Es müht sich der Anarchist mit seiner Säge

Filmfest Auf dem Filmfest in München zeigen "Caracremada" und "Balada Triste de Trompeta" zwei Extreme in den seltsam zahlreichen Bildern des Faschismus

Ein Knall ertönt draußen, gar nicht mal besonders laut. Als das Mädchen, das sich in einer dunklen Ecke der Steinhütte versteckt hielt, wieder hervorschaut, liegt ein Toter auf der Wiese, seine Mörder sind spurlos verschwunden. Ein grotesk friedlich anmutendes Tableau. In einem anderen Film verätzt sich ein Mann das Gesicht mit Bleiche, setzt an den Wangen links und rechts das heiße Bügeleisen auf, schlüpft in ein Clowns-Kostüm, zu dem eine absurd verzerrte Mitra mit bunten Kugeln gehört, schnappt sich eine MP aus dem Wandschrank und mäht die Handlanger Francos in dem Herrenhaus nieder, in das er verschleppt wurde, um als Hund an der Jagd teilzunehmen.

Das Filmfest München wildert als ausdrückliches Publikumsfestival gerne in den elitären Zirkeln von Cannes und Venedig, um das eine oder andere Sahnestückchen aus deren Programm in deutschen Premieren zu präsentieren. Álex de la Iglesias Balada Triste de Trompeta, in Venedig für Regie und Drehbuch ausgezeichnet, und Lluís Galters Langfilmdebüt Caracremada repräsentierten zwei – gleichwohl durchdachte – Extreme in den seltsam zahlreichen Bildern des Faschismus, die in diesem Jahr zu sehen waren. Der spanische Bürgerkrieg bricht bei de la Iglesia am Anfang in den Mikrokosmos des Zirkus ein, Clowns und Akrobaten werden von den Republikanern zwangsrekrutiert, einer von ihnen landet in einem Gefangenenlager.

Jahre später heuert dessen Sohn Javier wieder beim Zirkus an, und er verliebt sich in Natalia, doch diese gehört dem so erfolgreichen wie brutalen Sergio. Alle seine Überschreitungen vergibt sie. Eine ganze Weile balanciert der Film diese Allegorie der Abhängigkeit von einem Diktator in saftig sinnlichen Bildern aus, die auch von blinder Gewalt und atemlosem Sex erzählen, von der Ambivalenz des intensiven Lebens. Dann eskaliert der Konflikt zwischen Javier und Sergio, der eine wird fast zu Tode geprügelt, der andere gerät in die Hände der Häscher Francos und läutet schließlich als absurder Rächer seinen Feldzug ein. Die beiden Freaks begegnen sich wieder auf den tristen Straßen des Alltags, und der Showdown findet statt auf dem größenwahnsinnig riesigen Kreuz im „Tal der Gefallenen“, das Javiers Vater einst als Zwangsarbeiter mit errichten musste. Diese Symbolik, ins Satirische überdreht, fügt sich manchmal ein bisschen zu glatt in die gut geölte Maschinerie eines temporeichen, unterhaltsamen, witzigen, blutigen, melodramatischen Films ein.

Lluís Galter interessiert in Caracremada nicht die Symbiose von Kirche und Faschismus, weder Politik noch Gesellschaft. Wer genau hinschaut, mag den Mordgesellen am steiferen Mantel erkennen oder an den wuchtigen Stiefeln – weiter geht Galters Kommentar nicht. Er zeigt den letzten Anarchisten, der noch für seine Sache kämpft, und fixiert in langen Einstellungen die Details der mühevollen Kleinarbeit im Untergrund. Die Säge, die Hand, die Pistole und, immer wieder, Schuhe an Füßen, die über den Waldboden laufen. Ein Weg ohne Ziel.

Bei jeder Aktion, die große Bewegung – und Bewegung heißt hier: Gewalt – auslöst, reißt der Regisseur Ursache und Wirkung auseinander. Mit schrillem Knirschen müht der Anarchist sich mit seiner Säge an einem Stahlträger ab, im nächsten Bild liegt ein spitzer, stacheliger Strommast in der Landschaft wie ein getötetes Monster. Caracremada ist trotz all seiner Künstlichkeit einer der realistischsten Kriegsfilme überhaupt.

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