Hang zum Drama

Leseprobe In ihrem furiosen Debüt „Couscous mit Zimt“ verhandelt Freitag-Redakteurin Elsa Koester Identität, Heimat und Frausein
Ausgabe 35/2020

Ich habe Gott nie um Kinder gebeten. Es gibt so viele Frauen, mondieu, die Araberinnen machen richtige Hexentänze deshalb, knien nieder und flehen Allah an, er möge sie mit Kindern segnen. Segnen! Ich habe nie verstanden, was daran ein Segen sein soll. Erst bereiten sie dir Übelkeit, du kotzt dir die Seele aus dem Leib, dann tun dir alle Knochen weh und der Schweiß rinnt dir vor Anstrengung den Rücken hinunter. Kein Mann guckt dich mehr an, schon von Weitem sehen sie, wie dein Bauch, deine Hormone, deine monströsen Brüste deine Schönheit zerstört haben. Bei der Geburt reißen sie dir dann die Muschi auf, und wenn du denkst, die Qual sei endlich vorbei, endlich das Balg raus aus deinem Bauch, wird es dir auf die Brust gelegt, wo ihm dann nichts anderes einfällt, als dich anzuschreien, knallrot in seinem hässlichen, zerknautschten, verklebten Gesicht, brüllt es dich an, und alle schauen blöde, oh, wie niedlich, oh làlà, dieses niedliche kleine Wesen, Putain, nehmt es weg!, habe ich gerufen, nehmt es weg, ich bin es doch gerade erst losgeworden.

Von wegen! Dann hängen sie monatelang an deiner Brust, als wären sie eigens dazu da, dir deinen Körper wegzunehmen. Du musst sie weiter mit dir rumschleppen, weil sie sich sonst gar nicht einkriegen vor Schreien, und das ist ein Gebrüll, so was hat man noch nicht gehört, etwas Lauteres habe ich überhaupt noch nie gehört. Sie sabbern und scheißen und machen Pipi, und von dir wird verlangt, dass du glücklich damit bist, diesen Schleim andauernd wegzuwischen, den ganzen Tag, du stopfst ihn ja auch immer wieder von oben in sie rein, und dann wischst du ihn weg, du kommst zu nichts anderem mehr, Schleim in allen Farben. Dann beruhigt sich die Lage, nach ungefähr einem Jahr geht es. Sie können sogar manchmal ganz niedlich sein, wie sie herumglucksen, aber das Schreien und das Gezeter, das geht leider nie weg. Und wenn sich mal eines beruhigt hat, bist du gleich wieder am Kotzen, weil schon das nächste unterwegs ist.

Paar Jahre Spaß, dann Staub

Bah non, ich wollte endlich ein bisschen was haben vom Leben! Ich wollte mich amüsieren, ich war jung, mondieu, ich wollte ins Kino und schick dinieren und lesen und mir ein schönes Leben machen, zwei Söhne, das reicht doch wohl! Aber nein, Marie hat sich an meiner Gebärmutter festgebissen, gleich von Anfang an, dagegen konnte selbst die stärkste Hexe nichts tun, so blieb sie eigentlich ihr Leben lang, sie biss sich fest und ließ nicht mehr los.

Elsa Koester wurde 1984 in Berlin geboren und wuchs in Freiburg und Wilhelmshaven auf. Sie studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Soziologie in Berlin, seit 2018 ist sie Redakteurin des Freitag . Couscous mit Zimt ist ihr Debütroman

Sie war krank, meine Marie, sie muss wohl schon krank auf die Welt gekommen sein, sie war schon immer ein komplizierter Charakter, unselbstständig, eitel, rasend, wenn sich nicht alles um sie drehte. Und nie hat sie gelernt, mich in Ruhe zu lassen. Die Jungs, die waren einfacher. Schon früh standen sie auf eigenen Beinen, nur deshalb habe ich sie bei ihrem Vater in der tunesischen Wüste gelassen, sie kamen zurecht, sonst wäre ich doch nie weggegangen mit Claude. Ja, die beiden Jungs lieben ihre Mutter, sie waren mir nie böse deswegen, sie sind oft zu uns gekommen, auf unseren Hof, sogar in unsere kleine Wohnung nach Tunis habe ich sie mitgenommen, ich habe sie nicht verlassen. Bis zu meinem Tod waren sie voller Dankbarkeit für alles, was sie von mir bekommen haben, sie besuchten mich hier in der Rue de Flandre, sie sorgten für mich, sie waren sogar etwas zu oft hier. Ich hätte wirklich ein bisschen mehr Ruhe gebrauchen können in meinen letzten Jahren, nur ein bisschen Ruhe, mehr wollte ich doch nie vom Leben, und meinen Spaß natürlich, wozu kommt man denn sonst auf die Welt? Ein paar Jahre, um Spaß zu haben, dann wird man wieder zu Staub, man sollte keinen so großen Wirbel darum machen.

