Gunst der Stunde

Treibjagd Israels Luftschlag gegen Syrien und die Feigheit der Europäer

Dass sie die Zeichen der Zeit nicht verstanden hätte, kann der israelischen Regierung niemand vorwerfen. Ariel Sharon gab im Mai zu verstehen, dass er die sogenannte Road Map mit sichtlichem Unbehagen schluckte, um George Bush nicht auflaufen zu lassen. Er konnte sich dabei mit der Gewissheit trösten, dem Präsidenten den Beweis nicht schuldig zu bleiben, dass dieser letzte Versuch, einen ruinierten Friedensprozess retten zu wollen, scheitern würde. Man brauchte nur die israelische "Mauer" weiter in palästinensisches Kernland hinein zu treiben, die Siedlungen zu halten und die israelische Armee als Todesschwadron gegen Palästinenser einzusetzen. Man musste einfach den Kessel so unter Druck setzen, dass seine Explosion gesichert war - den Rest erledigten Hamas und Islamischer Dschihad.

Warum auch sollte ein Kabinett unter Ariel Sharon anders verfahren und die amerikanische Militärpräsenz in der Region nicht als einen strategischen Vorteil begreifen, wie es ihn seit Gründung des Staates Israel noch nie gab? Weshalb sollte Israel irgendwann einen wie auch immer zugeschnittenen palästinensischen Rumpfstaat dulden, wenn es mit einem Protektorat im Westjordanland und Gaza-Streifen auch getan ist? Damit lässt sich zwar kein Friedensprozess beleben, aber Politik auf der Höhe von Realitäten betreiben, die Kriegsverbrechen und sonstigen Rechtsbrüchen zu verdanken sind. Denn für Ariel Sharon ist die Lage im Irak ein Wink des Schicksals, das gnädiger nicht sein kann. Was dort für die US-Armee erlaubt ist, kann für die israelische in Palästina nicht verboten sein. Und überhaupt - je schwerer sich die Amerikaner mit ihrer Eroberung tun, desto unverzichtbarer wird der jederzeit verlässliche, der jedem arabischen Staat gewachsene, der einzige strategische Alliierte im Nahen Osten. Wann je wird die Stunde günstiger sein, die von Bush angekündigte Neuordnung der Region in die Israel genehmen Bahnen zu lenken und nicht nur den palästinensischen Staatswillen zu brechen, sondern auch den letzten Feindstaat zu neutralisieren?

Syriens Präsident Bashar al-Asad mag sich nach dem israelischen Luftangriff vom 5. Oktober noch soviel Solidaritätsbotschaften aus der arabischen Familie abholen, sollte er sich entschließen, militärisch zu parieren, wäre er isolierter denn je. Von den USA als "Schurkenstaat" denunziert, von den Israelis als Angriffsziel wiederentdeckt und von beiden aus Nahdistanz - die Amerikaner stehen im Irak immerhin an Syriens Grenze - unter Druck gesetzt, bleibt Damaskus genau genommen nur ein Ausweg: ein möglichst ehrenvolles Arrangement mit den Israelis, das nicht im Geruch der Unterwerfung steht. Diese Einsicht bei Präsident al-Asad zu beschleunigen, dürfte das entscheidende Motiv des Luftschlages vom Sonntag gewesen sein. Allerdings wird der syrische Gegner nur dann auf Dauer zu domestizieren sein, wenn per "Friedensvertrag" mit Israel die bereits vollzogene Annexion der Golan-Höhen besiegelt ist. Theoretisch kann kein Präsident in Damaskus eine solche Kapitulationsurkunde unterschreiben - praktisch kann den jetzigen nichts daran hindern, sich dank des israelischen Angriffs eine Vorstellung davon zu verschaffen, wie ernst die von Präsident Bush sofort nach dem Irak-Krieg gegen Damaskus ausgesprochenen Drohungen gemeint waren - und wer sich zum Vollstrecker berufen fühlt. Massenvernichtungswaffen lassen sich al-Asad nicht anhängen, folglich liefert der übliche Sermon von der Verschwisterung mit dem internationalen Terror die Begründung, dass präventiv gehandelt werden müsse. Syriens Staatschef weiß, wie er sich von diesem Vorwurf - siehe oben - entlasten könnte.

Klingt es überzogen, von einer Treibjagd zu sprechen, die da vor aller Augen auf Völker, Staaten und das internationale Recht veranstaltet wird? Sollte die EU als einer der internationalen Paten der Road Map nicht spätestens jetzt wenigstens einen Aufschrei der Empörung zustande bringen? Warum bekennt sich der deutsche Kanzler unablässig zu einer internationalen Rechtsordnung und scheut sich dann, den israelischen Angriff als Aggression zu verurteilen? Es dürfte auf die Dauer sinnlos sein, geltendes Völkerrecht verteidigen zu wollen und gleichzeitig dessen Zerstörung zu tolerieren.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden