Glückssongs von A–Z: Nichts tut so gut, wie Musik

Lexikon Es ist belegt, dass Musik im Gehirn Glücksgefühle auslösen kann. Aber Lieder können auch traurig sein, oft wecken sie Erinnerung: an Autofahrten, ans Meer, Frühstück am Sonntag. Klassische Komposition, French Pop oder das erste eigene Lied
Ausgabe 31/2023
Musik macht Spaß!
Musik macht Spaß!

Foto: Jörg Brüggemann/Ostkreuz

A

wie Alles auf dem Weg

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„Es ist okay, alles auf dem Weg“: So sang Herbert Grönemeyer 2002 im Refrain von Mensch. Das war nur vier Jahre, nachdem sein Bruder Wilhelm und seine Frau Anna beide innerhalb einer Woche an Krebs verstorben waren. Er hatte Anna 1978 bei Dreharbeiten kennengelernt. Zwölf Jahre später erkrankte sie. Grönemeyer suchte einen Therapeuten auf. Der erzählte ihm aber nur von den Tragödien seines eigenen Lebens. Also zurück zur Musik. Meine Eltern und ich haben den Song oft sonntagmorgens beim Frühstück gehört. Seine Bedeutung habe ich erst viele Jahre später verstanden. „Der Mensch heißt Mensch, weil er vergisst, weil er verdrängt“: Da steckt drin, dass es völlig in Ordnung ist, sich mit traumatischen Erfahrungen nicht tagein, tagaus zu beschäftigen. Alles andere überfordert das menschliche Gehirn. Manchmal, wenn ich → Traurig bin, lache ich besonders viel. Das ist der Grönemeyer-Effekt: Melancholie und Zuversicht gehen Hand in Hand. Und nach der Ebbe kommt die Flut. Dorian Baganz

B

wie Brahms

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Im größten Glück ist die vorher durchquerte Angst aufgehoben. So erzählt Ludwig Tieck von einem Grafen, der von seiner Geliebten, einer neapolitanischen Königstochter, durch fatale Zufälle getrennt wird, Sklave wird, sich befreit und sie wiederfindet (1797). Wenn Johannes Brahms das vertont (Die schöne Magelone, 1861 – 1869), macht er den Moment des Verlusts zum musikalischen Höhepunkt ( Alles auf dem Weg). Tiecks knappste Zweiheber, für sich schon ein Genuss – „Wie schnell verschwindet /so Licht als Glanz“ –, werden in der Klavierbegleitung zu einer Figur schweren Atmens, die den Komponisten dann nicht mehr loslässt. Man hört sie auch im Deutschen Requiem (1865 – 1868): „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“, am Anfang der 4. Sinfonie (1885), in den Sieben Fantasien (1892) und noch in den Vier ernsten Gesängen (1986). Michael Jäger

E

wie Easy Mobeasy

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Es gibt einen Song von Carsten Meyer alias Erobique, der davon erzählt, wie ein Mann nach einem Bühnenauftritt an einer Überdosis Freude kollabiert. Der Mann ist er selbst, aber die Erfahrung ist nicht exklusiv, das geht oft auch seinem Publikum so. Am gefährlichsten
ist der Song Easy Mobeasy, der von den Nervigkeiten des Lebens erzählt und sie in einem einfachen Refrain auflöst: „Aa-ah, ah-ah, it’s easy, it’s easy, it’s easy mobeasy“. Unklar, ob die Überdosis das Mitsingen auslöst oder die Housebeats aus Meyers Vintage-Keyboards oder sein Faible für Hits aller Art. „Hits fand ich schon immer spitzenmäßig“, sagte er, als ich ihn für den Freitag mal in seinem Studio zum Interview traf. Danach hörten wir noch Platten, und seither weiß ich nicht nur, dass Jay-Zs „It’s the hard knock life for us“ aus dem Musical Annie stammt, sondern kenne auch die deutschsprachige Version: „Dieses Dasein stinkt uns an.“ Seither hat auch dieses Lied seinen Platz auf meiner Liste der Songs, die Glücksgefühle auslösen. Christine Käppeler

H

wie Himmel/Hölle

Ich war Anfang 20, saß in meinem Zimmer in Berlin-Lichtenberg und wollte zurück nach Bergamo, wo ich gerade herkam. Ich nahm meine Gitarre, das tat ich öfter, wenn ich nachts nicht schlafen konnte, zupfte Lieder, das beruhigte. Dann nahm ich ein Blatt und schrieb: „Bin ich nun zum Glücklichoder Traurigsein geborn / Habe ich noch Träume, oder bin ich schon verlorn?“ Ein paar Akkorde dazu: C/am/dm/G. Auf dem Sofa schnurrte zufrieden die Katze. Ich dichtete also weiter: „Denke drüber nach, ob ich die Richtige für dich bin / Frage meine Katze, denn die freut sich, wenn ich sing.“ Liebe muss dramatisch sein, wenn’s nicht wehtut, ist es nicht echt, dachte ich damals. „Komm ich in den Himmel? Oder spielst du nur mit mir / Muss ich in die Hölle? Hab ich Glück, ich bin bei dir!“ Wenn ich das Lied spiele, melancholisch, leicht, bin ich bei mir. Maxi Leinkauf

M

wie Mix-Tape

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Schon der Tonträger schafft Verbindung, und Verbindung ist Glück. Wer heute noch sagen kann, was ein Mix-Tape ist, hat früher Mix-Tapes gehört und selbst welche aufgenommen. Gemeint sind diese Audio-Kassetten „zur elektromagnetischen, analogen Aufzeichnung und Wiedergabe von Tonsignalen“ (Wikipedia), im Format eines mittelgroßen Handys, vielleicht der Marke Maxell XL II-S 90, die es heute nur noch als Vintage gibt. Neulich schrieb mir meine alte, beste Freundin, dass sie vom Süden mit dem Auto zurück nach Hause fahren, mit dabei die alten Mix-Kassetten von G., seinerzeit Legende für den erlesensten Musikgeschmack im Umkreis. Wen G. sehr mochte, der kriegte ein Tape, das man dann auf langen Autofahrten rauf und runter hörte. Die Hülle, eng beschriftet, alles in Kleinbuchstaben, mit Tracks vielleicht aus dem Jahr 2000. Zum Beispiel 911 von Wyclef Jean feat. Mary J. Blige. Oh, I remember. Höre den Song jetzt via Streaming auf dem Handy. Werde ganz traurig vor Glück. Katharina Schmitz

R

wie Renaissance

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Der Refrain verspricht ekstatische Steigerung: „To see, to hear, to touch, to kiss, to die ... in sweetest sympathy“, geht’s noch krasser in der verschämten elisabethanischen Zeit? John Dowland hätte mit den seiner Laute entlockten bittersüßen Melodien so gern am englischen Hof gewirkt, allein, die Königin erhörte den virtuosen Renaissance-Musiker nicht. So trieb er durch ganz Europa und beglückte unter anderem mit Come again zahllose Herzen. Der Ende des 16. Jahrhunderts entstandene Song handelt von der Klage über eine verlorene Liebe und einem untröstlichen Lover, der stark genug ist, sich seinen Tränen zu stellen. Nicht nur Sting gibt sich dem melancholischen Sog des Arrangements (→ Traurig) hin, auch das Chorwerk ist beliebt. Wenn die Kreuzberger Chöre Con Forza und Echo 36 ihr alljährliches Sommerkonzert geben, ist der Ohrwurm die Zugabe. Ulrike Baureithel

