F**** euch!

Bluthochdruck Warum regt uns Sprache so auf? Elf Versuche einer Erklärung
Ausgabe 12/2019
F**** euch!

Grafik: der Freitag

Schlampigkeit Ich kann schon zwei Voraussetzungen in der Anfrage nicht teilen. Erstens „brenne“ ich nicht „für die richtige Sprache“, weil diese nicht so ohne Weiteres von der „falschen“ zu unterscheiden ist. Ich bin zwar gegen das „Innen“, aber deswegen, weil es kein „Gender“ markiert, sondern ein ganz altmodisches Geschlecht, es ist eine reaktionäre Sexualisierung (weshalb ich die entsprechenden „konservativen“ Aufrufe trotzdem nicht unterschreiben könnte). Zweitens muss ich keine „hohe Emotionalität“ in dieser Sache erklären. Das klingt, als hielte die Wichtigkeit, die ich der Sprache zumesse, nüchternem Nachdenken nicht stand. Sprachverwendungen prägen in hohem Maße die Welt. Die derzeitige extreme Schlampigkeit von Sprachverwendungen ist nicht nur Ausdruck der grassierenden politischen Schlampigkeit, sondern verstärkt diese massiv. Es wird momentan keineswegs wirklich über Sprache nachgedacht, sondern es wird bloß an der Oberfläche herumgedoktert.

Zur Person

Robert Stockhammer ist Professor für Literaturwissenschaft in München

Herrschaft „Niemals ist ein Irrtum so schwer zu beseitigen, als wenn er seine Wurzeln in der Sprache hat“, schrieb der Philosoph, Jurist und Sozialreformer Jeremy Bentham (1748 – 1832). Eigentlich müsste ich als „Ostfrau“ ja meinen, dass es doch auf solchen „Pipifax“ wie weibliche Endungen gar nicht ankäme. Aber ich habe auch vor 1989 die weibliche Berufsbezeichnung verwendet. Der erbitterte, grundsätzliche Widerstand, der den Bestrebungen nach einer geschlechtergerechten Sprache immer wieder entgegenschlug, gab mir zu denken. Sprache ist – auch – ein Herrschaftsinstrument. Nicht ohne Grund gibt es die Wendung von der „Macht des Wortes“, auch wenn dies manchen, die darüber streiten, gar nicht so recht bewusst ist. Sie spüren nur: Wir verlieren etwas, ohne dass sie genau wüssten, was. Darum machen sie Scherze oder denunzieren Frauen, die sich mit dem Thema befassen, als inkompetent, reden von Genderwahn. Wer etwas benennt oder bezeichnet, hat Macht. „… ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“, heißt es in einem Bibeltext (Jes 43,1b).

Zur Person

Magda Geisler ist freie Autorin und bloggt auf freitag.de

Akzeptanz Ganz offenbar also ist Sprache nicht egal. Sonst würden sich nicht Generationen immer wieder neu aufregen. Wäre es so egal, ob es die Benennung „Leser*innen“ gibt, um deutlich zu machen, dass die Welt aus mehr besteht als Männern und Frauen, dann könnten die, die sich so sehr darüber aufregen, die anderen, die sich so ausdrücken wollen, doch einfach machen lassen. Die Empörung aber zeigt vor allem eins: Verunsicherung darüber, dass Sprache ein Handeln ist, nicht einfach neutral und vielleicht auch ungewollt diskriminierend. Dass es sich umständlich und anstrengend anfühlt, pseudo-allgemeinmenschliche Ausdrucksweisen wie „Chefankläger“ aufzugeben, zeigt vor allem: die androgendernden, Männer verallgemeinmenschlichenden Bilder in vielen Köpfen sind so stark, dass ein anderes Sprechen verunsichernd ist. Die Aufregung kann ein Zeichen von Angst davor sein, Welt differenzierter wahrzunehmen. Der Mut zu, der Wunsch nach und die Akzeptanz von neuen Sprachformen aber können solche eingefahrenen Denkstrukturen durchlüften helfen.