Vier Kinder habe ich großgezogen, und trotzdem habe ich meinen Weg gefunden, von der Tochter eines ausgewanderten Postboten zu einer Grundbesitzerin nahe Tunis, das kann sich doch sehen lassen. In guter Gesellschaft haben wir diniert, wir waren bei den Baliers zu Gast, die haben in Tunis direkt für die französische Verwaltung gearbeitet, ganz direkt. Ich habe für ein gutes Umfeld gesorgt, aber meine Töchter wussten nie zu schätzen, was ich ihnen geboten habe, leicht war das nicht, nach der Rückkehr, ihnen einen guten Lebensstandard zu bieten in Frankreich. Sie waren verwöhnt, ja, das kann ich mir schon vorwerfen, ein bisschen verwöhnt habe ich sie, Marie und Solange. Ich habe alles von ihnen weggehalten, erst den Tod ihres Vaters, dann die Ängste in Tunesien , als der Algerienkrieg näher kam, und Bizerte, nach Bizerte mussten wir einfach gehen, wir hatten keine Wahl mehr. Ich habe alles für sie organisiert, den ganzen Umzug nach Frankreich, ich habe sie zu meiner Schwester gebracht und sie hatten eine schöne Kindheit in Selles-sur-Cher, während ich mich um alles kümmerte, ich habe unseren Haushalt nach Frankreich geholt, ich habe uns eine Wohnung in Châteauroux gesucht, ich habe Marie erst auf die katholische Mädchenschule nach Tunis und dann fürs Abitur nach Paris gebracht. Und ihren Freund, ihren kleinen Freund habe ich mit offenen Armen empfangen, diesen Alain, ich konnte gut verstehen, was sie an ihm fand, ja, Geschmack hatte sie! Er hatte etwas Verwegenes mit seiner Lederjacke, ein bisschen wie Alain Delon, der Schauspieler, er war hübsch anzusehen. Sie hatte eine offene und moderne Mutter, meine Marie, da kann sie sich nicht beschweren.

Und als sie sich schwängern ließ mit ihren zwanzig Jahren! Natürlich, da habe ich alles drangesetzt, um ihr mein Schicksal zu ersparen. Die kleine Marie war ganz durcheinander, als sie zu mir kam, aber ich wusste, was zu tun ist, ich habe ihr da rausgeholfen, im Gegensatz zu mir hatte sie eine Mutter, die an ihrer Seite stand, ich musste da ganz alleine durch, aber meine kleine Marie kann von Glück sagen, dass wir ihr das Ding so schnell entfernen konnten. Meine Güte, wie am Spieß hat sie geschrien, als es da im Bidet lag, das kleine Stück Fleisch, was hat sie denn gedacht?

Dass das Balg wie ein Engelchen in den Himmel fliegt, ein kleiner Hauch, der durch das Zimmer weht? Ein Stück Fleisch war es nach über zwei Monaten, ist doch klar, ist aber doch kein Drama, ein paar Zellen eben, jeden Tag stand ich in der Küche und schnitt und klopfte Fleischzellen, damit sie schön zart wurden, jahrzehntelang tat ich das für meine Mädchen, frisches Lamm oder Kalb, das haben Marie und Solange immer gerne gegessen, mit meinem berühmten Couscous, den mochten sie alle gerne, was macht sie da für ein Drama bei dem kleinen Hautläppchen, meine Güte.

Den Hautlappen weggespült

Aber natürlich habe ich sie wieder beschützt, ich habe Marie in eine Decke gewickelt und ihr gut zugeredet, ich habe sie auf das Sofa gesetzt, bin zurück ins Bad und habe das Hautläppchen genommen und es ins Klo geworfen, einmal ziehen – und weg war es, mondieu, das machen wir doch jeden Tag mit unserer Scheiße und mit unserer halben Gebärmutter, wenn wir unsere Tage haben und ins Klo bluten, was macht das für einen Unterschied.

