Hyäne Fischer ist ein Popstar. Und sie möchte beim nächsten European Song Contest für Deutschland antreten. Ihr aktueller Hit: Hodenlos an die Macht, eine Antisexismus-Version des Klassikers ihrer berühmten Namensverwandten. Vor vier Jahren war die Kunstfigur als braunbezopfte Sängerin mit ihrem Lied Im Rausch der Zeit, das mit Eva-Braun-Looks dumpfe Volkstümelei von neuen (und alten) Rechten und Trachtentrottel-Styles à la Andreas Gabalier satirisch denunzierte, in Österreich knapp am ESC-Vorentscheid gescheitert.
Jetzt ist die Materie gewordene feministische Projektionsfläche aus dem Umfeld der Wiener Burschenschaft Hysteria zurück. Um kurz vor halb acht fährt eine schwarze Limousine vor den Eingang der Volksbühne in Berlin.
r Volksbühne in Berlin. In ihrer fleischlichen Verkörperung als junge Frau entsteigt Hyäne Fischer dem Wagen und schreitet über den roten Teppich. Am Ende der Premiere von Hyäne Fischer – Das totale Musical wird sie noch einmal im glamourösen schwarzen Kleid huldvoll von der Bühne winken. Dazwischen ist sie nicht zu sehen. Stattdessen rast sie in ihrer geistigen Verkörperung durch das Stück: durch die Leiber von fünf Schauspielerinnen, die proklamieren, sie zu sein, durch die Gesänge des zwölfköpfigen Chors im Destiny’s-Child-Survivor-Gedächtnislook, durch die Texte der österreichischen Bachmann-Publikumspreis-Gewinnerin Lydia Haider und durch die Musik der österreichischen Musikerin Eva Jantschitsch aka Gustav.Oder ist sie es doch nicht? Sicher kann man sich an diesem Abend definitiv nicht sein, Fragezeichen schwirren durch die Luft. Ist das, was von der künstlerischen Leiterin des Stücks und renommierten Musikbookerin Marlene Engel als das „totale Musical“ angekündigt wurde, wirklich ein Musical? Es wird gesungen und deklamiert. Aber es wird nicht getanzt. Es gibt keine Storyline, weder im herkömmlichen noch übertragenen Sinn. Die Musik changiert zwischen Schlagerparodie, wummernd lauten Banalobeats und ambitionierter Kunstmusik mit raffiniertem polyphonen Chorgesang und zarten Bläsersätzen. Und die assoziativ von Mund zu Mund und Begrifflichkeit zu Begrifflichkeit springenden „krassen“ Texte verweigern sich jeder kohärenten Sinnzuschreibung.Von Beistrichen, also österreichischen Kommata, und panierten Schnitzeln ist hier die Rede, und das Publikum lacht entzückt auf, als dieses Klischee aus dem südlichen Nachbarland serviert wird, ohne wahrscheinlich zu wissen, dass paniert in Austria oft dasselbe wie „voll fett“ bedeutet, in etwa also ziemlich knülle.Die versierten Schauspielerinnen wirken ratlosAggressiv simple Reime wie „riefen – liefen – schliefen“ treffen auf biblisch-brachiale Blutsprache, auf zu skalpierende Identitäre und auf Kalauer wie „Leg doch den Arm um mich drum / dann bring ich dich um“. Es wird viel herumgestanden, sowohl vom Chor als auch vom Sprechteam, und ob dieser Statik wirken die versierten Ensemble-Spielerinnen rund um Volksbühnen-Star Kathrin Angerer oft fast ein wenig ratlos. „Was willst du denn?“ fleht Silvia Rieger ihre Kollegin Rosa Lembeck an einer Stelle an, woraufhin diese „Einen Faden finden!“ ausruft. Als Angerer danach mit einem „Wie lange der Anlauf braucht!“ rausplatzt, ist im Publikum fast ein wenig Comic Relief zu spüren.Höhepunkte in dieser Szenencollage gibt es sogar zwei: eine sehr lange Kampfszene – das einzige choreografische Element –, die am Ende von einem an Schnüren von der Decke baumelnden schwarzen Engel (Kathrin Angerer) gesegnet oder verflucht wird (so genau lässt sich das nicht sagen), und ein eingängiger Song der „Psychokiller“ und „Faschoficker“, die uns alle „mit einem Schlag abtreiben“ können.Aber falsch, eigentlich gibt es noch einen dritten, quasi permanenten Höhepunkt, nämlich das fantastische Bühnenbild von Marianne Vlaschits, das unter anderem aus einem fast wollüstigen kleinen Bühnenteich, beweglichen Abstraktions-Bäumen und einem Vulkan mit Vulvalippen besteht. Dessen neckisch aufgeworfenes Mündchen stößt mitunter im Hintergrund weißen oder farbigen Dampf aus und wird dabei zu einer beinahe autarken Akteurin, der man sich gerne vor allem in den statischeren Momenten kontemplierend zuwendet. Besonders der über dem Vulkan schwebende, gleichermaßen mystisch wie freundlich farbgestaltete Kreis evoziert feministische Ikonographie, die ansonsten überraschenderweise im Stück mehr oder weniger abwesend ist.Das goldene Matriarchat wird zwar zum Schluss an- und ausgerufen, auf und hinter der Bühne. Doch die plakative Symbolik, die Sprache, die Themen und Forderungen aus den Aktionen der Hysteria (oder auch anderer feministischer Aktivist*innen), die in der Vergangenheit durch ihre ironische Nachdrücklichkeit so viele begeistert haben, finden hier keinen Platz. Als das „totale Musical“ so abrupt endet, wie es begonnen hat, erheben sich im hinteren Bereich des Saals dumpfe Buh-Rufe. Vorne werfen Mitglieder der Burschenschaft Hysteria weiße Rosen auf die Bühne und bald ist nur noch Klatschen zu hören.Placeholder infobox-1