Jakob Augstein: Herr Altmaier, Sie gehörten mal zu den Jungen Wilden der CDU, die gerne Kanzler Kohl ärgerten. Sind Sie ein heimlicher Linker?
Peter Altmaier: In den 90er Jahren hielt mich mancher für einen Linken in der CDU. Ich sehe mich eher im CDU-Mainstream.
Sie haben die ersten Gespräche mit Grünen eingefädelt.
Ja, die „Pizza-Connection“, 1996 mit Cem Özdemir und anderen. Wir fragten uns, wie lange es bis Schwarz-Grün dauern würde. Dass wir 20 Jahre brauchen würden, hätte ich nicht erwartet. Noch weniger allerdings, dass ausgerechnet die hessische CDU, die Stahlhelm-Union von Alfred Dregger, die erste funktionierende schwarz-grüne Koalition zustande bringen würde.
Tut Ihnen die schrumpfende SPD manchmal leid?
Das Schlimmste, was in der Politik passieren kann, ist, dass einer Mitleid mit dir hat.
Haben Sie nicht Angst, dass die CDU das gleiche Schicksal ereilen könnte? Verluste, Identitätskrise, Bedeutungslosigkeit ...
Anfang der 2000er Jahre während der Spendenaffäre wurde schon mal „das Ende der Volkspartei CDU“ ausgerufen. Irgendwann hatten wir noch 33 Prozent der Stimmen. Aber bei der letzten Bundestagswahl haben fast 42 Prozent die Politik von Angela Merkel und der CDU gewählt.
Gerade sackt die CDU Richtung 30 Prozent weg. Ist das jetzt das Ende der CDU als Volkspartei?
Nicht zwingend. Die Stärke von Parteien ist allerdings nicht mehr in Stein gemeißelt. Die Wähler entscheiden immer neu, ob sie einer Partei zutrauen, die Probleme der Zeit zu lösen.
Vielleicht liegt es gar nicht an der CDU, sondern an Angela Merkel – der erfolgreichsten sozialdemokratischen Kanzlerin aller Zeiten?
Ich habe da keinen Grund mich zu beklagen. Die CDU war immer eine soziale Partei. Das kam halt nicht immer so raus ...
… da haben Sie Recht!
Der SPD ist es eben lange gelungen, einen gefühlten Kompetenzvorsprung beim Sozialen zu verteidigen. In Wahrheit stammten die großen sozialen Leistungen von uns, der CDU: Wir haben die dynamische Rente eingeführt. Die CDU hat sozialpolitisch unser Land geprägt, aber auch stets Autorität in Wirtschaft, Außen- und Sicherheitspolitik und Europa bewiesen.
Warum sind Sie in die CDU eingetreten?
Ich habe mich in den 70ern als junger Kerl gefragt: Was kommt für mich in Betracht? Die Grünen waren damals selbstgestrickte Pullis und Müsli – das brachte ich nicht über mich.
Im Selbstgestrickten könnte ich Sie mir gut vorstellen!
Da bräuchten Sie allerdings viel Wolle. Vor der SPD hatte ich immer größten Respekt. Im Kaiserreich hat sie unter schwierigsten Bedingungen die Demokratie erkämpft. Aber bei den Sozialdemokraten ist der Stallgeruch wichtiger als alles andere. Und ich war immer der Auffassung, mit dem Eintritt in eine Partei darf ich nicht die Fähigkeit zum eigenen Denken abgeben.
In der CDU war das besser?
In der CDU fühlte ich mich wohl. Ich habe mich mit Europa und Marktwirtschaft identifiziert. Sie ist die erfolgreichste Partei im Nachkriegsdeutschland. Aber auch ein Erfolgsmodell braucht immer wieder Erneuerung.
Und das ist gelungen, ja?
