Clara von Rauch