Zur Person

Lann Hornscheidt forscht zu Sprache und Gewalt. Bei w_orten & meer erscheint bald ihr neues Buch Exit Gender

Gewalt Deutsche Personenbezeichnungen sind in puncto Symmetrie eine eklatante Fehlkonstruktion: Die Feminina werden aus den Maskulina abgeleitet wie Eva aus Adams Rippe: „der Maler, die Malerin“. Stellen Sie sich vor, wir würden „der Fuß“ und „die Füßin“ sagen, als ob zwischen dem linken und dem rechten Fuß eine Abhängigkeit bestünde. Wenn eine Gruppe von Personen auch nur einen einzigen Mann enthalten könnte, wird sie symbolisch zu einer Männergruppe. „Wer wird Millionär?“ „Der Nächste bitte.“ Denn es ist dem Manne nicht zuzumuten, unter einen weiblichen Oberbegriff zu fallen. Dafür sorgt das „generische Maskulinum“. Das formal gesehen absurde System ist sinnvoll, wenn die männliche Hälfte der Menschheit als Norm gilt und die weibliche Hälfte von der männlichen abhängig ist und bleiben soll. Gegen diese strukturelle Gewalt durch Sprache wehren wir uns, indem wir den Spieß umkehren: „Wer wird Millionärin?“ Männer sind herzlich mitgemeint und können Empathie üben.

Zur Person

Luise F. Pusch gilt als Begründerin der feministischen Linguistik in Deutschland

Freiheit Von mir aus kann jeder und jede reden und schreiben, wie sie will. In den linken Zusammenhängen, in denen ich mich öfter bewege, war das auch lange Zeit üblich: Wer das Gendersternchen verwenden mag, soll es tun. Wer nicht, lässt es bleiben. Seit einiger Zeit wird jedoch immer öfter von mir erwartet, meine Texte zu „gendern“. Bisweilen trägt diese Erwartung autoritäre Züge. Da wünsche ich mir etwas mehr geschichtliche Sensibilität. Offenbar passiert es der Linken immer wieder, dass sie gegen Ungerechtigkeit kämpft und dabei Unfreiheit produziert. In der DDR wurde mir auch gesagt, wie ich zu schreiben und zu denken habe. Sprache hat so viele Aufgaben: Menschen müssen sich unterhalten können, flüstern, beten, sich Witze erzählen, Liebe machen oder alles gleichzeitig. All das geht in dieser „gerechten“ Sprache nur schwer oder gar nicht. Was daran emanzipatorisch sein soll, erschließt sich mir nicht.

Zur Person

Karsten Krampitz ist Schriftsteller. Demnächst erscheint bei Alibri Der Feuerstuhl. Werk und Wirkung des Schriftstellers B. Traven

Fixierung Lieber M.,

ich rege mich eh den ganzen Tag darüber auf, wie häßlich alle reden, da würden 500 – 1.000 Zeichen nicht reichen. Zugleich will ich meinen Ärger nicht auch noch in goldene Worte gießen, lieber schalte ich einfach das Radio aus.

Daß Du Emotionalität in Sprachdingen für eine Fixierung hältst, betrübt mich. Immerhin ist die Sprache Dein Arbeitsinstrument. Man stellte sich vor, Du hättest ein Interesse daran, daß es gut in Schuß ist. Oder schreibst auch Du in jedem Satz von „Menschen“ und kennst kein „man“ mehr, nur noch „du“ (das sind die zwei schlimmsten Beispiele)?

Alles Liebe von Deiner

Iris

PS: Gerade sehe ich, daß ich nun schon 607 Zeichen geschrieben habe. Die kannst Du gerne so abdrucken. Dabei aber die bewährte Rechtschreibung erhalten!

Zur Person

Iris Hanika ist Schriftstellerin (unter anderem Das Eigentliche)

Selbstgerechtigkeit Worin wurzelt unsere Sprache? In den ursprünglichen Formen des Gemeinschaftslebens, als Versicherung des individuellen und kollektiven Überlebens. Nur so erklärt sich wohl die bis zur Liebe reichende Hochschätzung der eigenen Sprache und ihrer Schönheit weit über ihre bloße Mitteilungsfunktion hinaus. Von allen Kulturwerten ist sie der fundamentalste und umfassendste, sie vereinigt Sinnlichkeit, Gefühlsvermögen und Verstand. Versuche, sie künstlich zum Funktionsbündel partieller Interessen wie der Genderpolitik zu modeln, provozieren zum Glück immer noch heftige Gegenkräfte. Die Liturgie von Gerechtigkeit, die zur Legitimation selbst der schlimmsten Narreteien regelmäßig angestimmt wird, soll unseren Protest denunzieren und ist doch bloß beschränkte Selbstgerechtigkeit.