Vergleichen Sie das mit dem Käfer, dem erfolgreichsten Auto der Welt. Als Beetle sieht er heute ganz anders aus. Mit anderen in der CDU habe zum Beispiel ich die Frage gestellt: Sollten wir nicht in der Ausländerpolitik anerkennen, dass wir anders über Integration reden müssen? Da haben wir dann unsere Partei ein bisschen provoziert. Das hat nicht geschadet, wie Sie sehen. Die Menschen vertrauen uns. Keine andere Partei hätte die Flüchtlingssituation so bewältigen können wie Angela Merkel mit einer starken CDU im Rücken.
Aber finden Sie nicht, dass es der Kanzlerin an Westbindung fehlt?
Nein, die Kanzlerin hat viel Arbeit investiert, um Europa zusammenzuhalten, in der Ukraine-Krise genau wie in Griechenland. Trotz mancher Enttäuschung in der Flüchtlingsfrage hat sie auch da stets gesagt: Wir brauchen keine nationalen Antworten, Europa ist die Lösung! Die Kanzlerin hat also eine sehr europäische Politik gemacht. Das braucht Deutsch-land auch, weil es einfach zu groß ist, um allein sein zu können.
Mancher Europäer sieht das anders. Man spricht von germanischer Dominanz.
Nein, Jean-Claude Juncker kommt aus dem kleinen Luxemburg – und hat dennoch ungeheuer großen Einfluss. Nicht jeder Bundeskanzler hatte in der EU Gewicht. Willy Brandt genoss hohes Ansehen, Helmut Kohl noch mehr. Gerhard Schröder dagegen hat für einen Moment auf eine europäische Lösung verzichtet – im zweiten Irakkrieg. Europa war völlig handlungsunfähig, und der US-Präsident konnte Krieg führen.
Es war Angela Merkel, die falsch lag, wenn ich Sie daran erinnern darf.
Wir lagen alle falsch ...
… bis auf Kanzler Schröder.
Er tat das nur, weil er schlicht keine Antwort auf die Herausforderung wusste. Wir haben doch im Irak wie in Libyen erlebt, dass man über Despoten zwar militärisch Oberhand gewinnen kann. Aber dass es unendlich schwierig ist, dann eine Demokratie mit Grundfreiheiten und Sicherheit herzustellen.
Merkel wird oft der Vorwurf gemacht, sie habe keine Überzeugungen. Finden Sie das fair?
Angela Merkel hat sich vom ersten Tag ihrer Kanzlerschaft an für Grundsätze starkgemacht – für solche, die strategische Bedeutung haben. Das gilt für den Klimaschutz, für Menschenrechte oder echte Entwicklungspolitik. Innenpolitisch hat sie aber nun mal ein Land mit fünf Millionen Arbeitslosen vorgefunden. Da musste sie, ganz pragmatisch, dafür sorgen, dass in Deutschland wieder Geld verdient wird.
Wie praktisch, keine Visionen zu haben! Wenn dann wirklich was passiert, ist man flexibel.
Die Welt richtet sich nun mal nicht nach Parteiprogrammen. 2013 fand ich als Kanzleramtsminister einen Koalitionsvertrag vor, in dem von den großen Krisen nichts stand. Kein Wort zu Ukraine, Griechenland oder Europa. Weder die deutsche Öffentlichkeit, also Sie, noch die Parteien oder die wichtigen Beamten haben die gigantischen Probleme kommen sehen. Wenn man vorher alles ideologisch verpackt, wird man am Ende Entscheidungen fällen, die nicht gut sind – das ist die Überzeugung der Kanzlerin.
Warum hat Merkel dann in der Eurokrise eine ideologisch motivierte Politik durchgesetzt, die schreckliche Konsequenzen hat?
Das können Sie nur so unbeschwert sagen, weil Sie nicht in der CDU sind. Wir in der Union waren immer der Ansicht, dass man vorhandene Probleme nicht lösen kann, indem man nicht vorhandenes Geld ausgibt.
