Arbeit Genauso wie Gier frisst Selbstüberschätzung das Hirn der Menschen. Der Fachkräftemangel lässt Arbeitnehmer zuhauf glauben, sie seien das Zünglein an der Waage und könnten nun endlich mal ein wenig hebeln: Vertrauensarbeitszeit, Home Office, Coffee for free, freie Auswahl an Mobile Devices. „Ich weiß, was ich wert bin“, sagte eine Frau Letztens zu ihrer Freundin neben mir im Café und meinte damit ihre Karrierechancen. Man glaubt gar nicht, wie leicht Menschen zu verführen sind.
Die Bedingungen, die sie vermeintlich ausgehandelt hat, sind nur ein Bild des Zeitgeistes (Generation ➝ Y)und kein Zeichen für Verhandlungsgeschick. Ältere Generationen kämpften für mehr Lohn, jüngere wollen scheinbare An
en kämpften für mehr Lohn, jüngere wollen scheinbare Annehmlichkeiten. Was die noch weniger merken: Sie helfen der immer schärfer voranschreitenden Diffusion von Arbeit ins Privatleben. Denn eins steht im (Spät-)Kapitalismus fester als Statuen von Marx: Nichts ist ohne Preis. Jan C. BehmannBBoomer Der neuseeländische Politiker Todd Mueller dürfte verblüfft gewesen sein, als die Grünen-Abgeordnete Chlöe Swarbrick seinen Zwischenruf mit der Floskel „Ok Boomer“ quittierte. Der Ausdruck ist seit Anfang Oktober zum Netzphänomen avanciert und wird in der Regel von Altersgenossen der sogenannten Generationen ➝ Y und jünger genutzt, um die sogenannten Babyboomer (in Deutschland die Jahrgänge zwischen 1950 und 1960) abzukanzeln. Beispielkonversation: „Als ich so alt war wie du, habe ich mein Studium noch mit Arbeit finanziert.“ – „Ok Boomer.“ Der Spruch terminiert das Gespräch. Dem „Boomer“ wird der Erfahrungshorizont des später Geborenen abgesprochen. Zu seiner Zeit war Wohlstand angesagt, ein Studentenjob reichte, um eine Innenstadtmiete zahlen zu können. Davon träumen viele Millennials. Konstantin NowotnyKKonsum anzukurbeln – das ist in Zeiten des Warenüberflusses gar nicht so einfach. Vielleicht ist das ja der Grund dafür, dass jede kleine Änderung der Eigenschaften von Produkten gleich mit dem Label „Generation“ versehen wird. Das soll den Reiz des noch nie Dagewesenen schaffen, zwischen Tradition und Innovation mäandern. Manchmal hat das komische Seiten: So bezeichnet „Generation YES“ eine neue Reihe maschineller Küchenhelfer, etwa Gemüseschneider oder Rührmaschinen, die nett aussehen. Das wirft die Frage auf, ob die alte Rührmaschine als „Generation NO“ ihren Dienst gar nicht getan hat.Kryptisch kommt die Bezeichnung „Seventh Generation“ des Wegs. Sie bezeichnet Reinigungsmittel, deren Umweltwirkung für die nächsten sieben Generationen berechnet wurde. Das klingt biblisch, erinnert an die Sieben Brücken von Karat. Sieben Generationen dürfen ohne Schaden putzen. Für die reale Seniorengeneration, die ein bisschen bewegungseingeschränkt ist, hört sich „Generation Bandagen und Orthesen“ tröstlich an. Jeder Generation ihre Waren, Kapitalismus ist so menschlich. Magda Geisler NNoitareneg Wenn mich ein Begriff extrem langweilt, fange ich an, mit ihm zu spielen. Zum Beispiel lese ich ihn rückwärts und hoffe, dass ein Funke aus den Buchstaben schlägt. Noitareneg red Re86, das ist nicht weit bis zu den seltsamen Nrednikednew, von denen man so viel liest; bis zur Noitareneg Aterg, und immer wieder: Noitareneg Flog, Noitareneg Flog 2. Noitareneg flog und flog, ach, die Generation Golf hat so viele Überflieger hervorgebracht. Genug, ein weiteres Buch kann man aus dieser