Farinata und Weltraumfalafel mit Orbit-Dip: Sind Kichererbsen das neue Super-Space-Food?
A-Z Dem Winterweizen fehlt jetzt oft der Frost, den Kartoffeln wird es im Juli zu trocken. Schon laufen erste Feldversuche, auch hierzulande Kichererbsen anzubauen – und sogar ins Weltall wurden 28 Bohnen geschickt. Alles über die Hülsenfrucht
Collage: der Freitag; Material: Getty Images, Adobe Stock, iStock
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Ackerbau „Die letzten drei Jahre waren ganz praktisch für uns“, sagt Roland Hoffmann-Bahnsen. Im Frühling und Sommer zu trocken und zu heiß – „das war wie ein Großversuch im Klima der Zukunft“. Der Professor für Acker- und Pflanzenbau an der HNE Eberswalde baut versuchsweise Kichererbsen an – neuerdings mit sehr gutem Ergebnis. „Langfristig werden wir das bisherige Spektrum der hiesigen Ackerkulturen nicht halten können“. Winterweizen? Braucht zum Gedeihen einen Kältereiz, etwa durch knackigen Frost, den es immer seltener gibt. Die Pollen von Mais werden ab 35 Grad steril, Kartoffeln brauchen zwischen Mitte Juni und Ende Juli sehr viel Wasser. Die Kichererbse kommt dagegen mit viel weniger Feuchtigkeit aus,
mmt dagegen mit viel weniger Feuchtigkeit aus, das Problem war bislang, dass es ihr in Deutschland schlicht zu kalt war, sie braucht Temperaturen wie beim Anbau-Weltmeister Türkei. Immerhin: 2022 wird als einer der heißesten Sommer in die meteorologische Geschichte Deutschlands eingehen – wenn nicht als der heißeste. Die Bedingungen werden also hierzulande besser für die Kichererbse. Nick ReimerCCicero Ursprünglich mochte Cicero seinen Beinamen nicht sonderlich, er schien ihm zu unseriös. Ohne diesen hätten wir es aber viel schwerer, seine brillanten politisch-philosophischen Schriften genau zuzuordnen. Denn Marcus Tullius (106 – 43 v. Chr.), wie Cicero wirklich hieß, war im antiken Rom ein Allerweltsname wie heute Thomas Müller. Weil er an der Nasenspitze eine Delle gehabt haben soll, die an eine Kichererbse erinnerte, bekam er diesen Künstlernamen. „Cicer“ nannten die Römer die Kichererbse, die sie sehr zu schätzen wussten. Sie war ein beliebter Eiweißlieferant (➝ Space Hummus) und Snack. Bevorzugt setzten sie die Hülsenfrucht getrocknet ein. Manchmal wurde sie „Widdererbse“ (Cicer Arietinum) genannt, weil man eine Ähnlichkeit zur Kopfform dieser Tiere sah. Vom berühmten Koch Apicius ist das Rezept für einen Gemüseeintopf mit Kichererbsen, Linsen und Gerstengraupen erhalten. Ciceros Familie behielt den Beinamen übrigens bei, die Sippe ging als Tullii Cicerones in die Geschichte ein. Tobias PrüwerFFreundinnen Nelly, Maja und Jette haben immer was zu kichern. Da kam die Kinderbuchautorin Katja Reider auf die Idee, sie „Kichererbsen“ zu nennen. „Ein Fall für die Kichererbsen“ mit Bildern von Isabelle Metzen ist wie eine Detektivgeschichte gebaut. In einem Eiscafé, wo es sich die drei mal richtig gut gehen lassen wollten (➝ Resteessen) wird eine Handtasche gestohlen. Und ausgerechnet auf jenen Jungen fällt der Verdacht, für den Nelly schwärmt ... Das Besondere an diesem Büchlein von 64 Seiten: Es ist für Achtjährige gedacht, die mit dem Lesen noch Schwierigkeiten haben. Da hilft die große Schrift und eine Gestaltung, bei der die Silben farbig hervorgehoben sind. Das brachte der Autorin eine Empfehlung der Stiftung Lesen ein. Und die „Kichererbsen“ bekommen drei große Eisbecher, nachdem sie den Fall gelöst haben. Irmtraud GutschkeHHummus Wars Wer glaubt, die Kontroverse um Ananas auf Pizza sei die größte kulinarische Auseinandersetzung unserer Zeit, hat noch nie von den „Hummus Wars“ gehört. In deren Kern steht die Frage: Ist Hummus arabisch oder israelisch? 