Die technologische und gesellschaftliche Entwicklung ist so rasant, dass sogar die neunziger Jahre wie eine untergegangene Epoche wirken. Je schneller sich die Novellen der Realwelt aneinanderreihen, je kürzer die Abstände zwischen den „unerhörten Begebenheiten“ werden, desto faszinierter scheint das Kino von der extremen Verlangsamung blitzschneller Abläufe. Seit den Matrix-Filmen kommt kaum noch ein Actionfilm ohne isolierte Hyperverlangsamung aus. Beliebtestes Sujet dieses Manierismus ist das in extremer Zeitlupe sich durch die Luftmassen hindurchpflügende Projektil. So eine Kugel fliegt auch in der BBC-Serie Ashes to Ashes, deren erste Staffel nun in deutscher Fassung auf DVD vorliegt, leitmotivisch in regelmäßigen Abständen auf das Publikum zu. Sie gilt jedoch einer Polizeipsychologin, die sich dann „eine Sekunde vom Leben oder eine Sekunde vom Tod entfernt“ sieht – in jenem Zustand also, in dem wir uns beim Fernsehen grundsätzlich befinden.
In diesem Limbus erwacht unsere Heldin nun in den frühen achtziger Jahren wieder, und so bekommt die fabelhafte Serie Life on Mars, in der es einen Polizisten in die siebziger Jahre verschlägt, ihren unwürdigen Nachfolger. Über acht Folgen versucht die gebeutelte Polizistin, wieder ins gegenwärtige Leben und zu ihrer Tochter zu gelangen, möchte ihre durch ein Bombenattentat ermordeten Eltern retten und hilft in jeder Episode auch noch mit, einen abgeschlossenen Fall zu lösen. Eigentlich ist alles da: Der „Need“ der Heldin, ihr Grundtrauma und ihre Reise zur Lösung. Und doch wirkt es, für eine BBC-Serie eher ungewöhnlich, unbeholfen.
Ohne Twains Pfiffigkeit
Der fadenscheinige Handlungsbogen macht immer wieder die Absicht der Autoren sichtbar, „ihre“ Zeit, die achtziger Jahre also, abzufeiern. So werden denn geradezu wehmütig Zeitgeist und gesellschaftliche Kämpfe jener Epoche beschworen. Der Thatcherismus entfaltet seine zerstörerische Kraft, die Heldin darf von den Kerlen noch ungestraft „Schampusschlüpfer“ genannt werden, und wir lernen die stilistischen role models von Lady Gaga kennen.
Wenn Mark Twain mit seiner Satire Ein Yankee am Hofe von König Artus diesen Motiv aufgreift, um seinen Zeitgenossen vorzuführen, dass das Mittelalter keineswegs die bessere Welt war, die man gerne in es hineinprojizierte, geht Ashes to Ashes den umgekehrten Weg; allerdings ohne Twains Pfiffigkeit. Mit einer packenderen Geschichte und etwas mehr Humor wäre diesem durchaus ehrenvollen Anliegen wahrscheinlich besser gedient gewesen. In Zeiten, in denen die Digitalisierung überall eine Gleichzeitigkeit von allem suggeriert, wirkt so eine Zeitreisegeschichte auf rührende Weise antiquiert, vor allem wenn sie in eine Vergangenheit führt, an die sich die Adressaten noch erinnern können. Aber außer einer gewissen Zeitgeist-Folklore bringt dieser Angriff der Vergangenheit auf die Gegenwart leider nicht viel. Nein, den großen Roman, den moderne TV-Serien wie The Wire oder – als eine der ersten – Twin Peaks aufblättern, kann Ashes to Ashes nicht erzählen. Hier handelt es sich eher um eine Räuberpistole in Taschenbuchformat, die man am Bahnhofskiosk aus dem Ständer nimmt. Kein unsympathischer Vergleich und einigen TV-Serien womöglich angemessener.
Ashes to Ashes Zurück in die 80er Die komplette Staffel 1, 3 DVDs, Polyband Toppic Video/WVG 2011, 24,99 .
Marc Ottiker wird bei Gelegenheit wieder den Romanwert einer TV-Serie ermitteln
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