Kurz vor der diesjährigen Jahrestagung des deutschen PEN Zentrums in Tübingen im Mai dieses Jahres bekam der Schriftsteller Ilija Trojanow im Interview mit dem Deutschlandfunk die Frage gestellt, welche Aufgaben die Vereinigung heute noch erfüllen könnte. Wir erinnern uns: 2022 hatte sich nach heftigen, von außen nur schwer zu durchschauenden Auseinandersetzungen eine größere Gruppe von Autorinnen und Autoren zusammengefunden und sich als PEN Berlin abgespalten.
In seiner Antwort hob Trojanow hervor, wie wichtig es mehr denn je sei, dass sich die Mitglieder der schreibenden Zunft für das freie Wort engagierten. Er betonte, dass heute nur wenige marktbeherrschende Unternehmen das öffentliche Gespräch in der digitalen Welt beherrschten. Die mi
tig es mehr denn je sei, dass sich die Mitglieder der schreibenden Zunft für das freie Wort engagierten. Er betonte, dass heute nur wenige marktbeherrschende Unternehmen das öffentliche Gespräch in der digitalen Welt beherrschten. Die mit der Materie nicht selten vertrauten Kolleginnen seien dazu prädestiniert, vor den enormen Gefahren einer Entwicklung zu warnen, in der sich die Debattenräume immer mehr verengten.Arena statt AgoraEva Menasses Essay Alles und nichts sagen. Vom Zustand der Debatte in der Digitalmoderne liest sich auf weiter Strecke wie ein Echo auf die Einlassung ihres Kollegen. Ebenso wie dieser befürchtet sie, dass die von profitorientierten Monopolisten betriebenen Social-Media-Plattformen eine ernsthafte und zuweilen immer noch unterschätzte Gefahr für das demokratische Zusammenleben darstellen. Sie schüren jene Art von Auseinandersetzungen, die den an sich notwendigen Streit immer wieder eskalieren lassen und immer häufiger aus kompromissfähigen politischen Gegnern unversöhnliche Feinde machen.Wer sich unter diesen Bedingungen noch ins Getümmel stürzt, gerät schnell unter die Räder und wird aussortiert. Immer mehr Menschen, die bis vor Kurzem noch als respektable Fachleute oder Intellektuelle galten, fielen mittlerweile durch „fragwürdige“ oder „problematische Thesen“ auf. „Ohne die digitale Massenvervielfältigung“, so Menasse, „gäbe es diese Wellen der Empörung jedenfalls nicht, die blitzschnellen Exekutionskommandos, die die behäbigen Institutionen wie Universitäten, Parteien und Firmen inzwischen oft derart unter Druck setzen, dass sie zu schnell die falschen Entscheidungen treffen, Vortragende ausladen, Kündigungen aussprechen, Konferenzen absagen.“ Das von den frühen Internetpropheten in den 90er Jahren verkündete Reich digitaler Freiheit scheint in weite Ferne gerückt. „Mit einer Volksversammlung auf der Agora oder dem Forum Romanum“, so Menasse, „haben die sozialen Medien zweifellos sehr viel weniger gemeinsam als mit den ebenfalls in der Antike erfundenen Tierhetzen, Exekutionen und Gladiatorenspielen, bei denen Hunderttausene Menschen und Millionen Tiere starben, zum Amüsement von noch viel größeren Massen.“Die Autorin sieht die Digitalisierung aller Kommunikation als hinreichende Erklärung für die oft beklagte Verrohung des öffentlichen Diskurses, der sich viele Nutzer aber nur schwer entziehen können. Ihre Wirkung entfalten die sogenannten sozialen Medien dabei weniger als Hilfsmittel der Verständigung mündiger Bürger denn als bewusstseinsverändernde Drogen. „Die digitale Welt feiert sich für ihre Freiheit, obwohl die digitalen Großkonzerne die mächtigsten Kartelle der Geschichte geschaffen haben; vordergründig bleibt den Nutzern fast alles erlaubt, um sie davon abzulenken, wie sehr sie an deren Strippen hängen.“ Menasses Wahrnehmung, dass sich unser Debattenklima aufgrund einer von privaten Datenmonopolisten zu ihrem eigenen Vorteil gestalteten Kommunikationsinfrastruktur verschärft und sich der risikolos betretbare Meinungskorridor gefährlich zu verengen begonnen hat, ist sicher richtig. Aber was wäre die adäquate Antwort auf diese, sich in den Augen vieler Beobachter immer weiter zuspitzende Situation? Menasse will der Abschöpfung sensibler Nutzerdaten durch kapitalistische Plattformunternehmen einen Riegel vorschieben und plädiert dafür, dass jeder und jede Einzelne selbst sich weniger sorglos im Internet bewegt. Beides ist richtig. Möglich und im Sinne eines demokratischen Gemeinwesens überaus sinnvoll wäre aber mehr.Kommen wir noch einmal auf ihren Kollegen Trojanow zurück. Der hatte im besagten Interview vorgeschlagen, dass die Plattformen der sechs profitorientierten Monopolisten – darunter X, damals noch Twitter, Meta und Google – stärker reguliert werden müssten und es dem Gemeinwohl unterstellte öffentlich-rechtliche Plattformen geben sollte. Von Bürgerräten geleitete oder zumindest kontrollierte Einrichungen, die einen gesamtgesellschaftlichen Kultur-, Bildungs- und Politauftrag erfüllten. In der Gegenwart sind wir davon weit entfernt, aber es wäre im ureigenen Interesse aller am Gedeihen des demokatischen Gemeinwesens interessierten Bürger – quer durch die verschiedenen weltanschaulichen Milieus –, einen politischen Willen zu formulieren, endlich erste Schritte in Richtung eines demokratiekonformen Internets zu gehen. Schriftstellerinnen und Schriftstellern – ob sie nun wie Ilija Trojanow dem alten oder wie Eva Menasse dem neuen PEN angehören – böte sich hier eine Chance, mit Sachverstand und kreativer Energie – womöglich in einer gemeinsamen Initiative – zusammenzuarbeiten.Placeholder infobox-1