2008 warf der Libanon dem benachbarten Israel vor, Hummus international als israelisch zu vermarkten und die Spezialität so den Arabern zu stehlen. In der Folge übertrumpften sich Köche beider Länder mit immer größeren Portionen, um den Weltrekord aufzustellen. Wie unsinnig der Vorwurf war, zeigte die Beteiligung eines arabischen Israeli mit der Botschaft, Hummus sei für alle da und könne gerade deswegen Teil einer Verständigung sein. Wer wann genau Kichererbsen, Sesampaste, Zitrone und Knoblauch vermengte (➝ Ottolenghi), ist nahezu unmöglich festzustellen. Deshalb gelang es der libanesischen Regierung auch nicht, die Bezeichnung schützen zu lassen (wie es die Griechen mit Feta taten). Unzweifelhaft ist, dass israelische Firmen den globalen Markt für Hummus dominieren. In Israel jedoch kaufen viele ihren Hummus in arabischen Geschäften. Leander F. BaduraKKichern Es ist zum Kichern, vielmehr noch zum Lachen (➝ Freundinnen). Die Kichererbse hat mit der Erbse genauso viel zu tun wie diese mit der Knallerbse aka Schneebeere. Nämlich gar nichts. Alle drei sind halt rund, also resultiert der gemeinsame Wortstamm einfach aus der ähnlichen Form. Auch der komische Name Kichererbse hängt mit nichts Inhaltlichem zusammen. Sie löst kein verstecktes Lachen aus und es gibt auch kein Märchen der verdrucksten Prinzessin auf der Kichererbse. Tatsächlich könnte man mit gutem Willen ein lächelndes Gesicht in der Oberflächenstruktur der Erbse mit dieser kleinen Kerbe erkennen. Aber auch daher kommt der Name nicht. Der Ursprung ist rein sprachlich. Auf Latein heißt sie „Cicer“ (➝ Cicero). Womöglich hat man das „Kiker“ ausgesprochen. Im Althochdeutschen wurde daraus „Kihhira“, was sich schließlich zum Wort „Kicher“ entwickelte, was man der Erbse voranstellte, um diese bestimmte Frucht zu benennen. Genau genommen bedeutet ihr Name also „Erbseerbse“. Auch auf die englische Bezeichnung „Chickpea“ trifft das zu, sie geht ebenfalls aufs Lateinische, nicht das Hühnchen zurück. Während folglich die Knallerbse wenigstens wirklich knallen kann, gibt es bei der Kichererbse nichts zu kichern. Tobias PrüwerMMedizin „Warm und angenehm und leicht zu essen“, nannte Hildegard von Bingen (1098 – 1179) die Kichererbse in ihren Aufzeichnungen. Sie würde dem, der sie isst, nicht „die üblen Säfte“ vermehren. „Wer aber Fieber hat, der brate Kichererbsen über frischen Kohlen und esse sie und er wird geheilt werden.“ Also hat die mittelalterliche Mystikerin, Dichterin, Komponistin und bedeutende natur- wie heilkundige Universalgelehrte bereits diese Pflanze gekannt, deren Anbau hierzulande gerade in Mode ist. Heute ist durch internationale Studien erwiesen, dass Kichererbsen, weil ballaststoffreich, einer gesunden Verdauung zuträglich sind, mit den Vitaminen C und E sowie Beta-Karotin, diversen Flavanoiden und Phenolsäuren antioxidativ wirken und 85 Prozent des täglichen Mangan-Bedarfs decken. Sie schützen Herz und Kreislauf und haben blutzuckerregulierende Effekte. Weil sie kalorienarm sind und gut sättigen (➝ Resteessen), helfen sie, Gewicht zu reduzieren. Ob Hildegard von Bingen wirklich all die Rezepte kannte, die unter ihrem Namen kursieren? Suppe, Bratlinge, Kichererbsen-Salat – egal, durch sie lässt sich Naturkost noch besser vermarkten. Mit dem Etikett „Hildegard“ kaufen wir eine Dosensuppe als etwas ganz Besonderes und können sie auch so genießen. Irmtraud GutschkeOOttolenghi Es handelt sich hier nicht um unbezahlte Werbung, die der in London ansässige israelische Starkoch Yotam Ottolenghi eh nicht nötig hat. Aber zur Frage „Was fällt dir beim Stichwort „Kichererbse“ ein?