Erzählen bis zum Quälen

Trilogie Zum Abschluss des „1001 Nacht“-Projekts von Miguel Gomes über das krisenhafte Portugal 2015
Ausgabe 34/2016

Die sehr eigenwillige Adaption von 1001 Nacht durch Miguel Gomes wird nicht als ein Erzählexperiment, sondern als ein Erzählprogramm in Erinnerung bleiben. Programmatik des Disparaten: gegen die Fortsetzung, gegen die Plausibilisierung und gegen die Vervollständigung. Außerdem: gegen die wechselseitige Ergänzung, in der Erzählungen sich aufeinander zu beziehen haben, sowie: gegen jedes Konzept von Reflexivität, das in einer Geschichte den Kommentar zu einer anderen erkennen will.

Erzählen heißt in dieser Adaption vielmehr, einen repetitiven Einspruch gegen das Verschwinden vorzubringen. Der erste Teil stellt das klar und lässt dann alles sprechen, was sich nicht bei drei außerhalb der Einstellung befindet. Erzählen, so bestimmt es der zweite Teil, heißt jedoch zugleich, Verbindungen aufzulösen, gerade indem die Fragmente vieler Geschichten aneinandergereiht werden. Anders als in jenen Dramaturgien der Partikularität, die irgendwann beim Tableau oder wenigstens beim Mosaik ankommen, setzt das On and Off, Hier und Da, Hin und Her der Auftritte von Erzählinstanzen in der Trilogie von Gomes nicht die Herstellung einer Textur in Szene, sondern deren Zerfall. Irgendwann bleibt nichts anderes als das serielle „und dann“, das mit dem Versprechen von Kohäsion langsamen Prozess macht.

Nichts wird sich gefunden haben. Und keine Verbindung hergestellt, die über den Moment des punktuellen Anschlusses Bestand hätte. Unter solchen Bedingungen kann das Erzählen zur Last werden: Ihre Geschichten, so Scheherazade (Crista Alfaiate), seien in den letzten Tagen schwerfällig, der Sultan wirke gereizt und müde, und sie rechne damit, bald geköpft zu werden. Das hindert sie nicht, zu Beginn des dritten Teils erst einmal zum Baden und auf die Felsen zu gehen, wo die Sonne hell scheint und eine Bande von Räubern haust, die aussehen wie ländliche Hippies.

„Unten wartet ein Diener, um dich zurück zum Palast zu bringen“, sagt ihr Vater, der Großwesir, als sie später zusammen in einem Riesenrad sitzen. Und da der wartende Diener aussieht wie Miguel Gomes mit einem grünen Turban, bedeutet das wohl, dass der Regisseur und seine Figur ihre Komplizenschaft erneuern und das Erzählen um die 40. Minute („am 515. Tag“) wieder aufnehmen.

Diesmal ist es eine Erzählung von Buchfinken. Kleine bunte Vögel in kleinen Käfigen, gehalten, um auf Bestellung um die Wette zu singen, woran sie bisweilen eingehen, als Sänger an- und abgeschaltet, je nachdem, ob der Käfig mit einem Tuch verhüllt wird oder nicht; der ganze Stolz ihrer männlichen Halter, von denen allzu viele gezeigt werden, bis der Film eineinhalb Stunden später zu Ende ist. Mehr als in den anderen beiden Teilen ist die Unverbundenheit der Erzählformen hier demonstrativ, die Analogie der Erzählteile auf einmal aber umso forcierter. Eine Bildebene mit portugiesischen Vogelfängern (und, in einer zweiten Episode, mit demonstrierenden portugiesischen Polizisten), eine Ebene der ein- und ausgeblendeten Texte, die davon berichten, dass auch Scheherazade verstummt und wieder einsetzt, bis ihre Stimme oder ihre Fantasie sich erschöpft hat.

Die eine Ebene ist dokumentarisch. Portugal, 2013, 2014, die Wohnblocks, Garagen, Vogelnetze, die improvisierten Volieren, schäbigen Cafés und die Sing-Wettbewerbe, die aus anderen Gründen schäbig sind. Die andere Ebene wäre fabulatorisch, ließe sich darin ein Rest von Lust an der Fabrikation von Geschichten finden. Allein, was Gomes im dritten Teil in Gang gebracht hat, ist ein Erzählen, das sich selbst zur Qual geworden ist und von einer 515-ten in eine 516-te, 517-te Nacht geschleppt wird und von dort weiter über das Ende des Films hinaus, der viel von dieser Anstrengung mitteilt.

1001 Nacht: Teil 3 – Der Entzückte Miguel Gomes POR/FRA/D/CH 2015, 125 Minuten

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