Ja, ich habe sie wohl ein bisschen zu sehr verwöhnt, und dafür strafte mich das Schicksal, dafür hatte ich sie weiter am Rockzipfel. Aber ich habe es wiedergutgemacht, als sie nach all der Zeit zu mir kam, um sich erneut an mich dranzuhängen, da habe ich ihr gezeigt, dass sie auf eigenen Beinen stehen muss, habe sie geschüttelt, wie sie es als kleines Mädchen schon gebraucht hätte, ordentlich geschüttelt, damit sie versteht, dass sie es alleine schaffen muss. Dass ich nicht ewig für sie da sein kann. Als reife Frau kam sie noch bei mir an, das konnte ich nun wirklich nicht akzeptieren, dann wäre ich ja wohl eine Rabenmutter, wenn ich eine Sechzigjährige wieder unter meinen Rock gelassen hätte. Und dann hätte sie mich noch ins Grab gebracht, oh ja, das hätte ihr gefallen! Nein, den Gefallen tat ich ihr nicht, ich habe ihr deutlich gemacht, dass sie jetzt erwachsen werden musste. Dass sie sich nicht mehr an meine Brust hängen konnte. Vielleicht bin ich etwas grob geworden, vielleicht, aber ich denke, die Botschaft ist angekommen. Ja, es war erst einmal ein Drama, natürlich, wie es Maries Art war, musste sie die ganze Welt zusammenbrüllen, oh làlà. „Ich bringe mich um“, ich kann es nicht mehr hören, meine Töchter hatten aber auch einen Hang zur Melodramatik, alle beide, meine Güte, Solange auch, immer dieser Hang zu Tabletten und zum großen Drama.

Nun habe ich endlich meine Ruhe, eine himmlische Ruhe ist das, endlich bin ich wieder eine Frau, keine Mutter, nein, einfach eine Frau. Ich würde schon sagen, dass ich ein glücklicher Mensch war, oh ja, ich war immer zufrieden mit mir, ich wusste, was ich wollte, und ich wusste, wie ich es bekam. So ist das, wenn man in sich ruht: Wenn ich die Welt in Ruhe lasse, dann lässt sie auch mich in Ruhe. Ich hatte gute Gene, ich wusste schon immer, dass ich viel Zeit haben würde auf dieser Erde, maktub, so stand es geschrieben. Vielleicht ist das Allahs Geschenk für die Qualen, die er mir mit den Kindern bereitete, er schickte mich durch diese schweren Prüfungen, damit ich mir mein kleines Leben erarbeite, und mondieu, das habe ich gemacht! Ich habe es mir hart verdient, meine letzte Zeit in der Rue de Flandre, den ganzen Tag nur lesen, schön in meinem Bettchen, während mein Kopf durch die Welt wanderte. Ich las Krimis aus England, Liebesromane aus Kolumbien, historische Romane aus Südfrankreich, ich wanderte durch die Schlösser der Loire, ich hungerte als Bäuerin und stürzte Louis XVI., ich hörte Gottes Stimme als die heilige Jeanne d’Arc, dazu eine feine Zigarette und einen guten Cognac, mehr wollte ich doch nie. Das machte mich glücklich, ja, es stimmt, ich bin glücklich gestorben. In Ordnung, ein bisschen Angst hatte ich schon davor, hier zu vergammeln und keiner merkt es, und dann würden sie meine Leiche nicht mehr finden, sondern nur noch ein paar Hautlappen und Knochen in stinkender Sauce, das ist nicht elegant, darauf konnte ich verzichten. Aber ich hatte einen Trick, einmal am Tag ließ ich mein Buch fallen, immer morgens, so hörte der Nachbar, dass ich noch am Leben war, meine Zigaretten holte mir der Concierge, er hat ganz schöne Augen, der Concierge, das muss ich sagen: diese Augen! Und einmal in der Woche ging ich selbst hinunter und holte mir mein Hühnchen auf dem Marché de Joinville, hmm, das aß ich mit den Fingern, ich löste das heiße Fleisch vorsichtig von den Knochen und lutschte die salzige Haut, wie gut das tat, mit den Kartoffeln, dem zerlaufenen Hühnerfett und ein bisschen Zitrone dazu, himmlisch, eine himmlische Ruhe.

Couscous mit Zimt erscheint am 27. August 2020 in der Frankfurter Verlagsanstalt (448 S., 24 €). Zur Frankfurter Buchmesse 2020 im Oktober sind Lesungen mit Elsa Koester geplant

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