Generationsverdrehungschose nicht machen. Und eine Generation existiert zweifelsfrei nur, damit jemand über sie so schreibt, dass sie sich darin wiedererkennen kann, verstanden, Du Dniknenoz? Michael AngeleOOst Als Wendekinder fühlten sie sich nicht repräsentiert, also stilisierten sie sich im Alleinvertreterstatus zur 3. Generation Ost (➝ Noitareneg). Vor sieben Jahren erschien gleichnamiges Buch, in dem die Autoren die DDR-Jahrgänge 1975 bis 1985 als Schicksalsgemeinschaft zusammenfassten. Aufgrund der Umbruchserfahrung seien sie Gestaltergeneration, pragmatisch und engagiert. Das mag auf die Karrieristen zutreffen, die sich in Buchform äußern können. Aber aus ihnen bessere Menschen mit besonderem Sinn für Toleranz zu machen? Folgerichtig zählen sie den NSU nicht zur 3. Generation – der sei nicht tolerant gewesen. So weit der Zirkelschluss. Tobias PrüwerPPrekariat Wer nach 2008 einen Uniabschluss gemacht hat, verdient weniger als alle, die vor der Krise fertig wurden. Millennials (Generation ➝ Y) sind damit die Ersten seit über hundert Jahren, die weniger Geld haben als ihre Eltern. Zudem stecken viele in einer befristeten Stelle fest – drei Mal mehr als vor zwanzig Jahren.Zwischen 9/11 und Bankenkrise groß geworden, kennt diese „Generation prekär“ das Wohlstandsversprechen nicht. Für sie war schon immer Krise. Sie ist stagnierende Löhne, steigende Preise und unsichere Altersvorsorge gewohnt. Kein Wunder, dass die lebensweltliche Unsicherheit mit der Verlässlichkeit der bürgerlichen Ästhetik übertüncht wird: Neo-Spießertum heißt das, wenn hippe Cafés aussehen wie Omas Küche. Vielleicht ist diese Generation aber auch empfänglicher für linke Forderungen: Junge Menschen in Deutschland bewerten sozialistische Ideen besser als ältere, wie eine Umfrage ergab. Immerhin. Anina RitscherSSoziologie Der wissenschaftliche Vater des Generationenbegriffs konnte nicht ahnen, welches Schindluder mit seinem Terminus getrieben werden würde. Karl Mannheim (1893 – 1947) war der Soziologe, der den Generationenbegriff reformierte. Nicht mehr länger sollte das Wort eine recht willkürliche Spanne an Geburtsjahrgängen abdecken, die „Partizipation an gemeinsamen Schicksalen“ muss gegeben sein. Eine verbindende, qualitative Erfahrung müssen die Generationsgenossen gemacht haben, damit man von ihnen als solchen sprechen kann.Während der Begriff für die ➝ Verlorene Generation angebracht ist, teilen die Angehörigen der vermeintlichen Generationen ➝ Y oder ➝ Z wenig. Sie sind Konstruktionen von Marketingfachleuten und Personalabteilungen und meinen ein bestimmtes Milieu. Millennials sagt man Unentschlossenheit nach. De facto ist ein kleiner Ausschnitt der Alterskohorte gemeint, der sich seinen Platz im ➝ Prekariat nicht unbedingt ausgesucht hat. Konstantin NowotnyTTempo Sind die sich überschlagenden Generationszuordnungen ein Zeichen des Niedergangs der Geistes- und Sozialwissenschaften? Vulgär-Soziologie ersetzt die Analyse aus der empirischen Betrachtung und öffnet damit dem Ressentiment Tür und Tor. Die Instant-Mustererkennung lässt Generationen übereinanderpurzeln. Alle drei Jahre schält sich ein neuer Gesellschaftsstamm aus dem Humus noch namenloser Lebensbestrebung. Wo früher X oder Golf einen messbaren Lebensabschnitt ausfüllten, etwa eine Dekade oder drei WM-Legislaturen, werden heute die „Smombies“ bald von den Gretas abgelöst. Atemlos wird von einer Identität zur nächsten gehechelt. Wir Alten verharren. Als Boomer finde ich das okay. Marc OttikerVVerloren „Ihr Tod ist niemand eine Zeile wert“, schrieb der Spiegel, als 2008, 107-jährig, der letzte überlebende Teilnehmer des Ersten Weltkriegs starb. Im Unterschied zu anderen Ländern werden Veteranen in Deutschland aus naheliegenden Gründen nicht zeremoniell gefeiert. Als verlorene Generation gelten aber auch jene, die den Weltkrieg als Jugendliche und junge Erwachsene miterlebten, wie der Held in Ernst Glaesers berühmtem und immer noch lesenswertem Roman Jahrgang 1902. Der Begriff geht zurück auf Gertrude Stein, die ihn gegenüber dem trinkfreudigen Ernest Hemingway gebrauchte, welcher die „lost generation“ in den Literaturolymp erhob. Zukünftige Schriftsteller werden wissen, welche Generation demnächst als verlorene erklärt werden muss. Ulrike BaureithelWWho, The Mehr als 50 Jahre hat My Generation von The Who auf dem rebellischen Buckel. Erschienen als Single in England 1965, ist das von Pete Townshend geschriebene Stück zur Hymne geworden. „Things they do look awful c-c-cold / I hope I die before I get old“, das war Proto-Punk, ein zwölf Jahre verfrühtes „No Future!“. Sänger Roger Daltrey brauchte drei Minuten und 19 Sekunden, um die Wut seiner Generation, aber auch ihre Unsicherheit hinauszustottern – ein Kunstgriff, der auf Manager Kit Lambert zurückgeht. Er meinte, die Band solle klingen wie ein „britischer Jugendlicher auf Speed“. Das Stück endet legendär: Das Gitarren-Feedback-Inferno Townshends war ein Novum. Marc PeschkeYGeneration Y Burn-out-Generation aka Millennials – Açaí Bowls, Matcha Latte und Acovado Smash, die Superfoods für die Hipster-Fraktion und deren Instagram-Foodblogs. Bitte einmal gesund, sportlich, populär, erfolgreich und schön sein und bloß nicht vergessen, es im Netz zu teilen – aber hey, no pressure.Wenn man von Instagram und Facebook ausgeht, ist die Y-Generation die allerglücklichste. Ganz so rosig sieht es für die Millennials aber offenbar nicht aus. Die US-amerikanische Autorin Anne Helen Petersen beschrieb in einem Text für das Portal Buzzfeed Anfang des Jahres, wie Millennials vom Kindergartenalter an gelernt haben zu performen und dass sie es gewohnt sind, sich pausenlos selbst zu optimieren. Daher tun wir uns so schwer, Fehler zu machen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Depressionen, Angststörungen und allgemeine emotionale Erschöpfung plagen die Generation Burn-out, aber wenigstens rocken wir die Arbeitswelt. Fake it till you make it! Alanna O’RiordanZGeneration Z Geboren Anfang 1996, bin ich ein „Z“. Schwer fällt mir der Kontakt zu zwei Jahre Älteren, einer ganz anderen Generation. In der Antike schimpfte man, die Jugend habe schlechte Manieren, keinen Respekt vor Älteren und schwatze, statt zu arbeiten. Heute heißt es, der Nachwuchs hinge nur am Smartphone, sei weltoffen – aber unpolitisch. Munter spekuliert man über die Karrierewege schulpflichtiger „Z-Teens“: Sie suchten Sinn in der Arbeit – wo gibt’s denn so was? – und wechselten oft den Job. Doch Befristung (➝ Prekariat) und Smartphonisierung erfassen die ganze Gesellschaft.Viele Jugendliche schließen sich der generationsübergreifenden Bewegung Extinction Rebellion an. Die verbreitet Endzeitstimmung. Verständlich: Wenn man den Teens schon den letzten Buchstaben des Alphabets zuordnet, was soll danach noch kommen? Ben Mendelson
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