Flankierende Maßnahmen erforderlich

ERZIEHUNGSGELD Carola Schewe, Vorsitzende des Verbandes Alleinerziehender Mütter und Väter, über die Neuregelung des Erziehungsgeldes

FREITAG: Gerade hat das Kabinett die Neuregelung des Erziehungsgeldgesetzes beschlossen. Sehen Sie darineine Verbesserung zur alten Regelung?

CAROLASCHEWE: Positiv sehen wir die Erweiterung der zugelassenen wöchentlichen Arbeitszeit auf 30 Stunden. Es ist ein wirklicher Anreiz für Mütter, erwerbstätig zu werden. Frauen bleiben dadurch länger im Beruf und sichern ihren Arbeitsplatz. Verbesserungen sind außerdem die Beendigung des Erziehungsurlaubes in Härtefällen und die Ausdehnung der Zeit, in der man den Erziehungsurlaub nehmen kann, nämlich bis zum achten Lebensjahr.

Die Budgetierung des Erziehungsgeldes ist im Prinzip sehr sinnreich. Man kann den Erziehungsurlaub verkürzen und dafür mehr Geld beziehen. Aber 900 Mark reichen nicht aus, Alleinerziehende werden nach wie vor auf Sozialhilfe angewiesen sein. Das heißt auch, dass Frauen keine Altersvorsorge treffen können. Sie müssen ja zum Beispiel Lebensversicherungen verkaufen, wenn sie Sozialhilfe beziehen wollen. Außerdem wurde am Kündigungsschutz nichts verändert. Viele Frauen, besonders wenn sie in Kleinbetrieben beschäftigt sind, müssen im Erziehungsurlaub um ihren Arbeitsplatz fürchten. Und sie haben noch immer kein Recht darauf, an der gleichen Stelle wieder eingesetzt zu werden.

Das ist an den Erfordernissen der Firmen ausgerichtet.

Natürlich. Man hätte den Konflikt mit den Firmen riskieren müssen. Eine Lösung wäre auch gewesen, Kleinbetrieben, die darauf angewiesen sind, Geld aus einem Erziehungsfonds zu zahlen. Dazu hätten natürlich Mittel bereit gestellt werden müssen, und da fehlt es offensichtlich an politischem Willen.

Wie sähe denn eine Regelung aus, die den Erfordernissen von Müttern, insbesondere alleinerziehender, gerecht wird?

Wir wollen eine steuerfinanzierte und rentenwirksame Lohnersatzleistung für einen Zeitraum von etwa zwölf Monaten. Das würde unserer Meinung nach ausreichen.

Gibt es noch weitere Maßnahmen, die Ihr Verband vorschlägt?

Ausschlaggebend für erwerbstätige Eltern ist immer die Dauer und Erreichbarkeit der Kinderbetreuung. Und das darf wenig oder gar nichts kosten. Da fehlt es ja in Deutschland überall. Wir wollen, dass es für Kinder von bis zu 16 Jahren altersangemessene, pädagogisch qualifizierte und den Bedürfnissen der Eltern und Kinder entsprechende Ganz-Tages-Betreuungsangebote gibt. Die Mittel hierfür müsste der Bund bereitstellen.

Was wird ihr nächster Schritt sein?

Es geht um einen Zusammenschluss aller Interessierten, vor allem der Frauenverbände. Ich sehe gute Chancen, dass sie sich in den nächsten Jahren zusammenfinden, speziell mit der Forderung, die Schulkindbetreuung zu verbessern. Das gesellschaftliche Bewusstsein für außerfamiliäre Betreuung ist gewachsen. Vor allem der Ruf nach Schulkindbetreuung am Nachmittag wird stärker. Die Familien dürfen nicht allein gelassen werden mit den Erziehungsanforderungen, zum Beispiel in Bezug auf Medienkonsum, auf Gewalt, Jugendgruppen, Gangs.

Was müsste geschehen, damit der Staat reagiert?

Wenn die Zahl der Kinder noch weiter zurückgeht, dann müssen irgendwann kinderfreundlichere Bedingungen geschaffen werden. Das ist eine klassische Frage von BürgerInnen-Engagement. Die außerparlamentarischen Gruppen müssen sich einig werden und ihre Forderungen bündeln. Sie überwinden langsam die Lähmungen, mit denen sie unter der Kohl-Regierung zu kämpfen hatten.

Wird die Änderung des Erziehungsgeldgesetzes nicht zu neuen Lähmungen führen?

Nein. Ich kenne niemanden, der mit dieser Änderung wirklich zufrieden ist. Die Familienverbände ärgern sich vor allem darüber, dass die Einkommensgrenzen nicht genügend angehoben wurden, die Frauenverbände sagen nach wie vor, wir dürfen die Frauen nicht aus dem Beruf rausbringen. Der Erziehungsurlaub muss pflichtgemäß zwischen Vater und Mutter geteilt werden. Alle sagen, es ist akzeptabel, was Familienministerin Bergmann macht, aber es reicht nicht aus. Niemand wird sich damit zufrieden geben.

Das Gespräch führte Anna Lehmann

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