Zur Person

Gert Ueding ist Rhetorikprofessor in Tübingen und unterschrieb den Aufruf „Schluss mit dem Gender-Unfug!“

Wandel Als der US-Amerikaner Mark Twain 1880 seinen Text „The Awful German Language“ verfasste, erwähnte er beispielhaft DAS Mädchen, aber DIE Rübe – warum sei die eine sächlich, warum das andere weiblich? Es sei vieles schrecklich unlogisch. Nun wurden in den letzten Jahren Vorschläge gemacht, vom Binnen-I, über Trans* bis zum Unterstrich_. Nicht etwa, um die totale Logik herzustellen, sondern um Diskussionen über die Aus- und Einschlüsse von Sprache zu öffnen. Die Gegner solcher Vorschläge sind schwer empört, pochen auf Tradition und wähnen sich als verfolgte Opfer von PC-Fanatikern. Sie sammeln Unterschriften gegen Sterne***** und Binnen_Is. Tatsächlich finden sich unter ihnen türkischstämmige Katzenkrimiautoren mit Pegida-Neigung, ein ex-Grüner, der Bernd Höcke und Alexander Gauland publiziert, evangelikale Homo-Expertinnen wie Frau Kelle, islamophobe Scheinkabarettisten und viele ganz normale Menschen, die endlich auch mal Opfer sein wollen. Als ich 2001 eine Gastprofessur für experimentelle Plastik an der HfBK Hamburg innehatte, bot ich Studierenden im Vorlesungsverzeichnis „Elfenkunde“ an. Ich hatte Glück. Immerhin war Barnabas Schill damals Hamburger Innensenator und damit mein offizieller Arbeitgeber. Heute lebt „Richter Gnadenlos“ in einer Favela in Rio de Janeiro mit Blick aufs Meer, hat sich die Kopfhaare von hinten nach vorne verpflanzen lassen und die Tränensäcke wegoperiert. Also, keine Angst vor Veränderung!

Zur Person

Wolfgang Müller ist Künstler, Musiker (Die tödliche Doris) und Autor. 2018 erschien von ihm im Verbrecher Verlag der Band Aus Liebe zur Kunst, der auch einige seiner Texte aus dem Freitag enthält

AbschiedGewohnheit macht den Fehler schön, den wir von Jugend auf gesehn“, wusste schon der Dichter und Moralphilosoph Christian Fürchtegott Gellert. Und das sogenannte „generische“ Maskulinum (also die Gewohnheit, abstrakte oder geschlechtlich gemischte Gruppen in der maskulinen Form anzusprechen) ist so ein Fehler. Das generische Maskulinum mag uns „schöner“ erscheinen als Beidnennung, Partizipien, Gendersternchen und andere Formen geschlechtergerechter Sprache, aber zwanzig Jahre psychologischer Forschung zeigen, dass es eben vorrangig auf Männer bezogen wird und alle anderen nicht „mitmeint“, sondern mental unsichtbar macht. In einer Gesellschaft, in der wir allen Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht den gleichen Wert zugestehen, ist es schlicht falsch, nur eines dieser Geschlechter sprachlich darzustellen. Wir müssen uns also von der scheinbar schönen Gewohnheit verabschieden. Und wenn uns die vorhandenen Alternativen nicht gefallen, müssen wir eben bessere finden.