“, lautet meine Antwort nicht Hummus, sondern Ottolenghi. In seinen vier Büchern, die sich im kochfreudigen Haushalt über die Jahre angesammelt haben, besetzt die Kichererbse gemeinsam mit der Aubergine, der Tomate und dem Blumenkohl einen der Spitzenplätze im Häufigkeitsranking gelisteter Zutaten. Mit Mangold, mit Kabeljau, mit Kokos-Curry-Pürree, als Küchlein, in der Suppe, in der Pfanne, im Salat kullert sie entweder in den Gerichten herum oder wird mit Zitrone, eiskaltem Wasser, Knoblauch und Salz zärtlich zermatscht und mit gehackter Petersilie und Za’atar garniert. Womit wir dann doch wieder beim Hummus wären, für dessen Zubereitung es allerdings selbst im allerkochfreudigsten Haushalt keine vier Hochglanz-Kochbücher bräuchte, und der die stattliche Anzahl von 19 Ottolenghi-Rezepten mit Kichererbse durch die Dreifachnennung „Hummus“, „Hummus“ und „Hummus mit Lamm“ schnell auf „nur“ 16 zusammenschnurren lässt. Beate TrögerRResteessen Alfred Biolek hätte sie geliebt. Die „Farinata di Ceci“ gelten in Italien als typisches „Gericht der Armen“. Man benötigt dazu nur Kichererbsenmehl (wer hätte das in diesem A – Z vermutet?), Wasser, Salz und Olivenöl. Heraus kommt ein sehr dünner Pfannkuchen, den manche auch als „Pizza“, „Cecina“, „Torta“ oder „Socca“ (das ist dann aber schon französisches Gebiet) bezeichnen. So oder so wird ein flaches Teigwerk daraus, das in Stücke geschnitten serviert wird. Die Farinata wird im Holzofen (ich muss kurz auf Amazon …) in einer Auflaufform (an wen war die noch gleich verliehen?) gebacken und hat eine goldgelbe Farbe (wenn Mutter Beimer sich nicht daran versucht), die wiederum an ein Kalbsschnitzel aus Wien erinnert.Biolek resümierte in seiner Sendereihe „Alfredissimo“ immer wieder, dass die einfachen Gerichte die besten seien, wenn – so betonte er besonders – sie denn aus den besten Grundzutaten entstünden. Gönnen Sie sich also einen Samstag in der Kleinmarkthalle in Frankfurt oder einer ähnlichen – wenn auch niemals vergleichbaren – Institution in Ihrer Stadt, und erstehen Sie dort das beste Olivenöl, das originalste Kichererbsenmehl und vielleicht schauen Sie auch beim Salz mal wieder etwas genauer hin. Guten Appetit! Jan C. BehmannSSpace Hummus Bei Astronautennahrung denken viele an in Tuben verpackten Brei aus eher unappetitlichen Substanzen. Dabei erforschen aktuell israelische Wissenschaftler die Kichererbse als Weltraum-Superfood, das in Zukunft Raumfahrer ernähren könnte, etwa auf der für 2025 geplanten Mondlandung, für die sich die NASA derzeit warmläuft. Anfang dieses Jahres starteten 28 unerschrockene Kichererbsen, unter anderem finanziert vom Hummus-Dip-Hersteller Strauss, in einem schuhkartongroßen Gewächshaus an Bord eines Raumtransporters in Richtung ISS. Während die Kichererbsen in der Schwerelosigkeit des Weltraums keimen, wachsen und gedeihen, beziehen die Forscher 1.000 israelische Klassenzimmer mit ein, in denen zu Vergleichszwecken Schüler unter irdischen Bedingungen Kichererbsen wachsen lassen. Ob am Ende aus den Weltraumkichererbsen Space-Hummus gemacht wird und die Astronauten wieder bei einer breiartigen, aber sicher besser schmeckenden Nahrung landen, wird sich zeigen. Schöner wäre Weltraumfalafel mit Orbit-Dip (➝ Ottolenghi). Florian SchmidZZivilisation Es ist wie bei vielen Sachen einfach Glück. So attestierte Umberto Eco uns, wir hätten uns auf unserem Kontinent nie so gut entwickeln können und damit Fortschritt und Technologie erlangt, hätte es nicht die Hülsenfrüchte gegeben. Ihr Eiweiß habe uns robuster gemacht (➝ Medizin). Vor mehr als 7.500 Jahren sollen Menschen schon Kichererbsen angebaut haben, in der Präkeramik. Das bedeutet, dass Menschen sie schon als Nahrung nutzten, bevor sie töpfern konnten. Wussten Sie eigentlich, dass der Suhrkamp-Verlag Ecos Welterfolg Der Name der Rose abgelehnt hat? Es scheiterte knapp am geforderten Honorar des Semiotik-Professors. Ob der Welterfolg so was wie die Hülsenfrüchte für Suhrkamp gewesen wären? Wir werden es nie erfahren. Jan C. Behmann
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