Wie erklären Sie sich, dass zwischen den Regierenden und Regierten ein großer Vertrauensverlust entstanden ist?
Ich bestreite diese These, jedenfalls für die Zeit von 2013 bis 2015. Umfragen belegen, dass da das Vertrauen in die Politik gestiegen ist. Erst die Flüchtlingskrise hat dazu geführt, dass bei vielen Menschen Sorgen gewachsen sind. Einige Menschen finden deswegen eine Partei attraktiv an, die mit A anfängt und mit D aufhört.
Bereitet Ihnen das Kopfzerbrechen?
Wenn sich Menschen Sorgen machen angesichts der Flüchtlingssituation, dann sind sie deswegen nicht rechtsextrem. Was ich allerdings für verwerflich halte, sind Parteien, die die Ängste und Sorgen der Menschen aufputschen, um daraus Kapital zu schlagen. Das stößt mich ab. Meines Erachtens haben wir als Demokraten daher gemeinsam den Auftrag, dass sich Parteien wie die AfD nicht dauerhaft etablieren.
Bei der CSU hat man eher den Eindruck, sie orientiert sich an der AfD.
Nein, zwischen AfD und CSU gibt es einen Riesenunterschied. Davon, wie Bayern Flüchtlinge versorgt und integriert, können sich viele Bundesländer eine Scheibe abschneiden.
Wir sind in der Flüchtlingspolitik von der Türkei abhängig. Keine angenehme Situation.
Na ja, die Flüchtlingssituation ist alles andere als angenehm Die Menschen haben es sich doch nicht gewünscht, aus zerbombten Städten zu fliehen und herumgeschubst zu werden, wie Figuren auf dem Schachbrett. Die meisten der elf Millionen Flüchtlinge im Nahen Osten haben ihr Schicksal in irgendeiner Weise an die Türkei gebunden. Wenn wir helfen wollen, geht das also nur gemeinsam mit der Türkei.
Wie helfen Sie?
Wir finanzieren zum Beispiel den Bau von Schulen und Krankenhäusern – worüber übrigens praktisch niemand berichtet.
Brauchen wir künftig einen Integrationsminister?
Wir Deutschen haben die Neigung, für jedes neue Problem am liebsten ein neues Ministerium zu gründen. Wenn wir dem nachgeben würden, hätten wir eines Tages so viele Minister, wie die Sowjetunion zu ihren besten Zeiten.
Brauchen wir so etwas wie eine Leitkultur?
Was wir von Flüchtlingen verlangen dürfen, ist zunächst der Respekt vor unseren Gesetzen. Aber sie sollten auch die Kultur akzeptieren, die sie vorfinden.
Man hört immer wieder von Problemen, etwa wenn sich muslimische Männer weigern, einer Frau die Hand zu geben.
Mir hat ein Bürgermeister er-zählt, dass Flüchtlinge ihre monatlichen Geldleistungen nicht von einer Frau bekommen möchten. Das sei unter ihrer Würde.
Und, was haben Sie gesagt?
Ich habe geraten, auf die Bundeskanzlerin zu verweisen.
Was soll das bringen?
Ich würde sagen: ‚Schau mal! Deutschland ist deshalb so ein tolles Land geworden, weil wir nicht nur eine Angela Merkel haben, sondern 1.000, 10.000, 100.000 Angela Merkels in jedem Dorf, in jeder Stadt, die was zu sagen haben. Es ist gut für dich, wenn du machst, was sie dir sagen.
Info
Der nächste Radio Eins und Freitag Salon findet am 30. Mai statt. Gast ist die Grünen-Vorsitzende Simone Peter Peter Altmaier, 1958 im Saarland geboren, begann seine Karriere in der EU- Kommission als Sekretär für die soziale Sicherheit der Wanderarbeiter. Klaus Töpfer gewann ihn für den Bundestag. Seit 2013 koordiniert er als Kanzleramtsminister die Regierungsarbeit
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