Zur Person

Anatol Stefanowitsch ist Sprachwissenschaftler, zuletzt erschien von ihm Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen (Duden-Verlag 2018)

Regulierung Als deutschreibender Franzose gönne ich mir gelegentliche Gallizismen oder landesuntypische Wendungen. Darum ist mir das Reinheitsgebot des VDS fremd. Ebenso jedoch die gendergerechte Sprache. Hier geht es nicht um die spontane Evolution der Redensarten, sondern umgekehrt darum, sie mit Regeln zu fixieren. Um ein Bild des Heraklit zu bemühen: Normativität mit einer Norm zu bekämpfen ist wie in Hundekot zu treten und sich danach die Füße mit Scheiße waschen. Ich muss nicht permanent unter Beweis stellen, dass ich weder Sexist noch Homophob bin. Die Sternchen sind nicht nur unästhetisch und unaussprechbar, sie sind vor allem unnutz. Wer die Sprache verändert, verändert nicht die Welt. Der Sieg der Schokoküsse hat nicht weniger Rassisten hervorgebracht, nur mehr Hypokriten. Bin ich deswegen Opfer der Genderdiktatur? Nein. Das Phänomen betrifft nur eine beschauliche Minderheit von Linksakademikern, die sich dadurch von der Restgesellschaft noch mehr abkapseln. Manchmal geben sie mir zu verstehen, mein Gebrauch des generischen Maskulinums mache mich suspekt. Aber ich habe mich immer geweigert, zwischen Hitler und Stalin zu wählen.

Zur Person

Guillaume Paoli war Hausphilosoph des Leipziger Theaters. Zuletzt erschien von ihm Die lange Nacht der Metamorphose: Über die Gentrifizierung der Kultur (Matthes & Seitz 2017)

Gefühle Der SS-Offizier Karl Jäger führte Buch über seine Opfer: Am 25. November 1941 waren es 1159 ›Juden‹, 1600 ›Jüdinnen‹ und 175 ›Judenkinder‹. Unter den Ermordeten waren wohl die junge Münchner Künstlerin Maria Luiko, ihre Schwester und ihre Mutter. Das Böse hat in jeder Sprachform Platz, und wer die Sprache in noch so guter Absicht verändert, macht die Welt nicht besser. Die Studierendenvertretenden vertreten die Studenten nicht anders, wenn sie so heissen, es kommt auf die Person an.

Auch der Lyriker Reiner Kunze hat das Manifest ›Schluss mit dem Gender-Unfug‹ unterzeichnet. Er hat schon gegen die Befehle der Rechtschreibreformer Stellung bezogen: »Als wir noch in der DDR lebten, sagte mir der leitende Offizier eines Volkspolizeikreisamtes, was in diesem Staat wie einzuschätzen sei, bestimme einzig und allein die in ihm herrschende Arbeiter- und Bauernmacht, und meine rhetorische Entgegnung, ich hätte bisher geglaubt, Teil dieser Arbeiter- und Bauernmacht zu sein, konterte er mit den Worten: ›Auch wer Sie sind, bestimmen nicht Sie, sondern wir.‹ Es gibt Sätze, die im Ohr wachliegen.« (Die Aura der Wörter)

Amt und Behörde neigen dazu, die Dinge auf die Spitze zu treiben. Ein altes Sprichwort sagt, dass das Recht in seiner übergenauen Auslegung zum Unrecht wird (summum ius, summa iniuria). Das an sich richtige Anliegen, beim Sprechen und Schreiben möglichst allen Menschen gerecht zu werden – übergibt man es dem Büro, so ist das Ergebnis ein Regelwerk mit harten Paragraphen, und jeder Satz, der durch diese Maschine gejagt wird, erhält eine Form, die man nur im Kopfstand lesen kann und vorlesen gar nicht.

Gut aufgehoben ist das Anliegen bei Verlagen und Zeitungen. Deren Autoren, Sprachkönner, nicht Spintisierer, sollen tun, was ihnen einleuchtet; die Verkaufszahlen melden zurück, ob die Richtung stimmt. Übergriffige Sprachregelungen haben ihren Platz in Diktaturen, zur Freude aller kleinen und grossen Diktatorinnen und Diktatoren.

Meine "hohe Emotionalität" wohnt Tür an Tür mit der Freiheit der Sprache.

Zur Person

Stefan Stirnemann ist Gymnasiallehrer, Autor und Mitglied der Arbeitsgruppe der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK). Für die Andere Bibliothek schrieb er das Vorwort zu Eduard Engel, Deutsche Stilkunst und Apuleius, Der Goldne Esel.

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