Ich kann mich sogar schminken

Im Gespräch Der israelische Popsänger und Friedensaktivist Aviv Geffen über Morddrohungen, Machos in Uniform und Make-up als Symbol für den Frieden

Der Freitag: Herr Geffen, mit dem Gazakrieg haben sich die Fronten in Israel wieder verhärtet. Stehen Sie da mit ihrer Friedensbotschaft nicht ziemlich alleine da?

Sie haben als einer der ersten Israelis den Wehrdienst verweigert und rufen auch in einem ihrer neuen Songs dazu auf. Wie kommt sowas in Israel an?


Nicht zum Militär zu gehen, ist gesellschaftlich verpönt. Früher wurde man regelrecht geächtet und auch heute noch kann man dafür im Gefängnis landen. Ich bin in Israel eine Ausnahme, auch als Künstler. Vor mir hat niemand solche Dinge gesungen wie: "Lasst uns die Waffen begraben, nicht die Kinder". Meine erste Tour war die gewaltsamste Tour, die es in Israel je gab. Mehr als die Hälfte meiner Konzerte musste ich nach ein paar Liedern abbrechen. Religiöse Fundamentalisten haben sich mit Flugblättern vor die Konzerthallen gestellt und dazu aufgerufen, Steine auf mich zu werfen, einige haben das auch gemacht. Für die bin ich der Teufel.

Auch auf ihrer aktuellen Europa-Tournee haben sie Morddrohungen erhalten...


Ja, sowohl von rechtsextremen Israelis als auch von arabischen Fundamentalisten. Vor dem Konzert in Paris habe sie mir per email angedroht, mich umzubringen, wenn ich auftrete. Sie hassen mich von allen Seiten. Aber das ist mir egal. Das ist eben der Preis, den ich bezahlen muss.

Sie provozieren gern, nicht nur mit Ihren Texten, sie treten zum Beispiel in Frauenkleidern auf und schminken sich. Ist das auch Teil ihrer politischen Message?


Ja, natürlich! Ich will mit den klassischen Macho-Bildern brechen, die sind in Israel sehr stark. Dort ist ein Mann vor allem ein harter Typ mit Waffe und Uniform. Ich sage: Seht her, ich bin auch ein Mann, aber ich kann trotzdem Gefühle zeigen – ich kann mich sogar schminken.

Make up als Symbol gegen Militarismus?


Sozusagen. Ich glaube, da hat sich schon einiges geändert. Viele Jugendliche lassen sich inspirieren, in Tel Aviv gehen inzwischen Jungs mit Lidstrich und Wimperntusche in die Schule. Ich finde das großartig! Denn es geht nicht nur um das Make up und den Style, sondern um alles was damit verbunden ist, um ein anderes Lebensgefühl. Wir haben uns in Israel viel zu sehr an alles gewöhnt, an den Krieg, den Bombenalarm, die Gewalt, die Korruption. Unsere Politiker halten uns in ständiger Unsicherheit und Angst, damit wir sie wieder wählen, ein ewiger Kreislauf. Seit ich denken kann, wird Israel von Generälen regiert. Es ist allerhöchste Zeit, dass sich das ändert. Ich glaube nicht an die Macht der Generäle, ich glaube an die junge Generation.

Müsste sich denn die junge Generation in Israel politisch mehr einmischen?


Viel mehr! Aber wir wachsen in einem permanenten Ausnahmezustand auf, dieser ständige Stress ist unser Alltag. Wir sind alle hyperaktiv, alles muss schnell gehen, wir wollen alles auf einmal erreichen und haben keine Geduld. Gleichzeitig sind wir völlig abgestumpft und zu Tode gelangweilt. Das sind alles Folgen des Konflikts.

Kommen Sie deshalb mit ihren emotionalen Balladen bei Teenagern so gut an?


Eine der beliebtesten Zeilen aus meinen Songs ist "We´re the fucked-up generation" und ich glaube das trifft das Lebensgefühl vieler Jugendlicher überall auf der Welt. Wir leben in einer abgekühlten Welt, wir kommunizieren nur noch über das Internet, wir haben verlernt, uns gegenseitig zu berühren, Gefühle zu zeigen. Ich will die Leute aufwecken. Und da geht es mir nicht nur um Israel, ich sehe mich nicht als eine Art israelischer UN-Botschafter. Ich spreche Jugendliche überall auf der Welt an.

Auch palästinensische Jugendliche?


Ja, natürlich! Ich habe sogar Fans im Gaza-Streifen. Auf meinem neuen Album habe ich einen Song mit einem arabischen Orchester aufgenommen und ich würde sehr gern mit palästinensischen Künstlern zusammen arbeiten. Aber leider gibt es dort bisher niemanden, der dasselbe tut wie ich - ich weiss nicht, ob aus mangelndem Interesse oder einfach aus Angst.


Aviv Geffen, Superstar und Pop-Rebell aus Israel singt gegen Krieg, Gewalt und Drogen. Als einer der wenigen Künstler in seinem Land kritisiert er offen die Besatzungspolitik der Regierung. 1995 trat er gemeinsam mit Ministerpräsident Yitzak Rabin bei einer Friedenskundgebung auf, wenige Minuten später wurde Rabin vor seinen Augen von einem jüdischen Extremisten erschossen. Seitdem engagiert sich Geffen für eine Aussöhnung mit den Palästinensern. Gerade war er mit seiner neuen Platte auf Europa-Tournee.

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