S

wie Strand

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Es braucht fürs Glück nicht immer eine Küste, aber manchmal kann sie dabei schon helfen: „Das ist der Ort, an dem ich und meine Frau zu mir und meiner Frau wurden“, sagte der britische Sänger Chris Rea einmal über seinen Song On the Beach. Mitte der 1980er Jahre verbrachte der heute 72-Jährige offenbar eine gewisse Zeit auf der schönen spanischen Mittelmeerinsel Formentera – und verliebte sich nicht nur in deren weiße Sandstrände (→ Weezer). Entstanden ist eines der ikonischsten Riffs in der Popmusikgeschichte – leichtfüßig, lässig und mit sehr viel Wiedererkennungswert. On the Beach eignet sich nicht für jede Situation, ist nicht unbedingt ein tanzbarer Hit, zugegeben auch ein wenig kitschig. Aber an den paar Tagen im Jahr, an denen Durst und Hunger gestillt sind, die Temperatur nicht zu hoch, nicht zu niedrig ist und im Kalender keine oder nur schöne Termine stehen, da erinnert einen dieser Song daran: Meer und Strand, das ist auch ein bisschen Kopfsache – „Takes me back to the place that I know / On the beach“. Das Glücksgefühl ist dann nur noch reine Formalie. Konstantin Nowotny

T

wie Traurig

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Dialektiker wissen es genau: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Und: Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben. Anders gesagt: Am traurigsten Punkt erscheint das Morgenrot des Glücks, nicht im Sinne eines küchenpsychologischen Yin und Yang, sondern als dialektischer Umschlag. Zu verkopft? Kann man auch fühlen, indem man Gustav Mahler hört. Zum Beispiel das nur fragmentarisch überlieferte Klavierquartett in a-Moll. Elf Minuten Kammermusik, die so traurig macht, dass es beglückend ist. Den Zusammenhang von Katastrophe und Hoffnung versteht sogar die Kulturindustrie: Im Film Shutter Island erinnert sich der Protagonist (Leonardo DiCaprio) beim Klang des Quartetts an seinen Einsatz bei der Befreiung des KZ Dachau – jenen dunkelsten Moment, an dem dennoch die Hoffnung keimt. Leander F. Badura

W

wie Weezer

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Kaum eine Band hat für mich so viele Glückssongs geschrieben wie die amerikanische Band Weezer. Auch wenn auf jeden guten Weezer-Song zwei mittelmäßige und ein Lied zum Fremdschämen kommen – und vermutlich nie wieder ein Album so brillant sein wird wie Pinkerton (1996). Ein sommerlicher Glückssong ist das 2001 erschienene Island in the Sun, in dem Rivers Cuomo vom Durchbrennen zu einer Insel mit seiner Liebschaft träumt (→ Strand). Das von Spike Jonze gedrehte Musikvideo zeigt die Band im gleißenden Sonnenlicht, wie sie mit Löwenbaby, Bären, Affen, Kätzchen und Hundewelpen spielt und kuschelt. Eine bessere visuelle Übersetzung hätte es für diesen fluffigen Popsong in Brian-Wilson-Tradition nicht geben können. Ein Meta-Glückssong von 2021 ist All My Favorite Songs („are slow and sad“, singt Rivers weiter), erschienen auf OK Human. Die melancholischen Lyrics, gepaart mit der opulenten Orchester-Instrumentierung, erzählen von dem seltsamen Widerspruch, dass Trauriges glücklich machen kann oder man das liebt, was einem schadet. Susann Massute

Z

wie Zebda

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Es war für die Jugendliche im Zeltlager, 1999 an der französischen Atlantikküste, recht befremdlich, als sich die Menschen beim Erklingen eines bestimmten Liedes ihrer Oberbekleidung entledigten. In jeder Disco westlich des Rheins erklingt Tomber la chemise von Zebda. Doch auch wenn hier davon die Rede ist, das „Hemd fallen zu lassen“, und das heitere, Reggae-angehauchte Stück Glückshormone ausschüttet, ist es hochpolitisch: Es richtet sich an die „enfants de ma cité“, die Kinder der Vorstadt: von Beton und Wut zu dem gemacht, was sie sind. Zebda waren eher triste über das Schicksal ihrer glückstiftenden Hymne und fühlten sich missverstanden. Vielleicht gründeten sie deshalb wenig später das Musikkollektiv Motivés! und schrieben Lieder über Immigration, Rassismus und soziale Missstände. Die fehlen bis heute – zum Glück – bei keiner Demo. Romy Strassenburg

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