Im Westen nichts Neues

Unter der Woche Zum Thema Erster Weltkrieg sind die Schlachten geschlagen – auch an der Bücherfront
Ausgabe 31/2014

Jetzt endlich beginnt der Krieg – vor 100 Jahren. Aber die Bücherschlachten zum Ersten Weltkrieg, sie sind längst geschlagen. Die Fronten sind eingegraben wie einst. Und wie einst kann es heißen: „Im Westen nichts Neues.“

Deutsche Historiker führen ihren Kampf um das überkommene, 50 Jahre alte Geschichtsbild fort. Danach trug Berlin die Hauptschuld am Ausbruch des Kriegs 1914. Zuvor hatten andere widersprochen und waren mit ihren Büchern sehr erfolgreich. Aber der eine, Christopher Clark, ist Australier und der andere, Herfried Münkler, ist kein Historiker, sondern Politologe, was seinen Analysen zum Kriegsausbruch und der Zeit danach sehr zugutekam. Clark durfte jetzt auch zur Eröffnung der Salzburger Festspiele den Hauptvortrag halten. Das werden seine Gegner unter den deutschen Historikern als Bestätigung auffassen für ihren Vorwurf: Der Australier bediene alte deutsche Ressentiments in der Kriegsschuldfrage. Moralischer Tenor: Der Schoß ist fruchtbar noch ...

Worin sich die deutschen Geschichtsschreiber nicht übertreffen lassen, ist ihr Fleiß. Zuletzt sind zwei Bücher mit mehr als 1.000 Seiten Umfang erschienen. Mächtig gelobt wurde das Werk des Freiburger Ordinarius Jörn Leonhard. Es beachte den globalen Charakter des Kriegs und arbeite vorzüglich kulturhistorische Wirkungen heraus. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist das spezielle Kriegsgeschehen, die Schlachten. Allerdings ist Leonhard zugutezuhalten, dass er sich erkennbar dafür gar nicht interessiert.

Jörg Friedrich interessiert sich ebenfalls nicht für Schlachten, die Seeschlacht am Skagerrak – die größte der Geschichte – kommt bei ihm überhaupt nicht vor. Aber man kann sagen: Alle deutschen Historiker meiden die Schlachten. Das hat seinen Sinn, denn für den Ausgang des Kriegs hatten sie keine Bedeutung. Dennoch kann man einwenden: Hannibals Sieg bei Cannae hat letztendlich die Niederlage Karthagos nicht verhindern können. Aber keine Geschichte des Punischen Kriegs kommt ohne Cannae aus.

Ironischerweise hat soeben ein junger deutscher Historiker in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Friedrichs Buch „eingehende Schlachtendarstellungen“ attestiert, was nur beweist, dass der Rezensent selber keine Ahnung davon hat, was auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs passierte. Die Abneigung, sich darum zu kümmern, hat sicherlich etwas mit der lobenswerten Strategie der Pathosvermeidung zu tun. Denn davon hatte es bis 1945 eher zuviel gegeben.

Pathosvermeidung ist gut. Aber Faktenvermeidung um der korrekten moralischen Botschaft willen – die Deutschen trugen die Hauptschuld – lässt eine ganz andere Art von Pathos aufkommen, das man auch als Sündenstolz bezeichnen kann. So befasst sich Jürgen Osterhammel, der Geburtstagsredner der Kanzlerin, in einem Interview mit der Berliner Zeitung ausführlich mit dem Thema „Der Krieg und die Kolonien“ und schafft es dabei, die Kongo-Akte von 1885, in der verabredet war, die Kolonien aus dem Krieg herauszuhalten, überhaupt nicht zu erwähnen. Deutsche Politiker hofften noch auf sie, als sie in London schon im Papierkorb gelandet war.

In Deutschland wird immer noch versucht, Fritz Fischer und sein Buch Griff nach der Weltmacht im Kanon der Gelehrten zu halten. Fischer nannte sich selbst den „Begründer der selbstkritischen Geschichtswissenschaft in Deutschland“. Die internationale Forschung ist darüber hinweggegangen, was gegenwärtig Clark und Münkler nicht viel hilft. Selbstkritische Geschichtswissenschaft ist ja nicht schlecht. Nur sollte nach 50 Jahren der Akzent auf „kritisch“ liegen und nur neben anderem auf dem „selbst“.

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